Es tut weh, über Evoland zu schreiben. Das hat zwei simple Gründe: Niemand, der über Spiele schreibt, hackt gerne auf den unabhängigen Entwicklern rum, denn sie sind die Lieblinge der Fedora-Kinnbart-Spielekritiker. Die benutzen dann ganz große Wörter wie etwa „Ludonarrative Dissonanz“, „Ian Bogost“ oder „Arschloch“, weil sie Spiele auf einer höheren Existenzebene verstehen. Nach den kleinen Entwicklern zu treten ist außerdem extrem unsportlich, denn die können sich nachweislich nicht wehren. Ein weiser alter Mann sagte jedoch einmal, dass jedes Spiel unabhängig von seiner Herkunft bestehen muss: Sollte es von daher überhaupt eine Rolle spielen, ob ein Millionenbudget oder ein Wohnzimmerentwickler hinter dem Werk steht? Nicht wirklich. Also: Auf Wiedersehen, Indie-Bonus!
Evoland kratzt in seinen besten Momenten an der Nostalgie-Oberfläche, stolpert aber über blasse Zitate und blöde Anspielungen. Die Idee ist hingegen grandios – eine Reise durch die Geschichte der Bildschirm-Rollenspiele, verpackt als Bildschirm-Rollenspiel. Der Spieler schwertert also durch die Welt und sucht nach einem Abenteuer.
Der Witz: Technologische Errungenschaften aus der Genre-Geschichte findet der Spieler in Truhen. So findet er etwa höher aufgelöste Grafik oder ein rundenbasiertes Kampfsystem, oder aber die Fähigkeit, Erfahrungspunkte zu sammeln und seine Fähigkeiten zu verbessern.
Ein Gimmick, sie alle zu Binden
Das Genre mit den Techniken des Genres aufzuarbeiten erinnert entfernt an Understanding Comics von Scott McCloud, erreicht aber niemals dessen Tiefe. Muss es auch nicht. Doch etwas mehr Kontext hätte dem Titel gut gestanden. Evoland spielt nur mit dem Genre. Es will nichts erklären. Wer also keine Ahnung von Rollenspielen hat, wird nach dem Spiel nicht mehr wissen als vorher. Das ist schade und eine verschenkte Chance.
Wenn die Ansätze schon da sind, dann ärgert es, sie verkümmern zu sehen. Ebenso ärgerlich: Die Reise durch die Zeit wirkt kaum auf den Spielverlauf ein. Statt z.B. eine schärfere Schwert-Textur zu finden, die einen höheren Schaden verursacht, verbessert der Spieler den Look der ganzen Welt – ohne Konsequenzen, die weiter reichen als der Wechsel des Kampfsystems. Schönere Welten, gleiches Spiel; fast ist es, als taumelte Evoland ins Reich der Kritik und fragte, ob Rollenspiele abseits von Optik und Klang überhaupt gewachsen sind.
Wenn das Genre jedoch dann wächst, passt das Evoland auch nicht. In einem späteren Abschnitt parodiert das Spiel Sammelorgien im Stil von Diablo oder Torchlight. Jeder Ring, jede Rüstung, jeder Schuh hat einen „lustigen“ Namen und einen völlig unnützen Bonus – etwa „+300 Schaden gegen Steinwände“ oder „5% Chance, einen Gegenstand zu finden, der nützlich ist.“
Im Spiel kommentiert ein Achievement-Fenster die grafischen und spielerischen Meilensteine, die der Spieler findet. Doch nur wenige davon sind tatsächlich so locker, wie es ihr Text impliziert. Zeitweise wirken Sprüche wie etwa „Warte nur, bis die vierte Dimension erscheint!“ oder aber „Warum sind eigentlich immer so viele Kinder in Videospielen?“ so bemüht wie der Auftritt eines drittklassigen Stand-Up-Komikers vor dreiköpfigem Publikum.
Hey Kids, Remember This?
Es gibt diese wunderbare Szene in Jay and Silent Bob Strike Back, in der der „Cockknocker“ die Titelhelden angreift. Das Bild hält für einen Moment an und blendet folgenden Text ein: „Hey Kids! It’s Mark Hamill! Applause!“
Evoland ist genau dieser Gag, ausgedehnt auf mehrere Stunden. Ständig zeigt das Spiel auf die Kuriositäten vergangener Zeiten und fragt: „Na, erinnert ihr euch dran? Wir erinnern uns dran. Applaus!“ Das reicht von kleinen Details wie etwa simulierten CD-Ladezeiten aus der Playstation-Ära bis hin zum Schwert von Cloud aus Final Fantasy VII – das Spiel fragt sogar, ob dies dem Spieler bekannt vorkommt. Das liegt vom Niveau noch unter Hyperdimension Neptunia, und wenn Hyperdimension Neptunia eine bessere Parodie ist als dein Spiel, hat dein Spiel ernste Probleme.
Selten sind die Zitate subtiler: So kann der Spieler später in einem Wald durch die Zeit reisen. Er verändert hier die Ansicht von dreidimensionalen Modellen auf 2D-Sprites, und umgekehrt, um Rätsel zu lösen. Das erinnert dezent an die Zeitreise aus Ocarina of Time, macht aber nur etwa zehn Minuten lang Spaß.
Das schlimmste VerGehen
Am Ende des Tages gibt es zwei Gründe, warum wir Rollenspiele spielen. Einer befriedigt unsere Lust auf Geschichten und fremde Welten. Der andere appelliert an unsere Optimierungswut, daran, dass wir besser werden und „aufleveln“ wollen. Doch Evoland fliegt mit beidem auf die Fresse: Für ein Gefühl des Fortschritts sind die einzelnen Abschnitte zu unterschiedlich, zu schwach miteinander verbunden. So hat das Inventar, das der Spieler im Diablo-Abschnitt sammelt, außerhalb von diesem Abschnitt keine Bedeutung.
Das wäre zu verkraften, wenn das Spiel eine gute Geschichte hätte. Die ist jedoch sofort vergessen. Noch schlimmer: Die wechselnden Grafikstile, durch die der Spieler reist, spannt Evoland nicht in seine Geschichte ein. Dabei wäre das großartiger Stoff für eine Geschichte um Veränderung und den Wandel der Zeit gewesen.
Um es ein wenig blödsinnig zu sagen (und wann waren Videospiele jemals nicht blödsinnig?): Wie leben die Charaktere damit, wenn sie plötzlich in einer zusätzlichen Dimension denken müssen? Flüchten sie in die zweidimensionale Welt? Begrüßen sie die neue? Gibt es Kämpfe zwischen den Anhängern der Genres?
Hommage, Oder Faulheit
Das ist der zweite Grund, warum es schmerzt, über Evoland zu schreiben: Es steckt voller Ideen, die es nicht nutzt. Es bleibt bei Zitaten, es gibt keine Statements, es nutzt die Geschichte der Rollenspiele nicht, um eine eigene, packende Geschichte zu erzählen. Statt dessen rollt es im Schatten vergangener Klassiker umher.
Fans von Rollenspielen nennen das vielleicht einen Liebesbrief ans Genre; ich nenne es einen lieblosen Frankenstein, aus geklauten Spielfragmenten zusammengesetzt, zugenäht mit einem Minimum an eigenen Ideen. Und bevor jemand Einspruch erheben kann, kaufe ich mir jetzt einen Fedora und installiere endlich mal Planescape Torment.
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