Wir erinnern uns: Im März 2013 erschien der jüngste Teil der Sim City-Reihe. Der Urvater aller Stadtplan-Simulatoren war zurück! Und in Schale hatte er sich auch geworfen: Satte Farben strahlten aus dem Bildschirm, und wer den richtigen Winkel traf, der konnte dank der Tiefenunschärfe in eine kleine Miniaturstadt hineinblicken. Klein war jedoch auch der Umfang, denn wer eine millionenschwere Metropole bauen wollte, der stieß schon bald an die Grenzen des Möglichen, oder besser gesagt: An die von Maxis festgelegten Stadtgrenze. Das Versprechen einer riesigen, lärmenden Megastadt mochte damit nie wirklich aufkommen, und das kommt der Konkurrenz aus Finnland nur zu Gute.
Erneuter Zeitsprung: Als ich letztes Jahr über die Gamescom stolperte, baten mich die netten Mitarbeiter von Paradox Interactive zuerst in einen anderen Raum, um auf meinen Termin zu Magicka 2 zu warten. Hier sah ich den Trailer zu Cities: Skylines. „Das sieht wie eine bessere Version von Sim City aus“, dachte und sagte ich. Die Entwicklerin des Studios Colossal Order pflichtete mir bei und erzählte von den Befürchtungen, die das Team bei der Entwicklung hatte – nämlich, dass Sim City ihnen den Wind aus den Segeln nehmen könnte, was glücklicherweise nicht eintrat. Die Gründe mögen viele sein, aber dass der Trailer „Play offline“ als besonderes Feature anpreist, spricht Bände.
Paradox schenkte mir im Swag-Bag außerdem eine Tafel Schokolade in einer Cities: Skyline-Verpackung, weshalb ich jeden Leser herzlichst dazu einlade, die folgende Kritik unter „voreingenommen & gekauft“ abzustempeln. Das stellt mich vor ein kleines Problem, denn Cities: Skylines ist richtig gut – nicht jedes Spiel schafft es, mich innerhalb von nur zwei Tagen 20 Stunden an den Rechner zu fesseln und den Wunsch in mir zu wecken, endlich wieder eine Kritik für krautgaming zu schreiben. Anderes Beispiel: Ich habe das erste Mal seit Jahren wieder einen Karteneditor benutzt. Das letzte Spiel, in dem ich das tat, war WarCraft III. Im Jahr 2003.
Von klein zu groß
Letzter Zeitsprung, Gegenwart: Willkommen in Cockburg, der Stadt der steifen Brise und hoch aufragenden Türme, benannt von einem Bürgermeister, dessen Sinn für Humor die Pubertät niemals überstanden hat. Die Stadt entstand längs einer phallischen Allee, an dessen Ballsack der Bürgermeister das Land zum Wohngebiet erklärte. Die Woodland Peninsula, anfällig für Tippfehler, liefert exzellente Holzprodukte in alle Welt. Sollte Ihnen die Härte der Stadt und ihr forsches Vordringen in bewaldete Gebiete jedoch einmal zu nahe gehen, warum buchen sie dann nicht einen Flug und fliegen über den Cockenburg International Airport in die blühende Metropole Gadagor, bekannt für ihre kreisförmigen Wohnzentren?
Der Städtebau beginnt recht simpel – von einer Autobahn aus bauen wir ein paar Straßen, und entlang dieser Straßen erklären wir Land zu Wohn-, Gewerbe- und Industriegebieten. Die ersten Dumpfbirnen bauen ihre Häuser, fest davon überzeugt, dass wir ihre teuren Eigenheime niemals durch Hochhäuser ersetzen werden. Kraftwerke liefern Elektrizität, Wasserpumpen Wasser, und an Gewässern müssen wir Ausflussrohre anlegen, um Abwasser zu entsorgen.
Und da tauchen schon die ersten Probleme auf. Große Ansammlungen von Wasser haben in Cities: Skylines eine Fließrichtung – oder eben nicht. In Gadagor führte das dazu, dass meine Wasserpumpen das Abwasser in die Haushalte pumpten. Ab einer Einwohnerzahl von 16,000 schaltet das Spiel zwar Klärwerke frei, doch so groß muss eine Stadt erst einmal werden, ohne die Hälfte der Bevölkerung mit braunen Wassern zu vergiften.
Das Spiel im Sandkasten
Dies ist ein weiterer Punkt, an dem sich Cities: Skylines von Sim City 2013: Sim Harder unterscheidet: Eine funktionierende Stadt ist ein herausforderndes Puzzle, ein ständiges Abwägen der Vor- und Nachteile verschiedener Standorte. Geld ist dabei, anders als in Sim City, in dem ich manchmal mehrere Minuten auf Geld für eine popelige Grundschule warten musste, weniger das Problem. Denn um das Einkommen aus Steuern oder Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr rot zu färben, muss ich mich richtig doof anstellen.
Statt dessen entscheiden Standort und Transport über die Effektivität meiner Stadt – was nützt eine Flotte aus Müllwagen, wenn sie aufgrund des Verkehrs nicht in die Wohnzentren vordringen können, weil der Verkehr zu stark ist? Ein öffentliches Verkehrsnetz muss her. Busse fahren darauf durch die Stadt, die Linien dürfen wir selber planen; und das fühlt sich, so seltsam es klingt, gut an. Der Prozess ist unübersichtlich, doch wenn wir eine Haltestelle an die Straße setzen, tauchen überall lachende, grüne Smileys über den Häusern in der Nachbarschaft auf. Wenn die Linie dann am Startpunkt abschließt und wir die Busse auf ihrer Runde verfolgen können, dann fühlt es sich gut an, und umso besser, wenn letztendlich über zwanzig effektive Linien durch die Metropole Gadagor tuckern.
Die U-Bahn und die Eisenbahn funktionieren ähnlich, doch deren Lärmausstoß belästigt die umliegenden Anwohner – obwohl sie sich gleichzeitig über Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr freuen. Somit muss ich immer abwägen, ob der Nah- und Fernverkehr denn wirklich da Sinn macht, wo ich ihn platzieren will.
Distrikt 9, Aufgabe: Krustentier-Fischerei
Wenn sie sich nicht freuen, dann können wir unseren Bürgern die Busfahrt für lau aufdrängen. Denn in Cities: Skylines Unleashed gibt’s Verordnungen für die Stadt, die verschiedene Vor- und Nachteile mit sich bringen. Kostenlose Brandmelder verringern die Brandgefahr, fressen aber auch Löcher in die Stadtkasse. Herzlose Bürgermeister können Haustiere verbieten, wodurch die Einwohner weniger Müll produzieren, aber auch unglücklicher sind. Um das auszugleichen, können wir ihnen das Rauchen einer gewissen Pflanze für den „Freizeitlichen Gebrauch“ erlauben und damit das Polizeibudget anheben, doch das stört niemanden in einer Stadt, die ständig high ist; und wenn es Probleme gibt, dann heben wir im Business-Zentrum einfach die Steuer für Bürogebäude um zwei Prozent an.
Das Besondere daran: Diese Verordnungen müssen nicht für die ganze Stadt gelten. Wir können mit einem speziellen Werkzeug Disktrikte auf der Karte einzeichnen und Gesetze für diese Viertel festlegen. Wenn etwa nur das Viertel Ballsen im Herzen von Cockburg Gras rauchen darf, dann gibt uns das Spiel die Möglichkeit dazu. Wenn ein anderes Wohnviertel in Gadagor die öffentlichen Verkehrsmittel nicht nutzt, die wir mit so viel Geduld geplant haben, dann können wir den undankbaren Lutschern kostenlose Fahrkarten andrehen, damit die Straßen endlich wieder atmen können.
Mit Distrikten spezialisieren wir außerdem die Industriezonen: Auf der Karte finden sich vier Rohstoffe – Holz, Erz, Öl und fruchtbares Land – die uns ermöglichen, Forstindustrie, Bergbau, Ölbohrtürme und Agrarwirtschaft aufzubauen. Öl erzeugt dabei viel Umweltverschmutzung, bringt aber auch viel Geld ein; Holzindustrie verbraucht hingegen viel Wasser, erzeugt aber keine Umweltverschmutzung.
Weit- und Nahaufnahme
Mit dem Mausrad bewegen wir die Kamera von „Über den Wolken“ auf „beinahe Fußgängerniveau“. Damals, als ich Sim City 2000 spielte und im Hintergrund Follow the Reaper von Children of Bodom rauf und runter lief (ich war spät dran, mit beidem, und mein PC war schlecht), war es mein Traum gewesen, den Bussen, Trucks, Autos und Fußgängern durch meine selbstgebaute Stadt zu folgen. Zwar konnte man damals mit dem Helikopter-Rettungsflugsimulator Sim Copter durch die eigene Schöpfung fliegen und mit hakeliger Steuerung Leben retten und Feuer löschen, doch heute ist es bequemer.
Dabei kommt meine alte Geforce GTX 660 TI jedoch etwas ins Stocken. Denn auf den Straßen fahren unzählige Busse, Donutwagen, Wienermobile, Lastwagen, Müllwagen und Motorräder. Mit einem Knopf kann die Kamera ihnen folgen. Größere Fahrzeuge schaukeln bei jeder Kurve, als ob sie ihr eigenes Gewicht nur knapp auf den Rädern halten könnten. Jedes Gebäude, jedes Fahrzeug und jeden Einwohner der Stadt können wir umbennen, wenn wir wollen – wobei die eigenen Namen teilweise recht clever sind, wenngleich sie sich etwas zu oft wiederholen. So steht im Büroviertel etwa das Entwicklerstudio von „Angry Clan Mobile Games“, das ich gerne als Seitenhieb auf zwei populäre Smartphone-Spiele verstehen möchte.
Dies steht in bester Maxis-Tradition – auf der Mikroebene versteckten Maxis immer gerne kleine Witze im Städtebau, wenngleich das eigene Entwicklerstudio davon weniger auf der subtilen Seite setzt. Colossal Order wissen das anscheinend: Eins der Spezialgebäude ist ein protziger Firmentower, größer als alle Bank- und Finanztower, dessen Grundriss aus einem ineinandergeschobenen großen „C“ und kleinem „o“ besteht. In der Beschreibeung heißt es: „Das Firmengebäude von Colossal Order, dem supererfolgreichen Entwickler, der Millionen macht.“ Und wie wahr das doch im Nachhinein ist: Paradox Interactive verkündigte gerade erst, dass Cities: Skylines den hauseigenen Rekord für die meisten Verkäufe am Veröffentlichungstag gebrochen hat, wenn man die Vorverkäufe mit einrechnet.
Kurzer Exkurs: Verkaufszahlen sind was für Michael Pachter und gefrustete EA-Funktionäre, die nicht glauben können, dass man auch mit einem Launch-Preis von unter dreißig Euro ein Spiel erfolgreich verkaufen kann. Sicherlich macht man mit 250.000 Kopien zu einem Durchschnittspreis von 30 Piepen kein EA-Geld. Aber für einen relativ kleinen Entwickler und seinen Verleger aus Skandinavien ist das sicherlich ein großer Erfolg.
Ecken und Kanten
Letztendlich ist Cities: Skylines Super Stars Rainbow & Knuckles jedoch nicht perfekt. Zum Beispiel die bereits erwähnten Transportlinien: Auch wenn es sich gut anfühlt, die Straße mit Bushaltestellen zu pflastern, ist der Prozess etwas müheselig und unübersichtlich: Ich weiß nie, welche Linie gerade aktiv ist, und manchmal fahren Busse endlos lange Wege, nur, um am anderen Ende der Stadt zu wenden. Weil ich in Cockburg auf einen Bug stieß, bei dem eine Linie mitten im Niemandsland als unvollendet angezeigt wurde, ohne Anbindung zu einer Straße oder Metro, ging ich in Gadagor ganz vorsichtig mit meinen Buslinien um, habe mich bisher aber nicht getraut, bereits vorhandene umzubenennen. Außerdem ist es etwas umständlich, eine Linie einzufärben; denn das kann ich nicht vom Baumenü aus, sondern ich muss erst in der Stadt einen Bus dieser Linie finden, um die Farbe der Buslinie zwecks besserer Übersicht zu ändern.
Weiterhin ärgerlich: Wie in jedem guten City-Builder kann ich mir in Cities: Skylines Reloaded direkt in der Stadt anzeigen lassen, wo denn die „Problemzonen“ in Sache Kriminalität, Bildung, Verkehr oder Landwert liegen. Doch sobald ich meinen Bulldozer zücke, um alle Gebäude einzureißen, die den Wert des Landes herunterziehen, verschwindet die nützliche Infografik. Ich finde es weiterhin sehr umständlich, Zugstrecken zu bauen und dass ein funktionierender Rundverkehr für Züge scheinbar zahllose Weichen benötigt – vielleicht bin ich auch zu doof dafür. Außerdem habe ich Dämme noch nicht verstanden. Denn wir können mit Dämmen ganze Wasserläufe trockenlegen, so wie ich es in Cockburg ausprobierte. Der Damm lieferte Strom, bis er ganz dicht machte, weil das Wasser hinter ihm nicht mehr floss, sondern stand. Schade, aber vielleicht muss ich das an anderer Stelle noch einmal probieren.
Außerdem, und das mag einer der Gründe sein, warum ich den Karteneditor benutzt habe, ist die Auswahl an verfügbaren Karten recht dünn: Zur Auswahl stehen etwa neun Gebiete. Zum Glück gibt es eine direkte Anbindung an den Steam Workshop, aus dem wir kostenlos neue Karten, Gebäude (auch dafür gibt es im Spiel einen Editor – sieh zu und lerne, EA!) und Mods herunterladen können. Cool: Ein Modder hat Cities: Skylines benutzt, um Los Santos aus GTA V nachzubauen – inklusive der umliegenden Landstriche. Das ist doch was, um sich die Zeit bis zur PC-Fassung zu vertreiben.
Metropolis oder Meh-tropolis?
Abgesehen davon habe ich meinen Spaß mit Cities: Skylines. Ich hätte sonst keine 1800 Wörter darüber auf den Bildschirm bekommen. Die Stärke des Spiels liegt dabei nicht nur darin, dass es alles besser macht, was Sim City vor etwa zwei Jahren in den Sand setzte: Denn selbst wenn wir den „David gegen Goliath“-Narrativ der kleinen, europäischen Entwickler-Rebellen gegen das böse Business-Imperium EA bei Seite lassen, bleibt immer noch ein sehr guter City-Builder, der eigene Ideen wie etwa die Wassersimulation mit sich bringt.
Ich will es mit anderen Worten sagen: In meinem Kopf plane ich schon meine nächste Stadt. Ich will eine Vulkaninsel basteln, zu deren Fuß eine Stadt liegt, in der ein freundlicher Superschurken der Marke Hank Scorpio regiert. Vielleicht wird es eine lärmende, riesige Metropole; vielleicht bleibt es eine kleine tropische Arbeitersiedlung, die Öl exportiert, um die Weltherrschaftspläne ihres Bürgermeisters zu finanzieren. Das Schöne ist: Ich habe die Wahl, und wenn der Platz eng wird, wie in Sim City 2013, dann kauft der Bürgermeister einfach neues Land dazu.
Sieht aus wie ein Klon, ist aber so viel mehr: Cities: Skylines verwirklicht den Bau der Traumstadt in nahezu grenzenloser Freiheit. Ja, irgendwann hat die größte Karte ihr Ende – aber bis dahin ist die Stadt bereits eine riesige, tobende Metropole.
Twittern | Pin It |