Death Stranding [Review] – Subjektive Wahrnehmung

Death Stranding [Review] – Subjektive Wahrnehmung

von am 27.11.2019 - 22:41
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Es kommt mir vor, als wäre die Ankündigung von Death Stranding 10 Jahre her. So sehr wurde man auf die Spielefolter gespannt, mit Teasern gequält und mit Gerüchten überhäuft. Und so viel darf gesagt werden: Death Stranding ist Kojima durch und durch…

Der gelieferte Tod

Wir schlüpfen in „Death Stranding“ in die virtuelle Haut von „Sam Porter Bridges“ – von Beruf Lieferkurier mit Berührungsängsten. Zudem Sohn der Präsidentin der (nicht mehr ganz so) Vereinigten Staaten von Amerika.

Genau bei diesen Sätzen sollte man schon hellhörig werden. Denn Sam ist kein ehemaliger Marine, Soldat oder Agent. Sondern einfach ein Lieferkurier. Und genau das ist es, was sich dann auch im Gameplay wiederspiegelt.

Hermes in der Apokalypse.

Kommen wir erst einmal zu dem grundsätzlichen Gameplay. Ihr bekommt eines oder mehrere Pakete an Stationen ausgehändigt, welche ihr möglichst effizient auf eurem Rücken (später auch mit Fahrzeug) stapeln und dann an andere Orte liefern müsst. Die Ansprüche sind die von normalen Paketen: Möglichst schnell, wenig Verbrauch und Verschleiß. Am Ende werden diese bewertet und in „Likes“ ausgezahlt. Diese lässt euren Rang steigen, womit ihr noch mehr Pakete liefern könnt.

Und so geht es dann im Grunde weiter. Natürlich verändern sich die Lieferungen ein wenig, aber in der Grundstruktur bleibt „Death Stranding“ bewusst  monoton.

In den ersten Spielstunden mag man sich noch denken, dass dies nur der Auftakt ist. Viele Spiele fangen ruhig an und öffnen dann ihre „Skill-trees“, Kampfmechaniken und Loot-Mechaniken. Doch hier ist alles anders.

Was lange währt

Denn nach all den Jahren der Spekulationen offenbart es sich nun:

Death Stranding ist durch und durch eine Liefersimulation. Ein „Walking Simulator“. Sprich: Der oft als „artsy fartsy“ und „langweilig“ betitelte Teil der Videospiele.

Denn ihr werdet gehen. Eine Menge. Stunden. Tage. Gekämpft wird wenig. Dieses Spiel hat mehr mit einer Wanderung durch Island, als mit einem klassischen AAA-Videospiel gemein. Der größte Feind sind keine Gegner, sondern der Regen, welcher eure Ausrüstung beschädigt. Kann das denn dann überhaupt Spaß bringen?

Kann der simple Akt des Gehens, sowie das ständige Packen und Liefern von Paketen Spaß machen oder gar erfüllend sein?

Nun. Das ist sehr schwer zu beantworten. Denn bei Death Stranding stößt (meiner Meinung nach) die klassische Review-Struktur an ihre Grenzen. Natürlich gibt es feste Parameter anhand derer sich Spiele bewerten lassen. Jedoch ist der subjektive Teil bei kaum einem Spiel jemals so hoch gewesen, wie bei Kojimas neuem Projekt.

Warum schwebt Norman Reedus mit Baby in der Gegend rum? Tja… Die Antwort ist nicht einfach. 

Kojima Unchained

Subtil war der gute Herr Kojima ja noch nie. Nach dem „Hot-Cold-Man“ in Metal Gear Solid, welcher den Kalten Krieg wieder heiß machen wollte, gibt es in „Death Stranding“ jede Menge solcher Namen und Ereignisse.

Nachdem der „Gestrandete Tod“, ein unbekanntes Ereignis, die Welt der Lebenden mit der Welt der Toten verbunden hat, zieht sich die Menschheit in einzelne unterirdische Städte zurück. Unsere Hauptaufgabe ist es, die Bunkerstädte unter einer Idee, dem „Chiralen Netzwerk“ wieder zu vereinen. Klar, dass das alles nicht so einfach wird.

Zunächst:

Die Schauspieler und Schauspielerinnen, allen voran Lea Sedoux und Mads Mikkelsen machen einen grandiosen Job. Die Inszenierung ist ebenfalls auf höchstem Niveau und lässt die Charaktere so lebendig wie selten zuvor erscheinen. Die Verschmelzung von Film und Videospiel war wohl noch nie so gut gelungen wie in „Death Stranding“. Dieses Ziel hat Kojima also wirklich erreicht.

Die Geschichte die sich aus dieser philosophischen Grundlage heraus schält, kann gut und gerne als absolut wahnsinnig bezeichnet werden.

Ich habe aufgrund des typischen Kojima-Humors gelacht. Habe mir wegen den absolut hirnrissigen Namen und Story-Twists an den Kopf gegriffen. Habe mit den Augen gerollt, stand plötzlich auf dem Sofa vor Spannung und war am Ende tief berührt.

„Death Stranding“ ist in seiner Geschichte irgendwie alles. Hoch philosophisch und unglaublich platt. Und das ohne Rücksicht auf irgendwelche Verluste. Es ist völlig vertretbar an vielen Stellen zu lachen, zu weinen und die Geschichte zu vergöttern.

Es ist aber genau so gerechtfertigt, ab einem bestimmten Satz in Kapitel 4 entnervt die PS4 auszuschalten und die Spielhülle auf ewig ins hintere Regal zu stellen. Und das trifft auf sehr viele Dinge in „Death Stranding“ zu.

Ausblicke wie dieser sind keine Seltenheit und oft mit Musik perfekt unterlegt.

Gefangen im Regen

Der größte Feind in dieser unnachgiebigen und anachronistischen Welt ist nicht eine Alienrasse oder ein einfallendes Land. Sondern der Tod selbst. Und der Zeitregen, der alles in Sekunden altern lässt, was er berührt. Unter anderem auch eure Fracht, welche stets davon beschützt werden will.

Immer wieder wirft mich Death Stranding in meiner eigenen Zeit zurück. An den Punkt, in welchem ich durch Norwegen gewandert bin.

„Death Stranding“ ist im Gameplay unaufgeregt. Schon fast verschwenderisch. Es hat keinen großen Respekt vor der Zeit des Spielers. Eine Liefer-Mission kann gut und gerne Stunden in Anspruch nehmen, in der ihr nicht anderes macht als das Gelände mit eurem Scanner zu erkunden und die perfekte Route zu finden. Und das ist extrem schön und erfüllend. Kein Witz!

Atmosphärisches Monster

Die Welt in Death Stranding kann unnachgiebig sein. Stellt mich vor schier unlösbare Routen und Aufgaben. Ich fluche zum Himmel, wenn ich meine Fracht verliere. Freue mich, wenn ich für meinen Auftrag gelobt werde. Entspanne, wenn ich mich an einem Ort ohne Regen wiederfinde. Ich versinke immer weiter in dieser wunderschönen Welt, die doch gleichzeitig durch all ihre Gefahren unnahbar wirkt.

Und wenn ich dann nach einem langen Tag meinen voll beladenen Rücken entlaste und allmählich das Ziel am Horizont erblicken, stellt sich eine ganz seltsame Ektase ein. Das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben

Ich möchte erkunden, in dem Wissen, dass es eine lange Reise wird. Mein einziger und stetiger Begleiter ist mein „Bridge-Baby“, welches die einzigen wirklichen Monster dieser Welt, sogenannte PTs, aufspüren kann.

Diese finden sich tief im Zeitregen wieder und sind die größte Bedrohung für meine Fracht. Ich kann gegen sie bestehen und die Kämpfe sind auch nicht sonderlich schwer. Jedoch geht es mir ja nicht um das Töten von Monstern, sondern um das Liefern meiner Fracht.

Und das kann auch bewusst nervig sein. Ich stolpere oft, werde bei Bergen und Geröllhaufen wahnsinnig und das Motorrad ist auch nicht perfekt steuerbar. Aber das ist in Ordnung und so gewollt. Sonst wäre das Liefern an sich ja keine Herausforderung mehr.

Und das ist meine Aufgabe. Ich habe keinen „Death-Counter“ im Menü, keine Statistik mit Erfahrungspunkten, die ich von erledigten Gegnern bekommen habe. Ich habe endlich einmal keine Todesliste. Bin nicht in einem Strudel aus Tötungen und Loot gefangen. Und wenn man das begreift, kann Death Stranding eine großartige Erfahrung sein.

Abwechslung kann Death Stranding

Absolute Subjektivität

Denn für mich war diese Erfahrung genau das: Absolut subjektive Faszination, aufgrund all der Wunder, die mich in dieser Welt erwarteten. Die Wunder im kleinen. Das Warten darauf, dass der Regen aufhört. Die Likes die ich von anderen Spielern für meine gut platzierte Leiter bekomme. Diese schon fast mikroskopisch wirkenden Gesten und Momente sind es, die Death Stranding zu etwas ganz besonderem machen. Seit dem letzten Zelda bin ich nicht mehr so sehr in einer Welt versunken.

Kojimas neuestes Werk ist letzten Endes ein Indie-Spiel im AAA- Korsett. Und das ist auf wunderbare Weise erfrischend und etwas, an das ich auch noch in vielen Jahren denken werde.

Fazit

Death Stranding

von am 27.11.2019

Lange war ich nicht mehr so begeistert von einem großen AAA-Videospiel! Death Stranding ist ein dringend benötigter Schritt in der Videospielindustrie. Der Mut zum Polarisieren. Das hat das letzte Mal in dieser Art „The Last Guardian“ geschafft. Denn auch dort war Frustration ein bewusstes Spielelement. Videospiele sind Kunst. Punkt. Da gibt es nichts zu staunen und auch nichts zu diskutieren. Und Death Stranding hat diesen Anspruch verinnerlicht, den viele große Spiele im Lootbox-Wirrwarr immer weiter zu verlieren scheinen. Death Stranding ist für mich großartig und vor allem extrem wichtig. Wie das für euch da draußen ist, könnt ihr nur für euch selbst entscheiden. Denn Kunst ist gelebte Subjektivität. Habe ich übrigens gesagt, dass ich die Mona Lisa nicht sonderlich schön finde?

Grafik: 88
Sound: 91
Gameplay: 88
Spieldesign/ Spielwelt: 93
Spielspaß/ Atmosphäre: 92

So wertet Krautgaming:
0-25 ungenügend (6), 26-45 mangelhaft (5), 46-65 ausreichend (4), 66-75 befriedigend (3), 76-85 gut (2), 86-95 sehr gut (1), 96-100 ausgezeichnet (1+)

 

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