Kingdom Come: Deliverance – Das Mittelalter-RPG im Review

Kingdom Come: Deliverance – Das Mittelalter-RPG im Review

von am 27.02.2018 - 19:16
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Kingdom Come Deliverance hat einen weiten Weg hinter sich. Ursprünglich startete die Kickstarter-Kampagne des Rollenspiels bereits im Jahre 2013 und schon damals kam das Konzept eines historisch korrekten Mittelalter-RPGs, ohne irgendwelche Fantasy-Elemente, gut an. So kamen stolze 1,2 Millionen Euro von knapp über 35000 Unterstützern zusammen, bevor später Koch Media als Co-Publisher mit in das Projekt einstieg. In der Zwischenzeit hat sich viel getan. Aus der ersten Gameplay-Demo, die man am ehesten noch als besseren Wander-Simulator bezeichnen konnte, ist ein vollwertiges Rollenspiel geworden. Die letzten Trailer überzeugten mit wunderschöner Grafik, realistischen Animationen und einer tollen Synchronisation. Doch kann ein relativ unerfahrenes Entwicklerteam wie die Warhorse Studios mit einem vergleichsweise kleinen Budget tatsächlich ein Rollenspiel schaffen, das es mit der großen Konkurrenz aufnehmen kann? Wir haben uns für euch ins mittelalterliche Böhmen begeben, um dieser Frage auf den Grund zu gehen…

Die Geschichte beginnt im Jahre 1403. König Sigismund, Herrscher von Ungarn und Halbbruder des böhmischen Königs, versucht seine Macht im Reich auszudehnen. Blutige Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung und vor allem das einfache Volk leidet unter dem Konflikt.

Böhmen erleben und sterben

In diesen unruhigen Zeiten schlüpfen wir in die Haut von Heinrich, Sohn des Skalitzer Schmieds und zu Beginn des Abenteuers eher jugendlicher Heißsporn, als echtes Helden-Material. Nach einer durchzechten Nacht werden wir unsanft geweckt und sollen Heinrichs Vater bei der Arbeit zur Hand gehen. Das Schwert für Herrn Radzig, den hiesigen Lehnsherren muss fertig gestellt werden. So werden wir mit der Aufgabe betraut, die dafür benötigten Materialien im Dorf zu besorgen.

Die Menschen im beschaulichen Örtchen Skalitz gehen dabei wie immer ihrem Tagesgeschäft nach. Unterschiedliche Händler bieten verschiedenste Waren an ihren Ständen an, einfache Dorfbewohner stehen auf dem Feld oder unterhalten sich lautstark in der Schenke und irgend ein armer Tropf steckt im Pranger auf dem Marktplatz. Schon die ersten Momente vermitteln echtes Mittelalter-Flair. Wer besonders tief in die historischen Begebenheiten eintauchen möchte, darf sich über einen sich ständig erweiternden Kodex freuen. Jede Entdeckung die wir machen, sei es eine geschichtliche Begebenheit, eine historisch relevante Person oder einfach nur der Status bestimmter Volksgruppen, wird mit einem neuen Kodex-Eintrag eingehender beleuchtet und das nicht zu knapp! Die Menge an historischen Hintergrundfakten stellt sogar die der Assassins Creed Reihe in den Schatten. Schon hieran merkt man, dass die Entwickler selbst große Fans dieser Epoche sind und wie viel Liebe zum Detail in die Entwicklung geflossen ist.

Kingdom Come: Deliverance Review

Der Steinmetz bei der Arbeit

Nach der ersten Erkundung unseres Heimat-Dörfchens machen wir uns jedoch wieder an unsere erste Aufgabe. Um die benötigten Materialien für Herr Ratzigs Schwert zu kaufen, benötigen wir nämlich zuerst einmal etwas Silber. Dieses sollen wir von einem Dorfbewohner besorgen, der unserem Vater noch Geld schuldet. Und bereits hier zeichnet sich ab, was später für die meisten Quests gilt: Das Spiel nimmt uns nicht bei der Hand! Der Dorfbewohner ist offenbar ein raubeiniger Trunkenbold und all unsere Überredungsversuche uns das Geld auszuhändigen scheitern. Gehen wir nun zurück zu Heinrichs Vater, versuchen anderweitig Geld aufzutreiben oder werden wir gegenüber dem Trunkenbold handgreiflich? Wir haben uns für letztere Methode entschieden und einige Blessuren und Kratzer später liegt der Trunkenbold geschlagen vor uns am Boden. Mit dem gewonnenen Geld besorgen wir das Arbeitsmaterial und kehren stolz zu Heinrichs Vater zurück. Gemeinsam setzen die beiden Männer das Schwert des Adeligen zusammen.

Doch kurz darauf nimmt die Geschichte einen tragischen Verlauf. König Sigismunds Armee überfällt das Dorf und hinterlässt nichts als Tod und Verwüstung. Dabei muss Heinrich ansehen, wie seine Eltern vor seinen Augen ermordet werden. Und nicht nur das! Bei der Flucht aus Skalitz, geht auch das frisch geschmiedete Schwert verloren und das obwohl wir Heinrichs Vater versprochen haben es Herrn Ratzig zu übergeben.

(Noch ein kleines Beispiel für die Freiheiten die Kingdom Come: Deliverance bietet: Hätten wir während der ersten Mission zu viel Schindluder getrieben und wären beispielsweise bei einem Einbruchsversuch oder ähnlichem erwischt worden, dann hätten wir die Zeit bis zu Sigismunds Angriff im Kerker absitzen müssen.)

Sigismunds Armee greift an

das spitze ende zeigt nach oben

Hier beginnt nun Heinrichs eigentliche Geschichte. Der unerfahrene Jüngling dürstet nicht nur nach Rache für den Tod seiner Eltern. Die Ehre verlangt auch, dass wir das gestohlene Schwert zurückbringen und wie versprochen Herrn Ratzig übergeben. Dieser hat den Angriff nämlich ebenfalls unbeschadet überstanden und den jungen Heinrich in seine Dienste gestellt. Doch anders als in den meisten anderen Rollenspielen, betraut uns der Adelige nicht direkt mit einer wichtigen Mission.

Als unausgebildeter Sohn eines einfachen Schmieds, müssen wir erst einmal lernen wie wir im gefährlichen Mittelalter überleben können, denn ohne die rechte Ausbildung ist ein Schwert in Heinrichs Händen nicht gefährlicher als ein spitzer Stock.

Der richtige Einsatz von schwachen und starken Angriffen, ein perfekter Block inklusive Riposte oder dem Antäuschen eines Schlages, erfordern gutes Timing und jede Menge Übung. Und auch das Bogenschießen (ohne Fadenkreuz oder andere Hilfsmittel) will erst gelernt werden. Diese und weitere Fähigkeiten können wir von Meistern gegen bare Münze erlernen oder durch Anwendung (also Übung) weiter verbessern. Auch das Lesen eines Buches stärkt die eigenen Fähigkeiten, vorausgesetzt Heinrich ist in der Lage es zu lesen.

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Die Kämpfe haben es wirklich in sich! Mit dem rechten Stick wählen wir die Angriffsrichtung aus und mit den Schultertasten schlagen wir zu oder blocken.

So verbessern wir im Laufe der Zeit Heinrichs Fähigkeiten in vielen Bereichen. Nicht nur die Hauptwerte wie Stärke, Agilität, Vitalität und Redegewandtheit (um nur einige zu nennen) werden so stufenweise erhöht. Auch Kampffähigkeiten und spezielle Fertigkeiten (wie beispielsweise Alchemie, Heimlichkeit oder Jagen) werden weiter gesteigert. Alle paar Fortschrittsstufen schalten wir dabei neue Fähigkeiten und Perks für Heinrich frei, doch die Anzahl der freizuschaltenden Fähigkeiten ist begrenzt. Einige Fähigkeiten lassen sich zudem nicht mit bestimmten anderen kombinieren und so muss man sich entscheiden welche Fähigkeiten zum eigenen Spielstil passen. Rennt man lieber schnell oder ausdauernder? Verbessert man Heinrichs Redegewandtheit lieber gegenüber dem Adel oder dem einfachen Volk? Schon hier gilt es essentielle Entscheidungen zu treffen.

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Ob Fähigkeiten, Inventar oder Questlog. Das Menü ist sehr übersichtlich strukturiert.

Doch allein mit verbesserten Charakterwerten kommt man nicht weit. Einige der spielinternen Tätigkeiten werden durch kleine Minispiele angewandt und auch diese benötigen Übung. Was in vielen anderen Spielen über einen simplen Knopfdruck ausgeführt wird, braucht in Kingdom Come: Deliverance Einarbeitung und Geduld. Überhaupt gibt das Spiel in vielen Bereichen ein eher gemächliches Tempo vor, was nicht jedem Spieler schmecken wird. Doch dazu später mehr…

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist zudem die angelegte Ausrüstung. Für den Kampf ist eine dicke Rüstung natürlich vorteilhaft, doch jeder Ausrüstungsgegenstand besitzt auch Werte für Auffälligkeit und den Lärm, den man bei Bewegungen macht. So sollte man bei der Jagd oder einem Einbruch lieber unauffällige Kleidung tragen, mit der man sich möglichst lautlos bewegen kann. Zusätzlich beeinflusst das Äußere auch die Dialogoptionen. Mit edler Kleidung beeindruckt man sein Gegenüber natürlich leichter, während schwere Rüstungen (sowie der ein oder andere Blutspritzer) dabei helfen, den Gesprächspartner einzuschüchtern.

Gemütlich durchs Mittelalter

Wie zuvor erwähnt gibt das Spiel ein sehr gemächliches Tempo vor. Nachdem wir vom Hauptmann der Wache die Grundlagen des Schwertkampfes erlernt haben, stehen erst einmal simple Aufgaben wie Wachdienst schieben oder die Teilnahme an einem Jagdausflug an. Zu Kämpfen oder sonderlich viel Action kommt es dabei noch nicht. Und auch im späteren Spielverlauf spielt schnelle Action eher eine untergeordnete Rolle. Wer will, kann sämtliche körperliche Auseinandersetzungen sogar komplett vermeiden.

Doch auch die, die den Kampf suchen, werden sich an das gemächliche Spieltempo gewöhnen müssen. Da die NPCs ebenso ihrem geregelten Tagesablauf folgen, kann es immer wieder vorkommen, dass man bei Nacht vor verschlossenen Türen steht oder eine bestimmte Zielperson noch seelenruhig vor sich hin döst, während man eigentlich nur schnell mit der Person sprechen, und so die Quest abschließen wollte. Dadurch ist es häufig nötig eine Übernachtungsmöglichkeit aufzusuchen. Auch deshalb weil Heinrich immer wieder essen und schlafen muss, um bei Kräften zu bleiben.

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In jedem Gasthaus finden sich Gegner für ein kleines Würfelspiel.

Schnellreisen und Abwarten (also das Springen zu einer bestimmten Tageszeit) sind zwar möglich, dauern aber dennoch recht lange. Nutzt man die Schnellreisefunktion, kann man nur dabei zusehen wie sich Heinrich sehr, sehr langsam über die Karte bewegt. Das mag in vereinzelten Situationen nicht stören, doch wenn man öfters über die Karte schnell von einem Punkt zum anderen reisen möchte, zehrt diese aufgezwungene Langsamkeit doch recht bald an den Nerven.

Ein weiterer Punkt, der ungeduldige Spielernaturen schnell ausbremsen dürfte, ist das Speichersystem. Denn Kingdom Come: Deliverance speichert den aktuellen Fortschritt nur zu Beginn und am Ende einer Aufgabe, oder nachdem Heinrich geschlafen hat. Die einzige Möglichkeit frei zu speichern findet sich in Form von Retterschnapps. Dieses alkoholische Getränk kann in Gasthäusern (zu horrenden Preisen) erworben werden oder man braut es sich selbst, die entsprechende Stufe in Alchemie vorausgesetzt. Somit fällt allzu häufiges Speichern also flach. Dieser Ansatz ist im Grunde nicht schlecht, schließlich kann man so als Spieler nicht immer auf Nummer sicher gehen, sondern muss auch mal einen unerwarteten Quest-Ausgang akzeptieren. Doch leider macht den Entwicklern hier die Technik einen Strich durch die Rechnung.

Die tücken der Technik

Kingdom Come: Deliverance sieht ohne jede Frage wirklich verdammt gut aus. Vor allem die, realen Orten nachempfundene Landschaft, hinterlässt einen natürlichen Eindruck. Saftige Wiesen, überwucherte Flussufer oder finstere Wälder, sehen hier so realistisch und natürlich aus wie in keinem anderen Spiel zuvor. Auch die Charaktere können großteils überzeugen. Doch schaut man genauer hin lassen sich einige technische Macken entdecken. So laden Texturen häufig erst verspätet nach, und die mehrschichtigen Klamotten der NPCs leiden gerne mal unter Clipping-Fehlern. Und auch die eigentlich gelungene deutsche Sprachausgabe kommt nicht fehlerfrei daher. „Lippensynchron“ ist hier so gut wie garnichts. Zusätzlich bricht die Tonspur stellenweise mitten im Satz ab oder wechselt schon mal komplett auf Englisch.

Kingdom Come: Deliverance Review

Doch diese audiovisuellen Fehler sind nur die Spitze des Eisbergs! So beschließt das Spiel hin und wieder auch mal garnicht zu speichern, obwohl wir gerade eine Quest abgeschlossen haben. Oder (noch ärgerlicher) während wir einen Alchemie-Tisch nutzen wollen, um neue Tränke zu brauen, hebt Heinrich plötzlich ab und schwebt durch die Decke des Hauses, nur um Sekunden später in den Tod zu stürzen! Solche und ähnliche Fehler sind natürlich besonders ärgerlich, da man nicht frei speichern kann! Nicht nur einmal musste ich deshalb einen älteren Spielstand laden und die Komplette Quest noch einmal absolvieren.

ein zweischneidiges schwert

Es ist zwar wirklich schade, doch Kingdome Come: Deliverance steht sich leider viel zu oft selbst im Weg. So leiden die grundsätzlich interessanten und abwechslungsreichen Quests enorm unter den zahlreichen Bugs, sowie der Notwendigkeit, oftmals einen Abschnitt erneut spielen zu müssen. Auch die eigentlich hochwertigen Zwischensequenzen büßen durch Tonaussetzer und asynchrone Lippenbewegungen an Qualität ein. Hinzu kommen noch zumeist kurze, aber viel zu häufige Ladezeiten.

Dem gegenüber stehen die toll designte, lebendige Welt und das tiefschürfende Rollenspielsystem, mitsamt der enormen spielerischen Freiheit. Diese zieht sich auch bis zu den Nebenquests durch. Die meisten dieser Nebenaufgaben drehen sich zwar eher um simple Tätigkeiten, wie das Erlegen bestimmter Tiere oder die Teilnahme an einem Bogenschieß-Wettbewerb. Doch darüber hinaus gibt es auch sehr interessante Aufgaben zu entdecken. Beispielsweise kann Heinrich einem vermeintlichen Hexenzirkel auf die Spur kommen oder dem örtlichen Henker in Herzensangelegenheiten unter die Arme greifen.

Kingdom Come: Deliverance Review

Auch die Map sieht klasse aus!

Ich jedenfalls konnte den Ausflug ins Mittelalter trotz der technischen Macken genießen. Denn in seinen besten Momenten inszeniert Kingdom Come: Deliverance eine unglaublich atmosphärische Welt, in der man für viele Stunden versinken kann. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Entwickler weiter am Ball bleiben und die vielen Bugs ausmerzen.

Fazit

Kingdom Come: Deliverance

von am 27.02.2018

Kingdom Come: Deliverance ist ein zweischneidiges Schwert. Das enorm umfangreiche Rollenspielsystem, mit seinen vielen individuell steigerbaren Fähig- und Fertigkeiten, wissen zu begeistern. Ebenso das offene Questdesign. Auch der Einfluss der Kleidung auf Heinrichs Dialogoptionen ist eine gelungene Idee, die hoffentlich Schule macht. Das gemächliche Spieltempo dürfte jedoch viele Spieler abschrecken. Die technischen Probleme sind hingegen ein größeres Ärgernis. Hier hätten ein oder zwei Monate mehr Entwicklungszeit sicher nicht geschadet. Nichtsdestotrotz bleibt Kingdom Come: Deliverance ein gelungener Titel für Hardcore-Rollenspieler auf der Suche nach neuem Futter.

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