Octodad: Mensch mit acht Armen

Octodad: Mensch mit acht Armen

von am 16.02.2014 - 12:31
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Es ist nicht leicht, Mensch zu sein. Ständig wirft uns der Alltag die ganzen lästigen, kleinen Aufgaben vor die Füße: Essen kochen, Einkaufen, Kaffee machen. Das kann schnell anstrengen. Doch was für uns lediglich unbequem ist, ist für Octodad ein wahrer Kampf. Denn niemand darf merken, dass er ein Octopus im Anzug ist – und so bringt ihn schon ein Familienausflug ins Aquarium in Lebensgefahr.

Der Star von Octodad: Dadliest Catch ist Octodad. Er ist ein Tintenfisch mit großen, runden Augen und versteckt seine acht Tentakel in einem Anzug, um nicht aufzufallen: Vier Greifer in die Hosenbeine, zwei in die Ärmel. Das letzte Tentakelpaar ist sein Bart – was ein wenig an Dr. John Zoidberg erinnert, den Hummer-Arzt aus Futurama.

In einem klassisch amerikanischem Vorort lebt Octodad mit seiner menschlichen Frau und zwei Kindern, wobei – so informiert uns der Titelsong – niemand ihn verdächtigt, ein Octopus zu sein. Bis auf einer: Ein Koch versucht ständig, ihn umzubrigen, denn er hegt einen alten Groll gegen Meeresgetier ohne Wirbelsäule.

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Nobody suspects a thing

Octodads Familie hingegen denkt, er wäre einfach nur extrem tollpatschig. Aus der Küche ruft seine Frau „Hast du schon wieder die Kommode umgeworfen?“, wenn etwas aus dem Wohnzimmer rumpelt. Es ist normal, doch für das Weichtier eine riesige Herausforderung. Wieso das so ist, erfahren wir am eigenen Controller: Denn anstatt Octodad direkt zu steuern, lenken wir seine einzelnen Gliedmaßen, wie ihr im Trailer sehen könnt:

Das ist die große Stärke von Dadliest Catch, denn es ist so gut wie unmöglich, den Octopus ohne Kollateralschaden durch sein Haus, den Garten oder Supermärkte zu steuern. Genauso unmöglich ist es, beim Spielen ernst zu bleiben: Wenn Octodad auf seiner Hochzeit versucht, die Blumenvasen im Kirchengang nicht umzustoßen, dann ist das Slapstick pur, und allein der Spieler ist dafür selbst verantwortlich. Der Witz von Octodad kommt fast ausschließlich aus seinen Händen, wodurch wir unseren ersten interaktiven Slapstick-Simulator haben.

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Wenn Octodad eine Aufgabe wie „Bringe deiner Tochter Milch“ bekommt, dann ist das für ihn eine fast schon biblische Aufgabe. Denn sein Körper macht einfach nicht das, was er von ihm möchte. Wir haben uns ohnmächtig bei den kleinsten Aufgaben gefühlt – und fragen uns, ob da eine versteckte Botschaft drin ist: Wenn der Körper nicht mehr richtig funktioniert, wie etwa bei Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung, dann wird der Morgenkaffee schon zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Dadliest Catch bringt das auf den Punkt: Nichts, aber auch gar nichts funktioniert so, wie der Spieler es möchte. Ob das Spaß macht, steht auf einem anderen Blatt.

Glibber-Frust

Gleichzeitig ist das die größte Schwäche von Octodad. So stark die Message auch ist, im Spiel nervt es, wenn der blöde Kopffüßer nicht das macht, was wir wollen. Eine Rückblende auf einem rutschigen Schiff zerrte an unserem Geduldsfaden, da keiner der Matrosen den Octopus sehen durfte. Präzises Schleichen auf einem schaukelnden Schiff mit rutschigem Deck? Als Octopus? Wessen Idee war das denn?

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Die Lösung des Problems ist immer zum Greifen nahe, doch Octodad’s Arme machen nicht das, was wir von ihm wollen. Ob er durch das Kühlregal im Supermarkt glibbert oder über eine Kletterburg: Diese Momente nerven so stark, dass der Rest des Spiels fast keinen Spaß mehr macht.

Der KrakenMann

Dabei hat Entwickler Young Horses den Rest so liebevoll gestaltet: Alles steht in voller Farbe, und die Welt steckt voller Details und Anspielungen: So liegen im Supermarkt Säcke voller „Totalbiscuits“ und Vlambeerio-Frühstücksflocken stehen im Regal. Wenn Octodad etwas greift, dann machen seine Saugnäpfe „plopp“. Sein Arm raucht, wenn der Spieler beim Grillen vergisst, ihn vom Grill zu nehmen. Und der Familienausflug ins Aquarium ist ein Lernlandschaft-Albtraum mit pädagogischem Zeigefinger.

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Octodad selber ist dabei ein absolutes Highlight. Seine Mimik und die geblubberten Worte, die jeder andere Charakter im Spiel versteht, sind zum einen unglaublich komisch. Zum anderen machen sie ihn zu einem „echten“ Charakter: Er zeigt Gefühle, macht Witze, hat Ängste und tut alles für seine Kinder. Das ist wie eine Antithese zu den kämpfenden, grunzenden, familienlosen Waffenschwingern, die wir sonst in Spielen finden. Die Ironie liegt auf der Hand – ein Octopus im Anzug ist menschlicher als die meisten anderen Menschen in Videospielen.

…und dann läuft der Abspann

Der Ausflug in die Welt der verkleideten Weichtiere ist nach etwa drei Stunden vorbei – doch die sind gut. Wer noch nicht genug von Octodad hat, kann in den einzelnen Kapiteln jeweils drei versteckte Krawatten sammeln oder aber versuchen, seine Bestzeit zu schlagen.  Außerdem lockt ein kooperativer Spielmodus: Zwei Spieler übernehmen dabei die Kontrolle über verschiedene Gliedmaßen, und das Spiel mischt immer wieder neu, wer welchen Arm und welches Bein steuert.

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Am PC gibt es außerdem noch eins: Mods. Über Steam Workshop können Spieler neue Level für Octodad herunterladen. Trotzdem: Für etwa 15 Euro sind die drei Stunden für manch einen Spieler vielleicht zu wenig Spielzeit.

Du bist der Tentakel

Mit Octodad: Dadliest Catch stehen wir auf wackligen Füßen. Denn es bringt in zu vielen kleinen Szenen vor allem eins: Frust. Das ist hart zu ertragen, denn wir sind es als Spieler gewohnt, uns als Halbgötter im Knöpfedrücken und Nippelwackeln zu feiern. Doch vielleicht ist das der Punkt: Es wirkt, als wollte Octodad mit seiner Steuerung Jahre an Controller-Sozialisation aufbrechen. Das ist ein mutiges Statement gegen die brüllenden Skill-Alphas der Pro-Gamer-Szene, fast schon im Sinne von: „Versucht das hier, Idioten.“ Ob dieser Frust gefällt, muss jeder für sich selber entscheiden.

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Doch wenn wir einen halben Supermarkt mit ihm zerlegen oder uns im Otterkostüm an Meeresbiologen vorbeischleichen, dann können wir ihm letztendlich nicht böse sein. Er ist ein liebenswerter Charakter – einer der besten der letzten Jahre. Es ist unmöglich, nicht wenigstens zu schmunzeln, wenn Octodad etwas kaputt macht und eine Entschuldigung blubbert. Das Beste am ganzen Spiel ist jedoch, dass fast der gesamte Humor vom Spieler kommt. Wir sind Octodad – und unheimlich froh, dass wir Hände und keine Tentakel haben.

Octodad: Dadliest Catch

von am 16.02.2014

Octodad ist witzig und einfallsreich, frustriert aber auf der anderen Seite auch, weil es eben witzig und einfallsreich sein möchte. Trotzdem: Von uns gibt es eine Empfehlung, denn etwas vergleichbares werdet ihr in den nächsten Jahren nicht spielen können.

 

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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