Wenn wir ins Weltall aufbrechen wollen, dann wissen unsere Bücher, Filme und Spiele vor allem eins: Es geht nur, wenn die Menschen zusammenarbeiten. Wir finden nur selten Geschichten, in denen einzelne Nationen ins Weltall springen – in Star Trek geht’s eben nicht um die USA im Weltall, sondern um die gesamte Menschheit, die zusammen am großen Utopia arbeitet. Und so ist es auch mit Star Citizen: Selbst wenn der Sprung ins Weltall nur ein virtueller ist, erfordert er doch die Zusammenarbeit von Menschen aus mittlerweile über 200 Nationen, die gemeinsam an den großen Traum glauben.
Als ich am Donnerstag vor dem Stand von Cloud Imperium Games warte, möchte ich noch nicht an diesen Traum glauben. Die Medien sind immerhin voll mit Beiträgen, die den Untergang des Projekts prophezeien. „Star Citizen ist zu ambitioniert“, heißt es. Und wenn Cloud Imperium dann etwa ein Ego-Shooter-Modul ankündigt, dann frage ich mich nicht nur, ob es den Fans das Blaue vom Himmel verspricht. Ich frage mich auch, warum ein Raumschiff-Spiel überhaupt einen Ego-Shooter im Gepäck tragen muss.
Skepsis
Meine ersten Minuten in der Präsentation von Chris Roberts lassen noch nicht erahnen, dass ich am Ende völlig sprachlos den Raum verlassen werden. Chris spielt uns das sogenannte „Social Module“ vor – Spieler sollen immerhin später auf einem Planeten landen können, um mit anderen Spielern zu interagieren. Mit Maus und Tastatur führt er uns durch noch sehr leere Räume, die zwar toll aussehen, aber eben noch nicht fertig sind – so fehlen zum Beispiel Nichtspieler-Charaktere. Zwischendurch funktionieren Maus und Tastatur nicht mehr, Chris muss zum Gamepad greifen. Nach einem Schuss hängt einer von Chris‘ Mitspielern in der Luft, die Beine baumeln leblos herum.
Auch der Star Marine-Ego-Shooter wirkt unfertig, was unter anderem aber auch an der geringen Spielerzahl liegt: Auf einer viel zu großen Karte suchen fünf Spieler ihre Mitspieler. Das zieht sich in die Länge, spannender ist dabei, dass Chris erklärt, warum Cloud Imperium den Shooter-Teil verschieben musste. Der Grund sind die Animationen – da Star Citizen die Immersion des Spielers konstant aufrecht erhalten möchte, müssen alle Animationen sitzen, etwa beispielsweise beim seitlichen Laufen mit dem Gewehr (Strafen): Chris erzählt, dass das Team eine lange Zeit daran arbeiten musste, die Gewichtsverlagerung beim Stop des seitlichen Laufens korrekt darzustellen. Das Team musste sich Militär-Trainingsvideos ansehen, um es richtig zu machen.
Doch Star Citizen stellt die Entwickler auch vor andere Probleme: Die Größe des Universums erfordert es zum Beispiel, den sogenannten „Address Space“ von 32 auf 64bit umzustellen, um ein wirklich massives Universum bauen zu können. Dieses Universum passt dabei nicht in den Hauptspeicher – dafür hat Cloud Imperium ein sogenanntes Zonen-System entwickelt, das verschiedene Bereiche des Weltraums in Container aufteilt, die das Spiel je nach Position des Spielers in den Speicher streamt. Nicht zuletzt musste Cloud Imperium außerdem einen Weg finden, um sogenannte „rigid objects“, also feste Objekte wie etwa die Spieler-Figur, innerhalb anderer rigid objects zu simulieren und ihnen eine eigene Physik zu geben, damit es möglich ist, sich auf Raumschiffen, Raumstationen und im Weltall zu bewegen.
Warum das wichtig ist, will sich mir noch nicht richtig erschließen: Doch ich soll es bald lernen. Chris zeigt uns die Multi-Crew-Demo, in der die einzelnen Teile des Puzzles endlich zusammen kommen.
Erkenntnis
Die Demonstration beginnt in der Kabine eines Spielers – ein karger Raum. Es gibt eine Mission, der Spieler soll ein Wrack bergen, das in einem Asteroidenfeld in der Nähe eines Mondes liegt. Nachdem er seinen Helm aufgesetzt hat, begibt er sich in die Lobby – hier stehen die anderen Spieler in ihren Rüstungen. Sie gehen durch die Luftschleuse, steigen auf die Landeplattform, die im Schatten der riesigen, rotierenden Außenringe der Station liegt.
Zwei der Spieler steigen in ihre Raumjäger ein, und ich sehe sofort, warum Cloud Imperium so viel Zeit in die Animationen investiert – wenn die anderen Spieler in ihre Cockpits klettern, dann klettern sie tatsächlich in ein Cockpit. Niemand teleportiert sich auf magische Art in den Pilotensitz.
Die restlichen drei Mitspieler betreten einen Frachter durch die hintere Laderampe. Einer steigt in den Pilotensitz, die beiden anderen nehmen im Frachtraum Platz. Sie starten, und hier beginnt die “Magie”: Chris bittet einen der Spieler, ins Cockpit des Frachters zu gehen. Auf dem Bildschirm eines Jäger-Piloten, der am Frachter vorbefliegt, können wir durch das verglaste Cockpit sehen, wie der Spieler ins Cockpit kommt.
Das liest sich vielleicht nicht sonderlich spannend, ist aber tatsächlich etwas, das es vorher noch nicht gab. Und es ist ein wichtiger Teil der Vision von einer lebendigen Weltall-Simulation, die nicht mehr nur von Schiffen, sondern auch von menschlichen Spielfiguren bestimmt wird. Nur ein Beispiel: Letztes Jahr war ich von Elite: Dangerous begeistert, weil ich von außen in eine Raumstation sehen konnte und dort Bäume und Häuser im Außenring erkennen konnte. Star Citizen geht noch einen Schritt weiter. Stellt euch vor, ihr dockt an eine Station an, seht durch die Fenster und seht einen Haufen von Menschen, die alle ihrem Tagesablauf folgen – und jeder von ihnen ist tatsächlich ein Mensch und keine vom Computer gesteuerte Figur.
Chris Roberts, Rockstar
Einen Tag später mache ich mich auf zum E-Werk in Köln. Hier findet das Fan Event zu Star Citizen statt. Noch habe ich keine Ahnung, was mich erwarten soll, doch ich lerne es schnell: Hier, wo normalerweise Konzerte stattfinden, treffen sich heute Star Citizen-Fans, und sie kommen teilweise von weit her: Ein Fan kommt zum Beispiel aus Schweden. Ein paar Spieler sind in Verkleidung angereist, andere haben sich Clan-Shirts mit Emblem und Gamertag drucken lassen.
Neben der Haupthalle können Fans besondere Schiffe fürs Spiel kaufen – die Preise gehen in die hunderte. Doch die Sternenbürger sind es gewohnt, viel Geld in das Spiel zu investieren: Der Fan aus Schweden hat, wie er mir erzählt, beinahe 3000 US-Dollar investiert. Ein Schiff möchte er heute jedoch nicht kaufen. Ein anderer Fan, den ich treffe, hat ungefähr 1500 Dollar investiert – da rechnet er auch schon das 350 Dollar-Schiff mit ein, dass er sich gerade eben gekauft hat. Die Besitzurkunde ist auf eine transparente Folie gedruckt – futuristisch, und fast schon etwas für einen Bilderrahmen.
Ich merke schnell, dass die Fans wirklich an Star Citizen glauben. Als ich frage, ob sie keine Angst haben, dass das ganze Projekt fehlschlägt, kriege ich eine klare Antwort: „Nein. Nicht mit Chris Roberts.“ Dahinter steht jedoch nicht nur Personenkult, wie man ihn von Gabe „Gaben“ Newell kennt, sondern auch der Wunsch nach einem handfesten, tiefen Spiel für den PC. Die Fans, die ich treffe, sind der harte Kern der PC-Szene, mit handgebauten Rechnern und klaren Präferenzen, was Hardware-Komponenten angeht, und sie wollen ein Spiel, dass Hardware und Spieler fordert. Star Citizen verspricht das, auch wenn es noch ein langer Weg zu sein scheint.
Als Chris Roberts dann zur Präsentation auf die Bühne kommt, feiern ihn die Fans dann auch wie einen Rockstar – und das meine ich ernst. Ich habe manchen Metal-Headliner gesehen, der weniger stürmisch begrüßt wurde. In den nächsten zwei Stunden stellt er die Fortschritte des Spiels vor. Einige habe ich bereits am Vortag gesehen, andere noch nicht – unter anderem stellt Cloud Imperium eine Kooperation mit Saitek vor, um eigene, modulare Flightsticks und einen „kompletten Produktkatalog“ für Star Citizen zu produzieren, also auch Mäuse und Headsets. Außerdem sollen es neue Community-Tools ermöglichen, Programmfehler effektiver zu bekämpfen.
Das Highlight ist jedoch wieder die Multi-Crew-Demo: Die habe ich zwar auch schon gesehen, aber noch nicht vollständig. Denn an diesem Abend sitzen nicht nur fünf Spieler vor ihren Rechnern, sondern zehn. Und sie spielen in zwei Teams – als das rote Team am Wrack ankommt, zwei der Spieler einsteigen und die Schwerkraft und Energie wiederherstellen, springt ein weiteres Schiff in den Sektor und greift das rote Team an. Es kommt zu einer Raumschlacht, das rote Team gewinnt – doch das gekaperte Schiff ist zu beschädigt, um wieder zur Heimatstation zu fliegen. Etwas, das Chris Roberts und sein Team nicht vorrausgesehen haben, aber zeigt, was im Universum von Star Citizen passieren können wird. Seht es euch an*:
*Anmerkung: Die Live-Demo ist der zweite Versuch, der auf dem Fan-Event gezeigt wurde. Hier schafft es die Crew wieder nach Hause.
Es bleibt spannend
Es ist vielleicht ein ähnliches Phänomen wie mit Half-Life 2. Wir erinnern uns: Eine katastrophale, unfertige Version des Spiels sickerte ins Internet, und plötzlich war das ganze Internet davon überzeugt, dass Half-Life 2 ein Fehlschlag werden würde. Als das fertige Spiel letztendlich erschien, setzte es Maßstäbe. Und das kann Star Citizen auch – nicht nur als größtes Crowfunding-Projekt aller Zeit, nicht nur als technischer Meilenstein. Sondern auch dadurch, dass das Projekt Menschen aus über 200 Ländern der Welt vereint, wie es uns die großen Science Fiction-Welten immer wieder versprochen haben.
Als Chris am Ende der Präsentation fragt, ob er die Demo noch ein zweites Mal starten soll, ist das wie die Zugabe nach einem Konzert. Ich möchte in diesem Moment unbedingt, dass Star Citizen ein Erfolg wird. Nicht nur, damit ein “gutes Spiel” auf den Markt kommt; nicht nur, weil wir nach Gamergate ein Beispiel für die positive Energie der Gaming-Szene gebrauchen können; und nicht nur, um das Vertrauen all dieser Menschen um mich herum belohnt zu sehen. Ich möchte es, weil ich wieder an Utopia glauben kann.
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