Starcraft 2: Legacy of the Void
Das Vermächtnis der Leere bietet vor allem das: Leere. Starcraft 2 hat es mit drei Spielen geschafft, weniger als der Vorgänger zu erzählen: In Wings of Liberty konnte Jim Raynor die olle Sarah Kerrigan nicht aus dem Kopf kriegen und hat sie deshalb gegen ihren Willen in ihre menschliche Form zurückgebracht. Ein paar Jahre später wollte Kerrigan in Heart of the Swarm wieder ein Zerg sein und endlich den Kerl umbringen, der sie durch seinen Verrat im Original-Spiel erst dazu gemacht hatte. Und Legacy of the Void lässt das alles hinter sich, denn irgendwo ist ein finsterer Gott erwacht und will das Universum vernichten.
Im Ernst, Blizzard?
Die Geschichte von Starcraft 2 liefert wenig mehr als den Hintergrund für knackige Online-Schlachten, und für viele Spieler mag das reichen – wenngleich die Frage besteht, warum wir in den letzten fünf Jahren etwa 120 Euro für ein Spielsystem zahlen mussten, das sich seit 1998 kaum verändert hat. Klar, da gibt’s eine grafische Dimension mehr, neue Einheiten, Gebäude, Taktiken und Spielmodi. Doch in einigen dunklen Ecken des Universums hocken Spieler, die es kritisch sehen mögen, den Titel in drei Spiele aufzuteilen – eine erzählerische Entscheidung kann das schwer gewesen sein.
Geschichtsstunde
Wenn ihr zufrieden mit dem Mehrspieler-Modus von Starcraft 2 seid, dann lest ihr den falschen Text – denn den Modus fasse ich nicht an. Ja, es gibt sie: Spieler, die sich ungern in Gefechte mit anderen Menschen stürzen und sich stattdessen alleine durch eine Geschichte klicken. Besonders dann, wenn das Setting von Starcraft sie in eine Zeit zurückholt, in der sie mit zwölf Jahren das erste Mal von Zerglingen und Dragonern hörten und völlig fasziniert davon waren, dass die Zerg zu lebenden Gebäuden mutieren.
Und das ist Starcraft: Ein Setting, in dem noch nie wirklich gute Geschichten erzählt wurden. Im ersten Teil mochte das noch nicht so auffallen, denn dort erlebten wir die Geschichte nur über die kleinen, animierten Portraits im Briefing-Bildschirm und ein paar weit entfernte Gespräche auf dem Schlachtfeld. Als Exekutor, Zerebrat oder Commander standen wir auf einer anderen Ebene als die Figuren auf dem Feld. Als General erlebten wir eine Distanz zu den Figuren, mit der wir ebensogut die Betrachter historischer Aufzeichnungen hätten sein können – und unser Hirn füllte die Lücken aus, mit all den schrecklichen Bildern, die ein Krieg mit sich bringt.
Doch Starcraft 2 änderte das. Als Wings of Liberty 2010 erschien, führte es ein neues Spielsystem ein. Ähnlich wie in einem klassischen Point and Click-Adventurespiel konnten wir zwischen den Missionen den Gesprächen von Jim Raynor und seinen Mitstreitern lauschen. Statt Funksprüchen und Portraits gab’s nun Filmszenen in 3D-Grafik und HD-Auflösung, und damit ging die Distanz flöten. Wir standen nun an der Seite der Figuren im Spiel, und damit schwanden sämtliche Dimensionen, die wir uns vorher in unseren Köpfen hatten ausmalen müssen. Wir konnten ja jetzt alles sehen.
Fülle und Leere
Die Art und Weise, wie Blizzard die Geschichten von Wings of Liberty, Heart of the Swarm und nun Legacy of the Void erzählt, ist dabei auf einem hervorragendem Niveau. Wenn eine Filmszene über den Schirm flimmert, dann ist das zwar kein Fest fürs Hirn, aber immerhin für die Augen. Blizzards grafisches Design ist nach wie vor eine der absoluten Stärken der Spiele, und zwar von der ersten Sekunde an – wenn Zeratul im Prolog durchs Weltall fliegt oder der Spear of Adun später einen orbitalen Angriff startet, dann begeistert mich das wie vor fünfzehn Jahren, als mich die Filmszenen aus dem Vorgänger in ihren Bann zogen.
Auch während der einzelnen Missionen erlebe ich immer wieder tolle Momente und – wie sie im Film heißen würden – Set Pieces: Da gibt’s zum Beispiel eine Plattform, die aus dem Orbit fällt, und wir müssen rechtzeitig die Triebwerke erreichen. Im Hintergrund können wir dabei den Planeten sehen, und je weiter wir uns kämpfen, desto näher kommen wir der Oberfläche. Zum Schluss können wir die einzelnen Gebäude der Städte unter uns erkennen, und es sieht großartig aus.
Leider bleibt’s bei Blizzards Stärken – Spiel und Optik. So aufregend die Geschichte auch aussieht, so langweilig und freudlos ist sie; da versteckt sich ein verklemmter Kaka-Witz im Bonusziel einer späteren Mission, und Terraner-Ingenieur Swann verwirrt den Protoss-Anführer Artanis, indem er ihn “Skippy” nennt. Das war’s dann mit Humor – selbst die grimmige Zukunft des Vorbilds Warhammer 40k hat mehr Witz, Energie und Leben als das Universum von Starcraft.
Starcraft 2 nimmt seine eigene, bunte Welt viel zu ernst. Da ist zum Beispiel eine Filmszene, in der Artanis alleine eine Welle von Zerglingen abwehrt. Schließlich bricht ein Nidus-Wurm wie einer der berühmten Sandwürmer von Arrakis durch die Tempelwand und – anders kann man es nicht nennen – kotzt einen Haufen weiterer Zerglinge aus. Das ist kompletter Trash, den man eigentlich mit einem Soundtrack von Hammerfall hätte unterlegen müssen, doch Blizzard plays it straight: Epischer Orchester-Soundtrack und ein paar bierernste Worte untermalen den Kampf, an dessen Ende ein ganzer Planet explodiert.
Ein anderes Beispiel? Kerrigan und Artanis brauchen Antworten – for some reason. Und die finden sie in einem alten Xel’Naga-Tempel: „Move Artanis and Kerrigan to the Hall of Revelations„, befiehlt mir das Spiel, und ich kratze meinen Kopf. Anscheinend haben die Xel’Naga damals wirklich eine „Halle der Enthüllungen“ benannt, oder ein Praktikant bei Blizzard hat aus Versehen das Post-it mit der Aufschrift „please change name to something more subtle“ vom Script gerissen.
Warum kämpfen wir eigentlich?
In einer anderen Szene versucht das Spiel mir einzureden, dass ich Gefühle für die Space Marines hätte, die zu tausenden auf dem Spielfeld sterben. Ganz recht: Nach fast zwanzig Jahren Starcraft-Schlachten soll der Anblick von toten Terraner-Standardeinheiten plötzlich eine Saite in meinem Herzen anschlagen. So sagt es mir die Musik, so sagen es mir die traurigen CGI-Gesichter, in die ich blicke.
Doch es funktioniert nicht. Denn in Starcraft geht es letztendlich um nichts. Klar, das Universum steht auf dem Spiel. Aber es ist ein Universum ohne Wärme, ohne Herz, und ohne Leben: Wenn Artanis Jim als “Freund Raynor” bezeichnet, dann nicht, weil die beiden abends beim Fußball gucken zusammen ein Bierchen zischen, sondern weil die beiden zwei Individuen sind, die ausnahmsweise nicht gegeneinander kämpfen. Jim und Kerrigan haben keinerlei Chemie miteinander, sollen aber ein Paar sein, weil das Spiel uns das sagt – sieh dir an, sie küssen sich! Die müssen sich lieb haben!
Wenn die Figuren sprechen, dann sprechen sie in einer einzigen Sprache: Exposition. Dialoge dienen fast ausschließlich dem Zweck, den nächsten Einsatzort vorzustellen, und wenn nicht, dann versuchen sie mit ein paar großen Worten, den Hintergrund, die Figuren und ihre Gefühle zu erklären, anstatt sie durch ihre Taten sprechen zu lassen. Das wirkt dann wie die uralte Schwarzenegger-Parodie von Christian Tramitz aus der Bullyparade, der seine Gefühle mit seinem Gesicht transportieren soll.
Das mag letztendlich niemanden stören, der sich alleine für das Gameplay von Starcraft interessiert. Denn das Spiel an sich bleibt unterhaltsam wie eh und je, auch wenn es in vielen Missionen nur darum geht, drei, fünf oder sieben Punkte auf der Karte zu verteidigen und/oder zu zerstören.
Kein Problem? Vielleicht
Bevor der virtuelle Lynchmob auftaucht, um mir zu erklären, dass es bei Starcraft nicht auf die Geschichte und die Figuren ankommt, möchte ich zwei Einwände einbringen: Auf der einen Seite würde sich niemand beschweren, wenn ich Lobeshymnen auf die Geschichte von Starcraft 2 sänge – dann würde es plötzlich eine Rolle spielen, ob ein vorrangiger Mehrspieler-Titel wie Starcraft 2 mit einer völlig langweiligen Geschichte auf den Festplatten landet.
Der zweite Einwand: Es spielt keine Rolle, was ich sage. Wenn einer meiner drei Leser Starcraft mag und kein Problem mit einer Geschichte hat, die spektakulär erzählt, aber gehaltlos ist, dann – um es auf Englisch zu sagen – more power to you! Niemand ist ein schlechterer Mensch, weil er lieber Starcraft als Undertale, Invisible Inc. oder The Beginner’s Guide spielt. Absolut nicht, und ich will hier niemandem vom Kauf abhalten, wenn ihm (oder ihr) hunderte und tausende unterhaltsamer Stunden in Mehrspieler-Schlachten bevorstehen.
Doch für mich steht am Ende der Starcraft 2-Saga vor allem eins: Leere, gemischt mit einem Hauch enttäuschter Hoffnungen. Blizzard hätte seine enorme Reichweite nutzen können, um ein paar nachdenklichere Geschichten erzählen zu können; leider verbleiben Raynor, Kerrigan und Artanis blöde, hohle Pappfiguren, für die es nichts anderes gibt als den Kampf und Krieg und das Universum und Ehre und einen Haufen anderer großer Worte, die ohne Kontext nichts bedeuten. Und diesen Kontext liefert Starcraft 2 nicht – der Krieg in diesem Universum beeinflusst alleine Soldaten ohne Familien, die anscheinend niemals essen müssen, keine Freude empfinden können und keine Welt außerhalb des Krieges kennen. Ein solches Universum lohnt sich nicht, gerettet zu werden – und darum schließe ich die letzte Mission des Spiels nicht ab.
In kurzen Worten: Grandioses, buntes Art Design; erprobtes, nahezu perfektes Gameplay; und eine langweilige, furchtbar belanglose Geschichte, in der Subtilität und tiefere Gedanken als “ME DESTROY ENEMY” nicht existieren. Verschwendetes Potenzial, aber hey, immerhin läuft’s auch auf einem drei Jahre alten Laptop, und darum sind wir alle hier, nicht wahr?