Zwischen den Stühlen: Ersteindruck zu The Elder Scrolls Online

Zwischen den Stühlen: Ersteindruck zu The Elder Scrolls Online

von am 26.04.2014 - 14:24
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Schaut man in die heutige MMORPG-Landschaft, dann hat das Rollenspiel seine Bedeutung verloren: Abenteuer in fernen, atmenden Welten sind nicht mehr so wichtig wie die kalten Belohnungs-Systeme unter ihrer Oberfläche. Der Entdeckergeist wich der Quest-Checkliste und „Seid gegrüßt!“ beugte sich dem „lol“, und mittlerweile sind Online-Fantasy-Welten weniger Fantasy-Welt und mehr Aktivitätencenter mit Fantasy-Anstrich. Wenn nun auch die große Rollenspieler-Zuflucht The Elder Scrolls ein Stück von diesem Kuchen haben will, schellen überall Alarmglocken; dabei ist es eine große Chance für das Genre. Denn The Elder Scrolls Online ist mehr Elder Scrolls und weniger Online-Rollenspiel, zum Guten wie zum Schlechten.

Auch wenn wir oft beklagen, dass die Reihe von Teil zu Teil dümmer geworden ist, ist sie immer noch einzigartig. Moderne Rollenspiele wie zum Beispiel die Mass Effect-Reihe zeigen mehr Interesse am Erzählen ihrer eigenen Geschichte, weniger an der des Spielers; Bethesda hingegen setzt uns ins Zentrum. Die Mechaniken in The Elder Scrolls dienen an erster Stelle seinem Abenteuer und seinem Weg durch die Welt. Ob wir nun einen Gauner spielen, der zur Spitze der Diebesgilde aufsteigen möchte, oder einen Zauberer, der alle Bücher der Welt sammeln will, in the Elder Scrolls können wir den Plot vergessen und unser Spiel spielen: „Du bist der Dragonborn. Das da ist Skyrim. Irgendwo gibt es ’ne Geschichte, aber alles kann, nichts muss. Hab Spaß.“

Das ist zum Teil auch in The Elder Scrolls Online der Fall.

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Knast und Namensturm

Typisch für die Serie: Ich bin Gefangener. Ich wache in einer Zelle auf und muss aus ihr entkommen. Ein Prophet hilft mir dabei. Doch auch der Aufstand der Gefangenen passt, und bald bin ich auf freiem Fuß und trage einen Stab, der Frostblitze abfeuert.

Wenig später finde ich heraus, dass ich in Kalthafen bin – außerhalb der physischen Welt. Mithilfe des Propheten geht’s zurück in meine körperliche Gestalt und nach Tamriel. Er erklärt mir, wo es weitergeht, und ich schipper mit dem nächsten Schiff zur Insel Khenarthis Rast.

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Arbeit finde ich dort schnell, denn vor Kurzem fegte ein Orkan über die Insel – doch sein Ursprung war nicht natürlich. Ein Khajit namens Razum-dar bittet mich, dem nachzugehen; anscheinend stecken die Seevipern dahinter, die im Auftrag von… und was soll’s, zwischen all den fremden Namen verliere ich schnell die Geduld. Der Prophet, Razum-dar, Lyris Titanenkind, Khajit, Khenarthis Rast, Seevipern, Molag-Bal, die Grüne Dame, Mistral, Feldwebel Firion – TESO verlangt viel von mir, dabei will ich doch nur als Zauberer die Welt erkunden.

Ich bin nicht allein

Doch Quest-Texte wegklicken ist für mich nicht drin – das hier ist immerhin nicht World of ADS-Craft. Ich beiße mich durch den Namen-Auflauf und mache schließlich das, was in der Elder Scrolls-Reihe immer spannend ist: Ich erkunde die Landschaft. Und die ist wunderbar: Die Insel grünt, Schmetterlinge flattern über Blumen, Bäume wachsen zwischen Tempelruinen und das Sonnenlicht umstrahlt ihre Kronen. Klares Wasser umspült die Strände – dann lauf ich plötzlich in einen Sturm hinein und der Himmel ergraut: Am südöstlichen Ufer beschwören ein paar fiese Jungs und Mädels einen Orkan.

Der rasche Wechsel beeindruckt mich, denn er passiert so fließend. Doch gleichzeitig frage ich mich, wie das funktioniert: Denn sobald ich die Menschenopfer befreie, mit denen die Seevipern den Sturm beschwören, verschwindet der Orkan. Ich weiß aber, dass er nur für mich verschwindet. Andere Spieler laufen zu den Opferstellen – ich sehe nicht, dass sie die Opfer ebenfalls befreien, doch ich kann es mir vorstellen. Das wirkt befremdlich, weil der Sturm doch verschwunden ist.

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Es stört ein wenig die Atmosphäre, auf die TESO offenbar so viel Wert legt – und wirkt so dem Aufwand entgegen, den der Entwickler an vielen anderen Stellen betrieben hat: Die Welt sieht so gut aus, dass ich gelegentlich stehen bleiben muss, um ein Bildschirmfoto zu machen (weil mir zu Hause sonst keiner glauben wird); jeder Dialog ist vertont; meine Aufgaben drehen sich mehr um kleine Geschichten als um „Jäger und Sammler“-Quests; und kleine Details warten an jeder Ecke. Zum Beispiel die Sängerin Malukah, die als Bardin z.B. in Mistral steht – zumindest, wenn ihr das Spiel auf Englisch spielt.

Sprich: Für ein paar Minuten versinke ich immer wieder in dieser lebendigen Welt, doch dann hüpft Bone KrusherXX durchs Bild und befreit einen Gefangenen, den ich schon längst befreit habe: Ich frage mich, warum ich meinen Avatar nicht gleich Kick Punchflipper genannt habe. Vielleicht heißt der Nächste so.

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Wiederentdeckte Tugenden

Das klingt wie ein kleines Detail, stört aber das Elder Scrolls-Feeling. Dabei weiß ich nicht, ob das Problem beim Spiel, bei den Spielern oder meinen veralteten Idealen liegt. Als MMORPGs entstanden, sprach daraus die Sehnsucht nach einer virtuellen Welt – einer Art zweitem Zuhause in einer Fantasy-Welt. Das ist heute anders: Wer echtes Rollenspiel mit anderen Menschen sucht, muss lange nach einer entsprechenden Gilde suchen oder gleich in Forenrollenspiele einsteigen (wie etwa die Minenkolonie).

Es ist fast schon tragisch: The Elder Scrolls Online ist unglaublich nah an diesem verschollenen Ideal. In einer Welt nach World of WarCraft (see what I did there?) ist es aber fraglich, ob Spieler ohne den ständigen Beute- und Belohnungsregen auskommen können, mit dem uns viele moderne MMORPGs überschütten. TESO ist ein Spiel für Genießer und Erkunder, nicht für Schadenswert-Berechner, Diablo-Jünger oder Menschen, die keine Quest-Texte lesen.

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Ich wende mich wieder der Reise zu. Ich hab auf Khenarthis Rast ein weiteres Ritual verhindert, das die ganze Insel vernichtet hätte. Razum-dar ist stolz auf mich. Er schickt mich auf die Insel Auridon, in die Stadt Vulkhelwacht. Dort verhindere ich ein Attentat auf die Königin unserer Fraktion: nicht das erste und letzte Mal, dass ich einen Verrat erlebe. Denn das Schleiererbe möchte den Thron an sich reißen und lauert in ganz Auridon, wie ich in meinen weiteren Missionen herausfinden.

Die Königin zeigt erst einmal, wie weise sie ist, indem sie mir einen Platz unter ihren Eliteagenten anbietet. Sie kennt mich zwar kaum und ist gerade knapp einem Attentat entgangen, aber immerhin habe ich dieses Attentat auf sie vereitelt – das muss ja irgendwas wert sein. Sie schickt mich nach Tanzewil. Dort will sie ihre Ahnen ehren, doch ich klaue derweil lieber einem Paar am Strand von Vulkhelwacht Brot und Wein aus dem Picknickkorb. Obwohl sie mich beide sehen können, reagieren sie nicht. Das finde ich schade, denn Diebstahl blieb in vorigen Elder Scrolls-Titeln nicht ungestraft.

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Mischlinge sind nicht erwünscht

Als mich ein paar Untote in der Nähe der Ruinen von Ondil wiederholt niederknüppeln, beschließe ich, dass ich etwas üben muss – mein Beschwörer-Zauberer ist etwas unterentwickelt im Kampf. Daran bin ich selber schuld, denn ich spiele einen Zauberer, der mit Pfeil und Bogen kämpft, wenn er doch mächtiger mit einem Stab wäre.

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Anders als in den vorherigen Elder Scrolls-Titeln gibt es vier Klassen, aus denen der Spieler wählen kann – den Drachenritter, den Zauberer, die Nachtklinge und den Templer. Wer vorher schon einmal ein Online-Rollenspiel gespielt hat, erkennt darin die “heilige Dreifaltigkeit” aus Damage Dealer (der, der draufhaut), Tank (der, der einsteckt) und Healer (der, den alle beschimpfen, wenn jemand aus der Gruppe stirbt).

Trotz der Klassenwahl zu Beginn darf ich auch andere Wege gehen: So darf ich als Zauberer zwar Pfeil und Bogen benutzen, aber nichts lernen, das mit dem Schleichen zu tun hat. Drachenritter haben eine kleine Palette an magischen Fähigkeiten, können aber nicht auf die Magie der Zauberer zugreifen. Mischklassen sind damit nur schwer möglich, weil jede Klasse über exklusive Fähigkeiten verfügt, die die anderen nicht haben. Das war in Skyrim noch anders, denn da gab es keine Klassen.

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Ich übe Bogenschießen und ein, zwei Quests weiter richte ich annehmbaren Schaden an. Zusammen mit meinen Beschwörungskünsten bin ich nun fast schon relativ so ein bisschen irgendwie schlagfertig – solange nicht mehr als zwei Feinde gleichzeitig auf mich eindreschen. Ich mache mich nun auf nach Mathiisen.

Dieb und Grabpfleger

Hier treffe ich erneut auf Razum-dar. Ich mag den Katermenschen, auch wenn sein gesprochener Text und der “Untertitel” manchmal nicht zusammenpassen. Sein Akzent irritiert mich immer noch, aber das liegt weniger am Text oder der Vertonung: Das Erste ist solide Fantasy-Schreibe, die ab und zu viel zu viel erklärt und viel zu oft über schwache Humor-Versuche stolpert, während die Vertonung durchaus gute Sprecher in ihren Reihen hat. Trotzdem fühlen sich viele Gespräche kalt und leblos an, weil niemand sich entsprechend seiner Stimme bewegt. Wann immer eine Figur aufschreit, lacht oder lamentiert, bewegt sie sich, als ob sie an Weihnachten ein Gedicht vor ihrer Familie aufsagen würde: Ein weiterer Punkt, der die Atmosphäre stört, und da hilft es auch nicht, auf die englische Fassung umzuschalten.

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Nachdem ich eine weitere Verschwörung aufgedeckt und beendet habe, schickt mich Razum-dar nach Himmelswacht und Überraschung: ein weiterer Verrat aus den Reihen der Königin. Langsam entdecke ich ein Muster und beschließe, mir lieber ein paar Nebenquests anzusehen. Da will eine Frau, dass ich ihr Ersatzteile für ihr mechanisches Käfer-Haustier klaue; und eine andere bittet darum, an den Gräbern ihrer vier gefallenen Söhne zu beten, die auf der ganzen Insel verteilt sind. Letztere Aufgabe berührt mich doch ein wenig – vielleicht, weil ich selten in einem Online-Rollenspiel Teil eines derartigen Einzelschicksals wurde. Ich werde der Bitte nachgehen, zu späterer Zeit.

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Nun gehe ich in die Stadt und besorge die Ersatzteile, und auch hier schränkt das Spiel meine Entscheidungsfreiheit stärker ein als vorige Elder Scrolls-Titel. Ich habe exakt zwei Möglichkeiten, in das Haus einzusteigen, in dem ein Ersatzteil liegt: Entweder ich besteche die Wache an der Vordertür, oder ich überrede sie. Das war’s – kein geheimer Hintereingang, keine Luke auf dem Dach, die ich vom Obergeschoss eines Nachbarhauses erreichen kann. Frustriert bezahle ich die Wache, obwohl das nicht meine Spielweise sein soll.

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Der Eindruck

Die Chancen stehen gut, dass wir alle schon von den weißen Bergen von Skyrim herab blickten, durch die grünen Wiesen von Cyrodiil wanderten oder mit einem Schlickschreiter reisten. Fünf Spiele – Arena, Daggerfall, Morrowind, Oblivion und Skyrim – illustrierten bisher den Kontinent Tamriel und schufen Abenteuerspielplätze für Legionen von Spielern.

Doch bisher spielten wir alleine; wenn wir Drachen schlugen, bezwangen wir sie alleine. Wenn wir die Tore nach Oblivion schlossen, kämpften wir allein. Wenn wir uns in die höheren Ränge der Diebesgilde hineinschlichen, dann warteten wir allein im Dunkeln; und wenn wir unter Riesenpilzen rasteten, da schliefen wir allein.

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Jetzt können wir Freunde und Fremde fragen, ob sie zusammen mit uns den Kontinent erkunden wollen. Die Frage ist das, ob wir das möchten: Denn The Elder Scrolls funktioniert perfekt als Festung der Einsamkeit, in der wir anderen Menschen aus dem Weg gehen können. Zu einem gewissen Grad ist das auch in The Elder Scrolls Online so. Wir können immer noch durch wunderbare Länder schreiten und kleine Geschichten entdecken, uns an der virtuellen Natur erfreuen und Kämpfe in finsteren Verliesen schlagen. Aber jetzt müssen wir diese Erlebnisse mit anderen teilen und es ist fraglich, ob das notwendig ist. Denn bisher funktionierte es besser.

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Ob man TESO nun wie ein Skyrim oder wie ein modernes MMORPG spielt – beiden Erfahrungen fehlt etwas. Beim Wechsel in die Online-Welt ging etwas verloren: Die Freiheit, mit der wir kämpften, wich der Dreifaltigkeit (womöglich aus Balancing-Gründen für Spieler gegen Spieler-Gefechte); das Innere vieler Häuser sieht gleich aus; wir habe zu wenig unterschiedliche Wege, um Probleme zu lösen; und es liegen weniger Gegenstände in der Welt herum, die ich einsacken kann. Die Ironie ist perfekt: Ein einstiger Rollenspielgigant mutiert zum noch gigantischeren Online-Rollenspiel, und obwohl die Welt größer ist, haben wir weniger Freiheiten.

Doch das ist immer noch mehr, als uns viele andere Online-Rollenspiele zutrauen, und dafür können wir dankbar sein.

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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