Ryse im Review: Romani ite domum

Ryse im Review: Romani ite domum

von am 09.10.2014 - 14:00
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Wir jubeln nicht mehr für den Underdog. Der Held von heute steht an der Spitze eines Heeres, das seinen Widersachern überlegen ist – ob nun in technischer, logistischer oder numerischer Sicht. In unserer Gunst stehen nicht mehr Frodo, Luke Skywalker oder John McClane, die ihrem Feind fast nackt gegenüberstehen und trotzdem triumphieren. Statt dessen feiern wir einen Millardär, ein grünes Wutmonster, einen nordischen Gott und einen Supersoldaten, die ein adoptiertes Waisenkind verprügeln. Es geht nicht mehr darum, das System zu ändern; es geht darum, das System zu verteidigen – ob das nun unsere Zivilisation oder das Imperium Romanum ist.

Ryse ist ein solcher Titel und sieht zudem auf den ersten Blick so aus, als ob Microsoft das Xbox-Gegenstück zu Sonys God of War-Reihe schaffen wollte: Antike? Check. Hacken und Schnetzeln? Check. Übertrieben hoher Gewaltgrad? Check. Übernatürliche Elemente? Check. Doch Ryse: Son of Rome schlägt eher in die Kerbe von Call of Duty und Battlefield.

Nixus Gewehrus, sondern Schwertus

Das ist nicht das Schlechteste, und zu einem gewissen Grad hat Crytek für diesen Schritt Respekt verdient – ein moderner Militär-”Shooter” im alten Rom ist zumindest eine halbwegs frische Idee. Statt Maschinengewehr kämpfen wir halt mit Schwert, Schild und Speer; und die für das Genre obligatorische Geschütz-Sequenz, in der wir von einem Panzer aus auf die Feinde des Status Quo herabschießen, findet in Ryse eben auf einem Holzkarren statt, auf dem eine Balliste klebt.

Die Feinde der westlichen Welt sind dieses Mal keine Terroristen, sondern Barbaren, doch der Auslöser für die Geschichte von Legionär Marius Titus bleibt vertraut: Die Fellträger verüben einen Anschlag auf seine Familie. Im Kampf töten sie seine Schwester, seine Mutter und seinen Vater. Marius schließt sich daraufhin der vierzehnten Legion an, um Rache an den Barbaren zu nehmen – doch der Urheber des Anschlags lauert nicht dort, wo er ihn vermutet.

stabby

Gemetzelus est langweiligus

Die Rolle des Spielers besteht darin, Marius von einer Szene zur nächsten zu steuern. Zwischendurch gibt’s jedoch einen Haufen haariger Hintern zu verhauen. Mit X benutzen wir das Schwert, mit Y das Schild – mit letzterem können wir die Verteidigung von anderen Schildträgern durchbrechen. Wenn ein Barbar genug eingesteckt hat oder taumelt, kann Marius ihn in Zeitlupe exekutieren, um verschiedene Boni zu erhalten. Dabei leuchtet der Feind blau oder gelb auf, und wir drücken den entsprechenden Knopf, um ihn mit Schwert und Schild zu ermorden.

constipation

Das Spiel geizt dabei nicht mit Armen und Beinen, die durch die Luft fliegen. Doch bereits nach kurzer Zeit sind die Exekutionen im Zack Snyder-Stil langweilig, aber ein notwendiges Übel, um Erfahrungspunkte zu sammeln, mit denen Marius seine Fähigkeiten verbessern kann. Außerdem kann Marius mit den Exekutionen einen Teil seiner Lebensenergie wieder auffrischen. So sind wir immer wieder gezwungen, Barbaren zu exekutieren, obwohl die Zeitlupe den Spielfluss bricht.

Zwischen den Kämpfen bewegen wir Marius durch enge Straßen, Waldpfade oder Sümpfe. In Britannien, dem Heimatland der barbarischen Invasoren, muss er immer wieder Fallen “entschärfen”; indem er sie auslöst und die abgefeuerten Stacheln mit seinem Schild zertrümmert. Denn so machen das echte Männer.

Schlachtus et beschränktus Armeeus Managementus

Doch Marius ist nicht nur Legionär – nach der chaotischen Landung in Britannien ist er Centurio. Das reflektiert das Spiel damit, dass er in einigen Situationen entscheiden kann, wo er seine Bogenschützen positionieren soll – was nicht immer einen Unterschied macht, denn am Ende ist nur das wichtig, was Marius persönlich wegschnetzelt. Außerdem verlässt den Spieler niemals das Gefühl der Macht. Ein Beispiel dafür ist die Belagerung von York: Hier reicht eine Armee der Barbaren bis an den Horizont. Belagerungstürme bilden beinahe eine Mauer, und in der Ferne stehen Trebuchets.

siege

Doch die Übermacht schiebt brav einen Belagerungsturm an die Mauern von York, wartet, bis ich ihn zerstört habe, und holt dann langsam den nächsten heran. Zwischendurch klettern zwei, drei Barbaren die Leiter hinauf. Wie das besser geht, hat 2003 schon Lord of the Rings: The Return of the King mit seiner Schlacht von Minas Tirith gezeigt. Dort mussten wir als Gandalf von Mauer zu Mauer rennen, zahllose Leitern von der Brüstung treten und an mehreren Orten gleichzeitig sein, um der Stadt eine Chance zu geben. Kurz: Es war Stress, während die Belagerung von York in Ryse die Frage aufwirft, warum die Römer überhaupt die Stadt verlassen müssen, wenn ihre Verteidigung doch so einfach ist.

Imposantus Optikus et Audius

Ryse hat ein paar beeindruckende Momente – so müssen wir in einem Sumpf die versprengten Reste unserer Truppen finden, bevor sie die Barbarenpriester in hölzernen Käfigen verbrennen. Das ist vom Gameplay her zwar dumm, denn sobald Marius einen der Priester auf sein Schwert spießt, erscheint bereits ein neuer, bis der Rest der Barbaren im Sumpf versickert; das zieht sich unnötig in die Länge. Doch das Feuer sieht einfach toll aus. Später brennt dann ein turmhoher Wicker Man – und ich sitze vor dem PC und sage “Wow”.

fire

Crytek beherrscht seine Grafik-Technik – ob es nun offensichtliche Szenerien wie eine Äquadukt-Baustelle im Wald ist oder aber der subtile Funkenflug, wenn zwei Klingen sich kreuzen. Die Landung in Britannien ist, wenngleich sie auf bizarre Art Saving Private Ryan von Steven Spielberg zitiert, ein großes Highlight: Schiffe zerbersten am Strand, und wir kämpfen uns ohne Lade-Bildschirm vom Strand in die Festung hinauf.

Der Soundtrack erinnert in seinen besten Momenten an den Lord of the Rings-Soundtrack von Howard Shore, gekreuzt mit ein paar mediterranen Klängen. Die Stimmen der Figuren sind hervorragend besetzt, gerade gemessen an dem Material, mit dem die Synchronsprecher arbeiten mussten.

Auf technischer Seite ist also alles mehr als in Ordnung – es ist höchste Qualität. Das gilt auch für die Portierung auf den PC. Ich kann mit Maus und Tastatur spielen, wenn ich will, aber auch mit Gamepad. Auf meinem Rechner läuft Ryse auf den höchsten Einstellungen gut und ohne spürbare Framerate-Einbrüche – obwohl lediglich eine zwei Jahre alte Mittelklasse-Karte im Rechner röhrt (Geforce GTX 660 TI oder so ein Quatsch). Einzig die Kantenglättung habe ich deaktiviert, um dem System ein wenig mehr Luft zu bieten. Ein aktueller Rechner dürfte kaum Probleme haben, das Spiel zu bewältigen.

FAZITUS

Als ich etwa die Hälfte von Reis: Sonn of Roam hinter mir hatte, lief Asterix bei den Briten im Fernsehen. Aus Nostalgie schaltete ich ein und ließ mich daran erinnern, dass die Geschichten meiner Vergangenheit immer wieder eins predigten: Sei auf der Seite der Unterdrückten. Die Gallier waren meine Helden, weil sie sich gegen übermächtige Oppression wehrten; Gallien, so hieß es am Anfang der Comics, war von den Römern besetzt – nicht integriert, nicht angeschlossen, nicht aufgenommen. Sondern besetzt.

Heute sitze ich an meinem PC und spiele den militärischen Arm der Unterdrücker; ich spiele denjenigen, der das Reich schützen will, das seine Größe überhaupt erst durch Mord und Terror gewann. Das kann funktionieren – etwa in Spec Ops: The Line, das mir mehr oder weniger klar macht, dass ich nicht auf der Seite der Guten spiele, sondern einer falschen Idee von Heldentum folge.

its armless

Ryse hingegen tut das nicht: Marius ist Soldat des Systems, ein Held, da muss er doch auf der guten Seite stehen! Es sind die anderen, die böse sind – die Barbaren, ihre Anführerin Boudica, Kaiser Nero und seine Söhne! Stellenweise ist das Spiel in seiner Moral sogar unfreiwillig komisch: Wenn Marius nach unzähligen abgetrennten Armen und Beinen den Fall der Stadt York mit “So viel Blut. So viel Tod.” lamentiert, dann frage ich mich, ob er auch an die vielen Witwen und Waisen denkt, die sein Rachefeldzug bereits gefordert hat.

Aber das ist die Essenz von Ryse: Keine Reflektion, keine Grauzonen. Schwarz und weiß, und weiß ist immer gut und der unbekannte Soldat, der den Unrechts-Staat schützte, ist ein unanfechtbarer Held, dem am Ende ein Denkmal gesetzt wird. Das ist eine qualvoll vertane Chance. Aber hey, immerhin sieht das Spiel total toll aus.

Ryse: Son of Rome

von am 09.10.2014

Römer, geht nach Hause: Die Antike hat bessere Geschichten als die von Ryse verdient.

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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