Der Himmel im Spiel und seine unterschiedlichen Funktionen
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In fast jedem Spiel sehen wir ihn und in fast jedem Spiel stehen wir quasi direkt unter ihm. Am Horizont erblicken wir ihn immer wieder und gerade in szenischen Abendbildern vermag er uns zu verzaubern. Dennoch bekommt er zu wenig Aufmerksamkeit:
Der Himmel im Videospiel.

Er trägt viele Funktionen, die uns nicht sofort in den Sinn kommen, während wir im neuesten Call of Duty, Borderlands oder GTA durch die Level laufen. Egal ob er die Szenerie nun romantisiert, als Vehikel des Realismus dient, das gesamte Geschehen öffnet oder die Landschaft in ihre ganz eigene Atmosphäre taucht. Der Himmel macht viel aus.

Schlachtfeldromantik

Der Stein zum Anstoß dieser Überlegungen stellt ein Fakt dar, der mir irgendwann klar wurde. In Ego-Shootern, seien es nun Battlefield, Call of Duty oder Spec Ops: The Line, erleben wir als Spieler_innen gewaltigen Terror. Tod, Mord und Gewalt egal wo wir hinsehen. Eigentlich eine Umgebung des Grauens, die jedoch mit schönsten Szenerien konterkariert wird und in dieser an die Ludonarrative Dissonanz erinnernde Diskrepanz, von den genannten Spielen nur bei Spec Ops: The Line thematisiert wird.

Das Panorama über eine weite Landschaft ist fast schon obligatorisch für die Ego-Shooter von Heute. Der Blick soll sich bis in die weitesten Weiten erstrecken können und so viel Pracht wie nur irgendwie möglich einfangen. Genau diese Szene taucht das Schlachtfeld in eine romantische Atmosphäre, die dem Spielenden viel verspricht und ihm oder ihr ein gutes Gefühl gibt. Der Himmel, und damit auch das Wetter, spielen hierfür eine wichtige Rolle.

Himmel Romantisierung

Bestenfalls erleben wir diese Szenen nämlich in den frühen Morgenstunden oder zur Abenddämmerung. Die Morgenröte und ihr spät abendliches Gegenstück legen ihren roter Schleier über das Feld. Die Sonne blendet uns dabei im Idealfall auch noch. Das Staunen wäre fast schon angebracht, hätten wir dieses Bild nicht schon in fast jedem Shooter gesehen.

Während dieser spezielle und gewollte Shot ingame oft der Romantisierung des Gezeigten dienlich ist, sehen wir solche Bilder viel häufiger außerhalb des Spiels, nämlich auf Promo-Bildern, die der Vermarktung des Spieles dienen sollen. Die bewusste Lichtsetzung und Bearbeitung des Himmels sollen gezielt Gefühle in den Betrachtenden auslösen. Gewisse Gefühle des Erhabenen und der Schönheit sollen geweckt werden. Seht euch nur diese Bilder an:

Vergessen sollten wir hierbei jedoch nicht, dass diese Szenen natürlich auch bewusst als Showcase für die Grafik-Leistung des Spieles und der zu Grunde liegenden Engine dienen. Keine Gameplay-Präsentation eines neuen Shooters ohne die Darbietung eines solchen Abschnittes.

Das Vehikel des Realismus

Dass der Himmel aber auch zur Erweckung eines Gefühls von Realität dient, ist klar. Die Unter-Überschrift kommt übrigens nicht von irgendwo, sondern ist inspiriert von Aussagen der Driveclub-Entwickler bei Evolution Studios. Während der gamescom 2013 wurde der Presse vor Ort mehrfach erzählt, dass keine einzige Himmelskulisse der vorherigen gleichen wird. Immer neue Konstellationen, Wolken und Effekte. Wie im echten Leben halt.

Aber nicht nur Driveclub will mit der realistischen Darstellung des Himmels ein Gefühl von Realismus bei den Spielenden hervorrufen. Eine Aufzählung jener Spiele, die dies versuchen, wäre in ihrer Länge nicht zu schreiben, zumindest nicht bei den mir verfügbaren zeitlichen und lustvollen Ressourcen. Im Endeffekt lässt sich sagen, dass ein auf Realismus abzielendes Spiel auch versucht über eine realistische Darstellung des Himmels den Grad an Immersion und Realismus zu steigern. GTA V, The Witcher 3 oder Gran Turismo sollen hier nur beispielhaft stehen.

Himmel GTA V Realismus

Als Öffner des Geschehens

Die Nennungen von GTA V oder The Witcher 3 als Open World-Titel sind natürlich nicht zufällig, denn gerade in diesen Spielen erfüllt der Himmel eine weitere Funktion, indem er die Spielewelt öffnet. Die Open World will die Spielenden zur Erforschung verleiten. Will den Anschein einer offenen Welt erwecken, die hinter jedem Horizont mit weiteren Entdeckung aufwarten kann. Der Horizont soll so breit wie möglich sein und höchstens durch begehbare Berge, die zum erklimmen eben dieser einladen, in seiner Ausstreckung unterbrochen werden.

Der Himmel kann aber auch bei linearen Spielen eine Öffnung der Spielewelt erzeugen, denken wir nur beispielhaft an Halo. Der lineare Pfad des Masterchiefs führt ihn immer wieder an imposanten Szenerien vorbei, die ein Gefühl von Größe erzeugen. Die Arbeit, die Bungie oder nun auch 343 Industries in ihre Skyboxen stecken, erkennen die Spielenden an der filigranen Gestaltung und am dem Fakt, dass große Teile der nicht bespielbaren, aber sichtbaren Umwelt sogar in 3D-Modellen theoretisch begehbar wären.

Himmel Skybox

Entwicklungsgeschichtlich darf hier nicht vergessen werden, dass eine offene und große Welt erst durch eine leistungsstarke Hard- und Software möglich wurde, weshalb der Himmel in älteren Spielen nicht diese öffnende Funktion übernehmen konnte. Stattdessen musste der Horizont bewusst klein gehalten werden. Eine weite Tiefe der Welt war nicht möglich. Denken wir nur an Silent Hill oder an den N64, deren Nebelschwaden in erster Hinsicht das Ziel vor Augen hatten, möglichst wenig der Umgebung berechnen zu müssen. Erst in zweiter Hinsicht sollten sie bestenfalls zum Spiel beitrugen, indem sie zum Beispiel eine gewisse Atmosphäre aufbauten.

Zu diesem Punkt noch eine kleine Hypothese zu Spielen, die unter freiem Himmel stattfinden: Sehen wir uns die Entwicklung von erblickbaren Grenzen in Videospielen an, so wurden die Spielenden in früheren Spielen hauptsächlich an vertikalen Grenzführungen am ungehinderten Fortschreiten gehindert. In heutigen Spielen wurde die Vertikale insofern beibehalten, als dass nach oben aufbauende Grenzziehungen mit nach unten abfallende Hängen ersetzt wurden, um den Schleier der Grenze für die dahinter liegende Weite zu öffnen. Diese Abhänge wechseln sich jedoch mit horizontalen Grenzzügen ab, wie etwa mit Küsten oder großen planen Flächen, die GTA V oder DayZ beispielhaft vorzeigen.

Erzeuger von Atmosphären

Der schon vorher erwähnte Aufbau von Atmosphäre stellt auch schon die letzte Funktion dar, die in diesem kleinen Text erläutert werden soll. Denn so ist gerade die Darstellung der direkten Umgebung konstituierend für die Atmosphäre. Reduzierte Grafik, ein dunkles Zimmer oder eine stürmische Nacht. Die Umgebung schafft Atmo durch verschiedenste Mittel.

Sich mit dem ersten Abschnitt über die Romantisierung überschneidend, gibt es jedoch noch viel mehr Stimmungen, die konstruiert werden können. Besonders das Wetter und das damit verbundene Aufkommen von verschiedenartigen Wolkenformen und -konstellationen sind hier zu erwähnen. So hörten wir nach der GC 2014 Vorführung von The Witcher 3 nicht selten, wie kongenial das Wettersystem sei und Stimmung aufkommen lässt. Im Fallout 3 DLC „Point Lookout“ erzeugt gerade die immer tief hängende Wolkendecke eine beklemmte Atmosphäre.

Für viel weitreichendere Überlegungen zum Begriff der Atmosphäre sei hier Christan Huberts und Sebastian Standkes Sammelband „Zwischen|Welten“ empfohlen. Mit diesem feinen Werk kann keine Person etwas falsch machen.

Himmel Fallout

Interdependenz aller Punkte

Dass all diese Funktionen ein komplexes Zusammenspiel bilden, sollte mehr als klar sein. Keine Funktion tritt in alleiniger Ausbildung auf, sondern wird durch die jeweiligen anderen Aspekte verstärkt und zu einem großen Ganzen ergänzt, das wir dann im fertigen Spiel erblicken können.

In diesen Betrachtungen würden sogar noch viel mehr Aspekte von Wichtigkeit sein. Welche Rolle spielt die Gestaltung von Licht und Schatten beim Aufbau der Atmosphäre und damit auch bei der Romantisierung? Wie sieht der Aufbau von visuellen Grenzen innerhalb von Spielwelten aus? Wie lässt sich die Entwicklungsgeschichte der Darstellung des Himmels beschreiben, um ihn auch wirklich als Vehikel des Realismus verstehen zu können?

Platz und Zeit für diese Beobachtungen sind hier leider nicht gegeben, weshalb zukünftige Artikel diese Themen bespielen müssen. Bis dahin erfahre ich in Driveclub einen neuen Himmel.

Über Dejan Lukovic

Dejan ist Redakteur bei Krautgaming. In dieser Tätigkeit erblickten schon die ein oder anderen Artikel das Licht der Welt, die von einfachen News bis hin zu Reviews reichen. Derzeit studiert Dejan Germanistik an der Universität Innsbruck, um sich im Anschluss einen Master der Medien, Gender Studies oder Film Studies zu erarbeiten.

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