Frag den Spieleforscher: Was ist eigentlich gaming capital?
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Das Videospiele längst den vermeintlichen Kinderschuhen aus stupidem Gehüpfe und simpler Ballerei entwachsen sind, ist ja wohl längst kein Geheimnis mehr. Und dieser Umstand ist nicht einfach nur Floskeln wie „… in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ und „interaktives Kino“ geschuldet. Games haben sich zu einer analysierbaren Kunstform entwickelt und sind fest verankert mit der modernen Kultur. Den Beweis dafür tritt unser Freund und Kollege Rudolf Inderst immer wieder an, denn er hinterfragt das Thema Gaming aus wissenschaftlicher Perspektive. In diesem Beitrag wird der Begriff GAMING CAPITAL erörtert und verraten kann ich euch schon so viel: Wer tatsächlich glaubt alles über Games und ihren Platz in unserer Mitte zu wissen, wird hier eines Besseren belehrt, denn die Wahrnehmung unseres liebsten Hobbys, kann kaum unterschiedlicher sein…

Wenn Ihr Euch bereits ein wenig in den Game Studies, also dem Forschungsfeld, das sich akademisch mit digitalen Spielen auseinandersetzt, herumgetrieben habt, seid Ihr vielleicht schon über den Begriff des gaming capital gestolpert. Dieser erklärt sich nun nicht von selbst, und daher liegt meine kleine Einführung sehr am Herzen.  

Einsteigen wollen wir mit einem kleinen Zitat:

„Thus, one of the themes running through this book is the development of gaming capital as a central element to serious gameplay. […] I believe that the concept of gaming capital provides a key way to understand how individuals interact with games, information about games and the game industry, and other game players. The term is useful because it suggests a currency that is by necessity dynamic – changing over time, and across types of players or games.“ 

Diese Einführung stammt von der Spieleforscherin Mia Consalvo und erläutert ihr Konzept des gaming capital, welches in meinen Augen zentral ist im Rahmen der Spieleforschung. Für Consalvo ermöglicht der Begriff des gaming capital die Diskussion über Wissen, (Vor-)Erfahrung und Fähigkeiten von SpielerInnen innerhalb der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Parameter rund um digitale Spiele. In ihrer Konzeption dieser Art von Kapital greift Consalvo dabei auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930-2002) beziehungsweise sein Verständnis von Kapital zurück. 

„Kapital […] stellt Verfügungsmacht im Rahmen eines Feldes dar, und zwar Verfügungsmacht über das in der Vergangenheit erarbeitete Produkt, wie zugleich über die Mechanismen zur Produktion einer bestimmten Kategorie von Gütern und damit über eine bestimmte Menge an Einkommen und Gewinnen. Gleich Trümpfen in einem Kartenspiel determiniert eine bestimmte Kapitalsorte die Gewinnchancen in einem entsprechenden Feld.“ 

Kapital stellt nach Bourdieu akkumulierte Arbeit dar: Diese kann in materieller oder verinnerlichter Form auftreten und hat weiterhin die kennzeichnende Eigenschaft, „ebenso Profite [zu] produzieren wie sich selbst [zu] reproduzieren oder auch [zu] wachsen.“ Feststellbar ist nach Bourdieu also, dass sich Kapital durch Einsatz nicht abnutzt, sondern sich durch Gebrauch vermehrt. Bourdieu entwickelt dabei verschiedene Kapitalformen, welche praxiswirksame Machtmittel darstellen: zum Beispiel ökonomisches, kulturelles sowie soziales Kapital. 

 

Für die Konzeption des gaming capital ist besonders das kulturelle Kapital von Interesse. Kulturelles Kapital, später von Bourdieu selbst auch als Informationskapital bezeichnet, kann in drei Aggregatformen auftreten. In „inkorporiertem Zustand“ verweist es auf kulturelle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, welche man durch Bildung selbstverantwortlich erwerben kann. Obwohl der Begriff der Bildung, übrigens durchaus auch schul- oder universitärexterne Bildung, im Mittelpunkt stehen dürfte, umschließt kulturelles Kapital noch weitere Felder. Dabei kann es sich um Umgangsformen und Kenntnis von der Nutzung von Kulturgütern und -artefakten handeln; hinsichtlich digitaler Spiele bedeutet dies aber auch Wissen um den Umgang mit spezifischen Codes für Kommunikation. Auch die Namensgebung fiktionaler Charaktere kann eine Rolle spielen: MitspielerInnen anerkennen und würdigen etwa das Wissen um intertextuelle Bezüge. So verraten womöglich bestimmte, selbstgewählte Avatar-Namen das Wissen und die Kenntnis von Namen literarischer Vorbilder, welche hohes Ansehen unter der Mitspielenden genießen. Die zweite Aggregatsform, in der kulturelles Kapital nach Bourdieu auftreten kann, ist das so genannte „objektivierte“ Kapital. Dieses kann in Form von kulturellen Gütern in Erscheinung treten, wozu beispielsweise Bücher, Maschinen, Kunstwerke und ähnliche Gegenstände zu zählen sind. Kulturkapital in objektiviertem Zustand hat einen materiellen Gegenwert und setzt ökonomisches Kapital zu seiner Anschaffung voraus. Bezogen auf Video und Computerspiele kann dieses Kapital in Form der zum Spiel notwendigen Hard- und Software vorliegen. 

 

Die letzte Form von kulturellem Kapital könnte als überlappendes Phänomen bezeichnet werden – schließlich kann sich die dritte Form, „institutionalisiertes“ kulturelles Kapital, gleichzeitig als eine Unterart des so genannten symbolischen Kapitals manifestieren. Institutionalisierung bedeutet in diesem Fall, dass ein Mangel der personalisierten Körpergebundenheit des inkorporierten Kapitals ausgeglichen werden kann – symbolisches Kapital kann durchaus auch als Prestige, Ehre oder Renommee beziehungsweise Reputation verstanden werden. Natürlich setzt die Anerkennung symbolischen Kapitals voraus, dass auf der Grundlage gemeinsamer kultureller und sozialer Muster und Rahmen gehandelt wird. Die genannten Spielarten des kulturellen Kapitals lassen sich unterschiedlicher Verdichtung im Verständnis Consalvos von gaming capital wiederfinden. Clara Fernández-Vara stellt die Forderung auf: „As game analysts, our gaming capital defines us, so we have to consider how our gaming capital is set up“ – daher lade ich Euch ein, gerne einmal über Euer eigenes gaming capital nachzudenken: Wie lange spielt Ihr schon? Wie intensiv? Welche Spiele oder welches Genre besonders tiefgehend? Habt Ihr zur Spielepresse Kontakte oder zu Spieleforschung? Wie sind diese ausgestaltet? Schreibt Ihr selbst über Spiele oder seid seit Jahren im Let’s-Play-Geschäft tätig? 

 

Ich zum Beispiel bin mir darüber im Klaren, dass ich aufgrund meiner privaten, beruflichen wie akademischen Vita auf kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Ebene mit meinem Forschungsgegenstand, also Video- und Computerspielen, eng verbunden bin und bringe dies deutlich in Forschungsarbeiten zum Ausdruck. Eine solche reflektierte Offenlegung der eigenen Ludo-Biographie kann keine komplette Abbildung von „accumulated knowledge, mood, culture, and various ideological and social orientations“ leisten und eine dergestalte Verortung ersetzt mitnichten eine theoretische Rahmengebung. Das Darlegen der ludischen Sozialisation ist nach diesem Verständnis somit als Ergänzung im Sinne der niederländischen Spieleforscherin Sybille Lammes zu werten: 

„It seems to me that reflexivity may proof a valuable tool for a lot of game-research. It offers a methodological instrument that can make the playing of the game part of our quest, without having to let go of our observational role as academics. Instead a more complex process of observation is being made part of our academic endeavours. Reflexivity thus offers a means to secure play as a central focus when studying games as culture“.

 

Quellen und Verweise:

Mia Consalvo: Cheating: Gaining Advantage in Video Games. Cambridge, 2007. S.4.

 Vgl. Frans Mäyrä: Gaming Culture at the Boundaries of Play. In: Game Studies. URL: http://gamestudies.org/1001/articles/mayra Erstellt: April 2010 Letzter Zugriff: 04.09.2015.

Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen. Frankfurt a.M., 1985. S.10.

Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg, 1997. S.49f.

Vgl. Heather M. Mello: Invoking the avatar. Gaming Skills as Cultural and out-of-game capital. S.175-198. In: J. Patrick Williams/ Sean Q. Hendricks/ W. Keith Winkler (Hg.): Gaming as Culture. Essays on Reality, Identity and Experience in Fantasy Games. Jefferson/ London, 2006. S.178.

Vgl. Alison Harvey: Gender, Age, and Digital Games in the Domestic Context. New York, 2015. S.133. Ebenso: Tom Apperley: Gaming Rhythms: Play and Counterplay from the Situated to the Global. Amsterdam, 2010. S.71-74.

 Clara Fernández-Vara: Introduction to Game Analysis. Kindle Edition. loc. 906-7. Letzter Zugriff: 06.02.2015

Tamer Thabet: Video Game Narrative and Criticism: Playing the Story. New York, 2015. S.6.

Sybille Lammes: Approaching game-studies: towards a reflexive methodology of games as situated cultures. URL: http://www.digra.org/wp-content/uploads/digital-library/07311.28016.pdf Erstellt: 2007. Letzter Zugriff: 18.09.2015.

Über Rudolf Inderst

Geboren 1978 in München, studierte Poltikwissenschaften in München und Kopenhagen. 2009 schloss er seine Promotion zur "Vergemeinschaftung in MMORPGs" in Amerikanischer Kulturgeschichte ab. Als freier Autor schreibt er für unterschiedliche Portale und Publikationen zu den Themen digitales Spiel und Film. Auch als Herausgeber diverser Game-Studies-Sammelbände ist er immer wieder umtriebig, spielt immer wieder Basketball und praktiziert freudvoll Krav Maga. Liebt Stanislaw Lem, Comics und satte B-Medien. Wird nervös, wenn er seinen Status in sozialen Netzwerken nicht zu jeder 30. Minute ändert. Trägt gerne Bart.

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