GreedFall – Endlich auf Augenhöhe mit BioWare? [REVIEW]

GreedFall – Endlich auf Augenhöhe mit BioWare? [REVIEW]

von am 08.10.2019 - 16:05
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Rollenspielfans dürfte der Name Spiders ein Begriff sein. Das französische Studio konnte bereits mit den RPGs Mars: War Logs (2013), Bound by Flame (2014) und Technomancer (2016) erste Achtungserfolge einfahren. Die Spiele des Studios setzen dabei auf eine ähnliche Mixtur wie die Titel von BioWare. Epische Geschichten voller moralischer Entscheidungen und Dialogoptionen, ein pausierbares, taktisches Kampfsystem sowie glaubwürdige Charaktere und Welten. Zumindest in der Theorie. Denn letzten Endes konnte man doch nie so ganz an die Qualitäten der großen Konkurrenz heranreichen. Ob sich das mit GreedFall endlich ändert, klären wir für euch im Test…

Die neue Welt

Zuallererst muss ich Spiders ein Lob aussprechen. Das für GreedFall gewählte Setting, das sich irgendwo im 16. Jahrhundert einordnen lässt und zudem noch mit Fantasy-Elementen gewürzt ist, hat man so in noch keinem Spiel gesehen und konnte dadurch direkt mein Interesse wecken. Vor allem, weil man trotz der vielen Fantasy-Elemente auch einige spannende Parallelen zur realen Historie entdeckt. Als deutlichstes Beispiel, wäre hier die Kolonialisierung Amerikas zu nennen, mitsamt dem eher fragwürdigen Umgang der Siedler mit den Ureinwohnern.

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Was in der Realität Amerika ist, nennt sich im Spiel Teer Fradee. Eine gewaltige Insel, die neben fruchtbarem Boden auch viele wertvolle Rohstoffe beherbergt. Kein Wunder also, dass sich die einflussreichsten Gruppen der alten Welt aufmachen, um das neu entdeckte Stück Land zu besiedeln. Da wäre einmal die Brückenallianz, eine Gruppe von Wissenschaftlern die auf Teer Fradee ihre Forschungen vorantreiben wollen. Die Fraktion von Thélème hingegen, besteht aus religiösen Gelehrten und Magiern. Ihr Ziel ist es, auf der Insel Spuren eines Heiligen zu finden und nebenbei die einheimische Bevölkerung durch Missionare zum „einzig wahren Glauben“ zu bekehren. Diese zwei Fraktionen waren sich schon in der alten Welt spinnefeind und dieser Konflikt schwebt ebenso bedrohlich über Teer Fradee.

Doch hier kommen wir ins Spiel. Als Adliger und Diplomat der Handelskongregation werden auch wir auf die Insel entsandt. Einerseits um den Frieden zwischen den Fraktionen zu waren und die eigenen Handels-Beziehungen zu verbessern. Andererseits aber auch um möglicherweise ein Heilmittel für den Malichor zu finden, eine Seuche, die auf dem Festland bereits verheerenden Schaden angerichtet hat.

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So sieht Diplomatie also auf Teer Fradee aus…

Reif für die Insel

So beginnt das Abenteuer in Serene, einer wohlhabenden, aber vom Malichor schwer angeschlagenen Stadt der Handelskongregation. In der Rolle unseres selbsterstellten Heldens De Sardet, bereiten wir uns auf die Abreise nach Teer Fradee vor. Dabei gilt es nicht nur, ein Wort mit den verschiedenen Fraktionen zu wechseln, sondern auch De Sardets Cousin zu finden. Dieser soll auf Teer Fradee eigentlich seinen Gouverneursposten antreten, scheint aber mal wieder zu tief ins Glas geschaut zu haben und glänzt nun, am Tag der Abreise, durch Abwesenheit. Schon bevor wir also auch nur einen Fuß auf die neue Welt gesetzt haben, gibt es einiges zu tun.

In diesen ersten Stunden lernen wir die verschiedenen Fraktionen kennen und machen uns mit den unterschiedlichen Lösungswegen für Quests vertraut. Hier zeigt sich GreedFall von seiner starken Seite, denn die Möglichkeiten gestalten sich wirklich vielfältig. So lassen sich direkte Konfrontationen oftmals vermeiden, sei es durch die Wahl der richtigen Dialogoption oder heimliches Vorgehen. Dabei kann man an Gegnern vorbeischleichen, die Uniform einer Fraktion als Tarnung nutzen oder gar Wachen mit einem Schlaftrunk betäuben.

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Schleichen ist meistens nur optional. Ihr könntet euch auch einfach durchprügeln. Das kann allerdings zu Ärger mit den Fraktionen führen.

 

Allerdings muss man Anmerken, dass sich die Schleicheinlagen ein wenig hakelig spielen und der Einsatz von Verkleidungen nicht sonderlich elegant gelöst wurde. So interessiert es Wachen nicht einmal, wenn man direkt vor ihren Augen in eine Verkleidung schlüpft.

Zudem  eröffnen sich, je nach Spezialisierung des Charakters, unterschiedliche Pfade durch die Areale. Mit diebischem Geschick lassen sich beispielsweise Schlösser knacken, während Charaktere mit wissenschaftlichen Fähigkeiten brüchige Wände einfach sprengen. Ein cooles System, das es zudem belohnt sich gründlich in den Arealen umzusehen.

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In den Arealen finden sich häufig versteckte Wege.

Vertrauensprobleme

Endlich auf der Insel angekommen, gehts auch schon ans Eingemachte. Während unser Cousin ein luxuriöses Anwesen bezieht, klappern wir erst einmal alle wichtigen Persönlichkeiten der Insel ab und helfen bei kleineren, wie auch größeren Gefälligkeiten.

Die Quests in GreedFall gestalten sich recht Abwechslungsreich. Mal gilt es einen Mordfall innerhalb der Stadtwache zu lösen, mal suchen wir für Thélème nach einem religiösen Artefakt oder wir ergründen einen vermeintlichen Dämonen-Kult in einem Dorf der Natives. Nervige Sammelaufgaben oder simple „Töte x Feinde“-Missionen gibt es glücklicherweise nicht. Zudem bieten die einzelnen Aufgaben auch die ein oder andere überraschende Story-Wendung.

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Ebenfalls interessant ist, dass die Entwickler auf typisches Schwarz-Weiß-Denken verzichten. So wird schon früh klar, dass jede der Fraktionen auch eigene Ziele verfolgt, für deren Erreichung auch so manche moralische Grenze überschritten wird. Daher kann man sich nie so ganz sicher sein, wem man nun vertrauen sollte und wem nicht.

Ganz ohne Kritik kommen die Quests dennoch nicht aus. So arten manche Aufgaben in absurd viel Rennerei und Backtracking aus. Erst mit einem Charakter reden, dann einmal quer durch die Stadt zum nächsten, dann wieder zurück zum ersten, bevor man wieder mit der zweiten Person spricht. Das ginge auch komfortabler und vor allem schneller.

Was mach ich nur?

Trotz der vielen coolen Side-Quests und den spannenden kleinen Geschichten, kommt in GreedFall eine Sache zu kurz und das ist die Hauptgeschichte. Da es weder einen echten Antagonisten, noch ein dringliches Ziel gibt, plätschert die Story zumeist nur gemächlich vor sich hin. Natürlich könnte man die Suche nach dem Heilmittel für den Malichor als übergeordnetes Ziel betrachten, doch da im ersten Moment niemand wirklich weiß ob es überhaupt ein Heilmittel gibt, bleibt dieses lange im Hintergrund.

Auch Hauptcharakter De Sardet ist in Sachen Storytelling problematisch. Wo andere Helden fest mit dem Plot verwurzelt sind, hat De Sardet im ersten Moment keinen Bezug zur eigentlichen Handlung. Er ist ausschließlich auf Teer Fradee um seinen Job zu machen und hat kein klares, persönliches Ziel.

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De Sardet liebt es einfach sich bei allem und jedem vorzustellen.

 

Diese beiden Faktoren führen dazu, dass das Abenteuer ab und zu in erzählerischen Leerlauf verfällt, was sich leider auch auf die spielerische Motivation auswirkt. In späteren Stunden gelingt es GreedFall zwar noch einige Elemente der Story zu verknüpfen und ein klares Ziel einzuführen, doch dies geschieht meiner Meinung nach erst viel zu spät.

It’s Party Time

Glücklicherweise ist De Sardet auf seinen Reisen nicht allein. Fünf weitere Charaktere schließen sich ihm im Laufe des Abenteuers an. Fast alle gehören unterschiedlichen Fraktionen an und haben daher auch unterschiedliche Ansichten und Ziele. Da wäre beispielsweise die Wissenschaftlerin Aphra, Siora die Prinzessin der Natives, oder Kurt (unser langjähriger Freund und persönlicher Wachmann). Sie alle kämpfen aus unterschiedlichen Gründen an De Sardets Seite und melden sich zusätzlich immer wieder mit kurzen Dialogen zu Wort.

Im Laufe der Zeit schaltet man schließlich die mehrstufigen Loyalitäts-Quests für die Begleiter frei. Darin erfahren wir mehr über ihre Vergangenheit, Ziele und Motivation. Diese Missionen sind größtenteils spannend und profitieren von den gut geschriebenen und ordentlich eingesprochenen (englischen) Dialogen. Hin und wieder kann es auch passieren, dass sich ein Begleiter einfach so in Gespräche einmischt. Ein cooles Feature, das man so auch aus Dragon Age: Origins kennt. Doch leider passiert das in GreedFall viel zu selten. Während in Dragon Age oftmals auch kleine Entscheidungen zu Streitgesprächen zwischen Charakteren geführt haben, bleiben diese in Greedfall viel zu häufig stumm.

Dennoch sind die Party-Mitglieder, im Vergleich zu Spiders früheren Titeln, hier wirklich gelungen und verleihen dem Abenteuer zusätzlichen Charakter.

Die Kämpfe

Beim Kampfsystem bleiben Spiders ihren früheren Werken treu und verbinden Echtzeit-Kämpfe mit einer taktischen Pause. Dabei stehen uns leichte sowie starke Angriffe zur Verfügung, während wir weiter entfernten Gegnern mit Magie oder Schusswaffen einheizen. Kommt uns ein Feind zu nah, weichen wir seinem Angriff aus oder blocken mit dem richtigen Timing. Das System ist prinzipiell spaßig und geht, trotz der zum Teil empfindlichen Steuerung, gut von der Hand.

Bosse gibt es in GreedFall ebenfalls. Eine allzu große Herausforderung bieten sie aber nicht.

 

Die taktische Pause ist (bis auf wenige Ausnahmen) allerdings überflüssig. Zum einen, weil man die eigene Party nicht direkt steuern kann, zum anderen, weil die Kämpfe sehr leicht ausfallen. Ja… manche Feinde verfügen über eine starke Rüstung, die man erst einmal zerstören muss, bevor man sie effektiv attackieren kann. Doch darüber hinaus gibt es keinen wirklichen taktischen Anspruch während der Auseinandersetzungen. Das kommt auch daher, dass es sehr wenig unterschiedliche Gegnertypen gibt und sich deren Angriffsmuster oftmals stark ähneln. Insgesamt sind die Kämpfe zwar dennoch unterhaltsam, doch wie in vielen anderen Aspekten des Titels, wäre hier mehr drin gewesen.

Level up!

Für jeden Level-Aufstieg erhalten wir in GreedFall Fortschrittspunkte die wir in Fähigkeiten, Attribute und Talente investieren. So verbessern wir unser Geschick im Kampf und können immer effektivere Waffen und Rüstungen verwenden. Stattdessen könnten wir uns auch auf unsere magischen Fähigkeiten konzentrieren. Oder aber wir erlernen Techniken, die es uns erlauben Fallen zu legen oder Waffen mit Gift zu präparieren.

Am schwersten fällt die Wahl allerdings bei den Talenten. Investieren wir einen Punkt in unser Charisma, wodurch es leichter wird unser Gegenüber in Gesprächen zu überzeugen, oder in Wissenschaft, womit wir Tränke und Beschichtungen selbst Herstellen können? Ebenfalls sehr interessant ist das Herstellungs-Talent, welches es ermöglicht an Werkbänken Upgrades an Waffen und Rüstungen vorzunehmen.

An Werkbänken oder beim Schmied verbessern wir unsere Ausrüstung. Dabei verändert sich auch deren Optik.

 

Somit bietet das Fortschritts-System viele interessante Möglichkeiten den Charakter an die eigenen Vorlieben anzupassen. Und keine Sorge. Wenn ihr beispielsweise keine Punkte in das Wissenschafts-Talent investieren möchtet, könnt ihr euch eure Tränke stattdessen einfach bei einem Alchemisten mixen lassen.

Viele kleine Macken

Zusammengefasst bietet GreedFall einen gelungenen Mix aus Erkunden, Kämpfen und motivierendem Level-Fortschritt. Abgesehen von der etwas schleppend voranschreitenden Hauptquest, bieten vor allem die Nebenmissionen unterhaltsame Geschichten, die einen lange ans Gamepad fesseln. Dennoch ist GreedFall noch ein ganzes Stück von den Qualitäten eines Witchers oder Dragon Age entfernt. Dafür hat der Titel einfach noch zu viele kleine Macken, die auf den Spielspaß drücken.

So leidet die eigentlich solide optische Präsentation unter vielen Klon-NPCs, die manchmal recht orientierungslos durch die Städte irren. Da bleiben schonmal mehrere Passanten in einem Durchgang hängen, was im Laufe der Zeit zu einem regelrechten Stau führt. An anderer Stelle wiederum, stehen die NPCs einfach nur regungslos auf der Stelle. Das sieht nicht nur merkwürdig aus, sondern schadet auch der Atmosphäre.

In diesem Bordell geht es nicht gerade hoch her…

 

Apropos Atmosphäre. Viele spannende Momente verpuffen aufgrund der stellenweise schwachen Inszenierung. Zwar gibt es hier und da auch aufwändig animierte Sequenzen, doch größtenteils stehen die Charaktere während der Dialoge einfach nur herum. Hin und wieder werden auch potenziell interessante Momente, wie beispielsweise ein abendliches Fest bei den Natives, komplett übersprungen! Zwar dürfte dies (wie viele andere der kleinen Problemchen) dem im Vergleich kleinen Budget geschuldet sein, dennoch hätte ich gerne auf einige der Dialoge verzichtet, wenn sich die Entwickler dafür verstärkt auf die Präsentation konzentriert hätten.

Toll inszenierte Momente wie diesen gibt es leider nur selten

 

Dazu gesellen sich leider weitere kleine Probleme. So macht sich das Fehlen einer Mini-Map vor allem in den verwinkelten Städten bemerkbar. Diese sehen sich zudem sehr ähnlich und lassen eine individuelle Architektur vermissen. Erschwerend hinzu kommen die vielen identischen und zum Teil recht leblos wirkenden Innenräume. Die Wildnis von Teer Fradee kommt da schon ansehnlicher daher. Allerdings bleibt man hier gerne mal an Kanten und kleinen Absätzen hängen, oder rennt gegen eine unsichtbare Wand.

Fazit

GreedFall

von am 08.10.2019

GreedFall bietet eine vielschichtige Welt, jede Menge spielerische Freiheit und zumeist gut geschriebene Dialoge. Die abwechslungsreichen Missionen überraschen immer wieder mal mit spannenden Wendungen und bieten ein ordentliches Maß an Entscheidungsfreiheit. Auch die eigenen Begleiter kann man, trotz einiger Detailschwächen, zu den Stärken des Titels zählen. Dem gegenüber stehen leider so einige kleine Probleme, die immer wieder den Spielspaß ausbremsen. Die vielen gleichen Innenräume und die langen Laufwege bei Missionen, kann man dabei noch verschmerzen. Die stellenweise schwächelnde Inszenierung oder die unfokussierte Hauptgeschichte sind da schon schlimmer. Zudem hätte das Kampfsystem ruhig etwas fordernder ausfallen dürfen. Unterm Strich bleibt GreedFall somit ein unterhaltsames RPG, dass sein Potenzial leider nicht voll entfalten kann.  

(getestet wurde auf Xbox One)

Grafik: 76
Sound: 80
Gameplay: 74
Spieldesign/Spielwelt/Umfang: 85
Spielspaß/ Atmosphäre: 74

So wertet Krautgaming:
0-25 ungenügend (6), 26-45 mangelhaft (5), 46-65 ausreichend (4), 66-75 befriedigend (3), 76-85 gut (2), 86-95 sehr gut (1), 96-100 ausgezeichnet (1+)

 

 

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