Nicht erst seit gestern machen die Kollegen Fabian Siegismund und David Hain die heitere, unschuldige Welt von Youtube unsicher, nicht erst seit gestern ist ihre Lust zur Provokation bekannt. Mit dem Video „Sieg Hain“ polarisierten die beiden und trieben Idealisten, Pseudointellektuelle und Skandalsüchtige in den Wahnsinn. Eine Zäsur in drei Akten von Hendrik Luehrsen.
Akt 1: Was bisher geschah
David Hain kann gewissermaßen stolz auf sich sein. Er gilt in gewissen Kreisen des Games-Journalismus als rotes Tuch. Egal, ob er Pulitzer-würdigen Journalismus betreibt (eher unwahrscheinlich), oder ob er provokantes Niveaulimbo (eher wahrscheinlich) produziert, die Reaktionen auf seine Veröffentlichungen sind berechenbar. Was zuerst als Aprilscherz gedacht war, wird nun von den Machern zum ernsthaften Format erhoben und soll in Bälde weiter geführt werden.
Nun bekommt man relativ früh im Arbeitsleben beigebracht, dass man aus seinen Schwächen Stärken machen soll, dies scheint auch der Antrieb für das produzierte Video „Sieg Hain“ gewesen zu sein, mit dem die Fabian und David moderne Games aus Sicht zweier verbliebener Altnazis kommentierten.
So weit, so flach. Nichts, was wir nicht schon in zahllosen Filmen wie Iron Sky, Sketchen aus Switch, Anspielungen in Mangas, Cartoons und Satire gesehen hätten. Die Kommentare und Diskussionen in unserem internen Redaktionschat ließen mich aufhorchen. War ich selber zu abgestumpft, um mich über so etwas zu empören?
Was entstand war der Schulterschluss verschiedenster Vertreter unterschiedlichster Disziplinen der Games-Brache, die das Video allesamt für Verabscheuungswürdig halten. Eine Verharmlosung der Tode von Millionen von Menschen, ein Spaß über Leid, Elend, Krieg und Tod.
Akt 2: Die Reaktionen
Neben der ausführlichen Diskussion in unserem internen Redaktionschat gab es natürlich auch auf Facebook lebhafte Gespräche zum Thema, aber auch die Kollegen Bonacker und Siegl haben sich zu Kommentaren hinreißen lassen. Beide kritisieren nicht nur den schamlosen Niveaulimbo bezüglich des zweiten Weltkriegs, sondern sind sich auch der Auswirkungen auf den Gamesjournalismus einig.
So schreibt Rainer Sigl auf Videogametourism:
Man sollte nicht extra betonen müssen, dass euer infantiler Umgang mit diesem Thema im Rahmen der jämmerlichen Karikatur von „Gamesjournalismus“ auf Jahre hinaus nicht nur die ernsthafte Beschäftigung mit dem Medium mit Scheiße zuschüttet, sondern auch jenes Zielpublikum, das euch applaudiert: Kinder und Jugendliche, an deren Beifall euch so viel liegt, dass euch nichts zu dumm ist für Klicks und Lacher.
Auf seinem persönlichen Blog random:notes führt Volker Bonacker fort:
Seit rund einem Monat arbeite ich daran, 30 Studenten meines “alten” Studiengangs Online-Journalismus das Thema Schreiben über Games näher zu bringen. […] Wir machen das nicht mega-fancy, wir gehen keine akademischen Abhandlungen über das Ludische durch, es sind immer noch Studis einer FH, die irgendwann in Redaktionen landen werden und mein Job ist es, ihnen bis dahin einen anderen Blick auf die Dinge zu vermitteln; zu zeigen, dass verknöchterte Schreibe nicht das Ende der Fahnenstange ist.
[…]
Genau das ändert sich durch solche Formate. Sie sind in der Lage, das Bild, gegen das ich in jeder verdammten Sitzung antrete, locker weiterbestehen zu lassen: Schau mal, diese verdammten Freaks, diese Vollhonks, die keiner haben will. RTL 2.0. Kein “Gaming ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wir schreiben aus genau dieser heraus”, sondern “Spiele sind weiterhin Teil einer Masse tumber Kids, die seit Neuestem mehrhetlich auf Youtube anzutreffen sind, die solche Trailer auch noch wohlwollend aufnehmen, sich dran aufgeilen und alles andere als smart sind”. Kurz: Sowas bringt die Sache nicht weiter, sondern ist ein Rückschritt.
Der Schulterschluss ist klar, das Video sei nach Ansicht der Autoren nicht nur verachtungswürdig, sondern schade ganz aktiv einem modernen Gamesjournalismus.
Akt 3: Die Reflexion
Nun stehe ich in einem moralischem Dilemma. Einerseits vertrete ich den Standpunkt, dass das besprochene Video durchaus Humor beweist, anderseits sind auch die Punkte der Kritiker nicht von der Hand zu weisen. Greifen wir doch mal die Punkte einzeln auf:
Das Video sei eine Verharmlosung dessen, was der Nationalsozialismus verbrochen hat.
Ja, da ist was dran. In dem Video wird tatsächlich Verharmlosung betrieben, aber nicht dort, wo die Kritiker vermuten. Zwei (ich bitte das zu entschuldigen, Herr Siegismund und Herr Hain) Vollpfosten, die sich in gestripten Wehrmachtsuniformen (ohne Rangabzeichen oder verfassungswidrigen Symbolen) in den Keller setzen und sich dabei Filmen lassen, wie sie mit einem lustigen Akzent eine Weltanschauung karikieren, indem sie diesen in die Moderne übertragen, würde ich als Satire bezeichnen. Eine Verharmlosung der Tatsachen ist das nicht.
Dennoch ist den Youtubern ein handwerklicher Fehler unterlaufen. In ihrer Unbedarftheit und vielleicht einer streckenweisen Faulheit des Cutters wurden historische Bilder, also Zeitzeugnisse echter Verbrechen und echtem Leids, in das Video geschnitten. Um sich die Tragweite dessen mal auf der Zunge zergehen zu lassen: Das aufgezeichnete Leid von Soldaten und Kriegsopfern wird hier zum Vehikel eines Witzes. Das geht gar nicht! Das hätten Sie als ehemaliger Soldat besser wissen müssen, Herr Siegismund. Hier wären tatsächliche Bilder aus Spielen vielleicht geeigneter gewesen.
Dieses Video schadet nachhaltig dem Games-Journalismus
Um meine Meinung schnell auf den Punkt zu bringen: Das ist Bullshit. Dieses Video hat mit Journalismus genau so viel zu tun wie Nickelback mit Musik. Es gibt Leute, die behaupten hartnäckig den Zusammenhang, aber in Wirklichkeit wissen wir, dass dem nicht so ist.
Liebe Kollegen, ich möchte hier ungern den Hund zum Lernen mit der eigenen Nase in die Scheiße drücken, aber manchmal ist es notwendig (zumindest bei der Games-Branche, bei einem Hund würde ich es nie tun)! Was hier gemeinläufig als Games-Journalismus bezeichnet wird ist zu 99% KEIN Games-Journalismus. Wir produzieren Produkttests unter Zeitdruck, zumeist direkt aus dem Dickdarm eines PRlers heraus, den wir möglichst nicht verärgern wollen. Wir veröffentlichen nahezu 1zu1 Pressemitteilungen, im Zweifel ohne Hintergrundrecherche, um 5 Minuten schneller als die Konkurrenz zu sein, für Google und so. Wir produzieren Unterhaltung, Klickstrecken, reißerische Überschriften und heiße Luft, in einem ähnlichen Kontext wurde da vor kurzem Tic Tac Toe rezitiert: „Alles für den Klick, für den Augenblick!“
Es muss doch klar sein, dass dies, insbesondere Formate wie „Sieg Hain“ nichts mit Gamesjournalismus zu tun hat. Das ist ein reines Unterhaltungsmedium. Das größte Problem dabei ist aber, dass unsere Nutzer den Unterschied nicht mehr erkennen. Da müssen wir uns aber alle an die eigene Nase fassen und Medienkompetenz fördern.
Ein (persönliches) Fazit
„Sieg Hain“ hat Wellen geschlagen. Das Video hat von beiden Youtube Kanälen kombiniert knapp 240.000 Abrufe, 23.000 Upvotes und nur etwa 400 Downvotes. Auch die gesammelten Reaktionen in den Youtube Kommentaren sind eher positiv. Aber aus Sicht vieler Kritiker sagt das ja nichts aus, der 13-jährige lacht auch über Pipikackahumor.
Ja, das Video hat Ecken und Kanten. Ich würde mich an Stelle der Macher für die Schnitzer im Video entschuldigen und Besserung geloben. Aber insgesamt muss ich sagen: Gut gemacht, bitte mehr! Denn auch wenn das Video nicht den eigenen Geschmack trifft, als Medienmacher muss man den Erfolg anerkennen.
Gerade in unserer Branche können wir nicht auf einem Turm von Ideologien verhungern. Auf dem hässlichen Schlachtfeld der Medien geht es vor allem um eines: Geld verdienen. Aktionäre müssen bedient werden, Miete muss gezahlt werden, Wachstum muss finanziert werden. Gerade in der Situation eines David Hains, der sich aus der Sicherheit einer Anstellung in die Unsicherheit der Selbständigkeit begeben hat heißt es vor allem: Reichweite um jeden Preis! Denn Reichweite ist (auf Youtube) Geld. Und Geld regiert die Welt.
Twittern | Pin It |