Axiom Verge: Mehr als nur Hommage

Axiom Verge: Mehr als nur Hommage

von am 14.07.2015 - 17:29
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Wie man in einen Artikel über Axiom Verge einsteigt, das haben die Spielemedien in den letzten Wochen vorgemacht: Entweder klatschen wir begeistert in die Hände, weil wir endlich ein neues Super Metroid in der Hand haben, oder wir feiern den Sieg des Wohnzimmer-Entwicklers Thomas Happ über die superböse Multimillionen-Industrie; manchmal auch beides. Ich würde gerne etwas anderes vorschlagen: Abgesehen von den offensichtlichen Metroid-Einflüssen und dem Underdog-Narrativ hinter der Entwicklung bringt Axiom Verge endlich wieder gute Science Fiction ins Spiel.

Mit guter Science Fiction meine ich vor allem eins – Geschichten, die den Zustand des Menschen erkunden und wissenschaftliches Technik-Geschwurbel nutzen, um wichtige Fragen über die menschliche Natur zu stellen. Dabei geht’s weniger um die Frage, ob es im Spiel Raumschiffe oder futuristische Technik gibt und vielmehr darum, was wir Menschen mit dieser Technik anstellen. In anderen Worten: Während Spike Jonze’s Her die Liebe im digitalen Zeitalter erkundet, ist Star Trek: Into Darkness ein Action-Film, in dem es halt Raumschiffe gibt. Das bedeutet nicht, dass Action-Filme in diesem Genre nicht auch kluge Ideen haben können: Elysium, der an der Oberfläche ganz dumpf und laut daherkommt, kritisiert zum Beispiel die ideologischen Grenzen, die westliche Kulturen zu den Entwicklungsländern gezogen haben.

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An der Grenze zwischen den Realitäten

Die Liste guter Science Fiction-Spiele ist nach diesem Kriterium nicht ganz so lang, wie sie zuerst aussehen mag: Wie in Elysium gibt es auch in Deponia eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Alpha Centauri und Civilization: Beyond Earth behandeln die Frage, ob wir auch einen neuen Planeten so behandeln würden wie die Erde; die Deus Ex-Reihe spielt mit dem Sitz der Identität und einer Art Klassenkampf zwischen augmentierten und nicht-augmentierten Menschen; und Mass Effect, ähnlich wie eine gute Science Fiction-Serie, vereint dutzende von interessanten Themen in der gesamten Reihe, von der Daseinsberechtigung künstlicher Lebewesen bis hin zur Ausbeutung von Menschen mit Beeinträchtigung.

Axiom Verge passt in diese Reihe, auch wenn sich die „großen Fragen“ tief in einer verschwurbelten Multiversum-Geschichte verstecken und wir sie aus der fremden Welt des Spiels lesen müssen. Kurzfassung: Ein Wissenschaftler namens Trace landet nach einer Explosion in seinem Labor auf dem Planeten Sudra. Hier bittet ihn Elsenova um Hilfe, eine uralte Kriegsmaschine. Ein Mann namens Athetos hat ein Giftgas freigesetzt und den Großteil allen Lebens auf dem Planeten ausgelöscht. Doch nicht alles ist so einfach, wie es scheint: Trace begegnet zum Beispiel Doppelgängern, die sowohl Halluzinationen als auch Realität sein können. Außerdem können einige der sudranischen Waffen die Realität verändern, und das verkompliziert einen vermeintlich einfachen Plot noch weiter.

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Kein Bug, sondern ein Feature

Der Address Disruptor, im Netz auch als „Glitch Gun“ bekannt, ist wahrscheinlich der cleverste Teil des Spiels. Mit ihm kann Trace den „Programmcode“ von Objekten und Gegnern verändern. So macht er versteckte Plattformen sichtbar, zerstört bestimmte Blöcke oder schwächt und stärkt die Kreaturen, die sich ihm entgegenwerfen. Die Glitch Gun ist somit aus gleich drei Gründen interessant: Als taktisches Werkzeug, als Element der Geschichte, und als liebevolle Anspielung auf die Programmfehler älterer Spiele.

Viele Gegner im Spiel sind einfacher zu überwinden, wenn Trace sie zuerst mit der Glitch Gun bearbeitet – einige von ihnen verschleudern weniger Projektile, andere bewegen sich nun langsamer, und einige lassen sich überhaupt erst nach der Bestrahlung verwunden. Das gibt dem Spieler die Möglichkeit den Schwierigkeitsgrad des Spiels dezent herunterzusetzen. Ob er dieses Mittel jedoch nutzen möchte, muss er immer wieder abwägen, denn es kostet Zeit. Außerdem muss Trace relativ nah an den Gegner heran, um die Glitch Gun zu benutzen, und das kann gefährlich werden.

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Es wird jedoch noch komplizierter, denn die Spielfunktion des Address Disruptors illustriert einen Teil der Welt von Axiom Verge: Er überlässt es dem Spieler, welche Teile des Spiels er als (Spiel-)Realität akzeptieren will und welche nicht. So tut es auch die verworrene Geschichte des Spiels, die den Spieler nahezu dazu auffordert, eine eigene Bedeutungswirklichkeit – in anderen Worten: Interpretation – herzustellen. Spielmechanik und Spielgeschichte unterstützen sich damit gegenseitig.

Wer es weniger abstrakt haben möchte, der kann in der Glitch Gun aber auch eine Hommage an die Fehler in älteren Spielen sehen. Speedrunner nutzen diese Glitches heute noch, um Spiele wie Super Metroid in Rekordzeit durchzuspielen. Und diese Sichtweise scheint beabsichtigt, denn Axiom Verge kommt mit einem eigenen Speedrun-Modus, der Dialoge und Cutscenes aus dem Spiels schneidet, um schnelle Spielzeiten zu ermöglichen.

Risse in der Wirklichkeit

Axiom Verge beschwört die Eigenarten einer vergangenen Zeit – mit all ihren Schwächen. Wer längere Zeit spielt, mag sich eventuell langweilen, da das Spiel sich nicht wirklich verändert: Viel mehr als Hüpfen und Schießen ist nicht drin, und irgendwann stolpert Trace über neue Waffen und Ausrüstung wie Link über Rubine. Sprich: Eine neue Waffe ist irgendwann nichts mehr, über das wir uns sonderlich freuen.

Gerade die Boss-Gegner, die Trace bekämpfen muss, sind spielerisch nicht interessanter als die anderen Kreaturen, die sich ihm in den Weg stellen. So eindrucksvoll sie auch in die Höhe wachsen, so simpel sind ihre Angriffsmuster zu durchschauen – und dann ist es nur noch eine Frage der Geduld, bis sie explodieren.

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Hinzu kommt das typische Problem des Metroidvania-Genres: Oft genug steht der Spieler ratlos vor der Frage, in welcher Richtung es nun weitergeht. Der richtige Weg ist nicht immer eindeutig und oft genug endet der Spaziergang in einer Sackgasse. In Axiom Verge tritt dieses Problem unangenehm oft auf und im Gegensatz zu den Vorbildern frustriert dieses Problem eher, als dass es zur Atmosphäre des Spiels beiträgt.

Sudra, fremde Welt

Auf Sudra gibt es kahle Wälder, dampfende Industrieanlagen und bio-mechanische Strukturen, die entfernt wie die Bilder des Alien-Designers H.R.Giger aussehen. Oft stehen wir dann vor der Frage, wo die einheimische Tier-, Menschen- und Pflanzenwelt aufhört und wo die Maschine beginnt, und gerade die aufgequollenen Boss-Kreaturen erinnern an den Body Horror von David Cronenberg.

Mit diesen Bezügen liegt Sudra weit entfernt von unserem heutigen Verständnis von Technologie und Kultur – und tatsächlich spricht Athetos im Spiel von einer Welt, die so weit jenseits von allem liegt, was wir uns vorstellen können, dass der pure Gedanke daran schon gruselig ist. Es ist die uralte Angst vor dem, was wir in der Leere des Universums finden könnten; eine Angst, aus auch der Horror in Alien oder in den Geschichten von H.P. Lovecraft seine Kraft zieht. Auf Sudra schlafen uralte, riesige Roboterwesen mit unschuldigen Menschengesichtern, deren Kräfte wir nur erahnen; ein spezieller Mantel erlaubt es Trace, sich durch Wände zu bewegen; und ein biomechanisches Gewehr kann die Realität des Universums verändern. Sogar die Musik scheint sich gegen uns zu verbünden, wenn selbst in den kraftvolleren Stücken verlorene und verzerrte Stimmen umherirren, als wären sie die Geister eines längst vergessenen Volkes.

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Dieser lähmende, kosmische Horror und die Frage, ob, wann, warum und wie weit wir uns als Menschen verändern werden, all das liegt mehr oder weniger subtil in Axiom Verge verborgen, wenn man so weit blicken möchte. Alle anderen können weiterhin den „Metroid-Klon“-Narrativ bedienen und zum fünfhundertsten Mal erwähnen, dass der Entwickler Thomas Happ das ganze Spiel alleine gebaut hat. Das ist zwar beeindruckend und erinnert ein wenig an den Filmemacher John Carpenter, verfehlt aber die eigentliche Leistung Happs: Er hat ein Spiel geschaffen, in dem wir nicht nur Knöpfe drücken, sondern zusätzlich auch noch über ein paar Fragen nachdenken können. Science Fiction eben.

Axiom Verge

von am 14.07.2015

Axiom Verge ist auf der einen Seite ein persönlicher Liebesbrief ans Genre mit all seinen Schwächen, auf der anderen Seite ein verworrenes, schwer zu entschlüsselndes Werk zwischen Body Horror, Multiversum-Theorie und Technobabble, das aber auf eigenen Füßen steht und deshalb nicht ständig im Vergleich mit dem großen Vorbild stehen muss.

 

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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