2013: Was niemanden interessierte

2013: Was niemanden interessierte

von am 07.01.2014 - 09:03
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Jedes Jahr kommen sie wieder: Die Artikel über die besten und dümmsten Spiele des Jahres. Oder die Videos über die größten Kontroversen. Am Besten in Listenform, denn sonst klickt ja niemand drauf. Vielleicht auch nur mit Bildern – denn heute reicht es, die Leser nur daran zu erinnern, dass BioShock Infinite oder The Last of Us existieren und 2013 auf den Markt kamen. Das nennt man dann Journalismus. Ich möchte so etwas Ähnliches versuchen: Mit meinem Doktortitel in Langweile schreibe ich über das, was dieses Jahr keine Sau interessiert hat. 

Ich war schnell fertig – die Feiertage konnten kommen. Alles, was ich schreiben wollte, hatte ich schon geschrieben. Doch dann musste ich ihn einen Tag vor Heiligabend wieder umwerfen. Der Grund: Ich spielte ein Spiel, weil es den ersten Platz auf der Jahresbestenliste von totalbiscuit einnahm. Das Jahr 2013 sah plötzlich doch nicht mehr so dunkel aus.

2013 im Schnelldurchlauf

Dieses Jahr ist viel passiert: Microsoft und Sony warfen neue Konsolen auf den Markt. Valve kündigte seinen eigenen Vorstoß ins Wohnzimmer an. Brütal Legend rockte endlich den PC – ich hatte schon gedacht, ich sehe Eddie Riggs nie wieder. UbiSoft lockerte die Entwickler-Fesseln und schenkte uns FarCry 3: Blood Dragon, eine liebevolle Hommage an die Videothekenfilme der 80er Jahre, mit eigenem Mittelfinger-Knopf. Tomb Raider stellte Lara Croft in neues Licht – über das Ergebnis kann man streiten, aber von mir gibt es einen Pluspunkt für den Versuch. Mit Injustice – Gods Among Us hingegen konnte ich endlich prüfen, ob Aquaman wirklich so nutzlos ist, wie alle immer behaupten (Antwort: Ja, ist er).

Ladida, ein Dreizack

Abseits der eigentlichen Spiele hat das Netz dieses Jahr viel diskutiert: Ist Bioshock Infinite zu brutal? Hat Microsoft seinen Verstand verloren? Ist GTA V nun eine Parodie oder eine Satire? Jim Sterling verließ Destructoid und heuerte beim Escapist Magazine an, Phil Fish (Fez) verließ die Spiele-Industrie nach einem Twitter-Kampf (“Compare your life to mine and then kill yourself”) mit Marcus Beer. Weil Twitter das Kind im Manne weckt und man Futurama-Zitate vielleicht auch mal überdenken sollte, bevor man sie in die Welt heult – auf rein menschlicher Ebene trug die Szene dieses Jahr den Kopf manchmal im eigenen Anus umher.

Entfernt relevant

Die Kritikerlegenden Roger Ebert und Reich-Ranicki starben – zwei Titanen der Film- bzw. Literaturkritik. Müsste uns Spieler nicht interessieren, wenn unser aller Zeitvertreib nicht ständig aus Literatur und Film klauen würde; und wenn die Qualität von Spielekritik nicht so weit von der von Film und Buch entfernt wäre, wie es Leigh Alexander in ihrem „Kurzreview“ zu GTA V (“This Is why we video gaming”) parodierte.

Außerdem verstarb dieses Jahr Hiroshi Yamauchi, der Nintendo in den Titan verwandelte, den wir heute kennen. Ohne ihn wäre Nintendo wohl ewig bei den Spielkarten geblieben – und bis auf wenige Stimmen verhallt sein Ableben ungehört im Netz. Was ist los mit dir, Internet?

Uns interessieren nur die Spiele, nicht die Menschen dahinter – darum mache ich damit weiter: Double Fine veröffentlichten mit The Cave ihr bisher schwächstes Spiel. Shadowrun Returns zeigte mir, dass Rollenspiele nach alter Black Isle/Bioware-Art noch nicht ausgestorben sind. Lego City Undercover vergaß, Musik fürs Autoradio zu lizensieren – ein schwerer Fehler, denn etwas Sodom im Klötzchenwagen hätte das Spiel unvergesslich gemacht (man wird träumen dürfen). Eine bessere Tracklist hatte da Saints Row 4: Auf mutige Art geschmacklos.

You got the Touch, You got the Power

Tatsächlich ist Saints Row Fo‘ (Yo!) das einzige ’13er-Spiel, das mich bis tief in die Nacht an den PC fesselte. Ich schäme mich fast ein wenig dafür, da der kulturelle Wert etwa zwischen Dosenbier und Matrix: Revolutions liegen dürfte. Weite Teile des Spiels sind bedeutungslos, etwa der Fuhrpark: Warum soll ich Fahrzeuge freispielen, wenn es doch zu Fuß viel schneller durch die Stadt geht? Warum sollte ich Mitstreiter benutzen? Ich bin alleine stark genug.

murrica

Doch es fühlt sich so gut an – Saints Row 4: The Desolation of Zinyak ist eine gewaltige Skinnerbox, die den Spieler für jeden Furz belohnt. Ich bade fast schon in neuen Autos, Kräften und Minispielen. Das Tolle daran: Das Spiel weiß das. Alien-Imperator Zinyak pflanzt die Saints in eine Computersimulation der Stadt Steelport. Die “Helden” erkunden nun eine virtuelle Welt, ebenso wie ich mit dem Controller in der Hand in die Simulation eintauche. Wer sagt aber jetzt, dass niemand mich kontrolliert… warte, nein, das ist doch viel zu intelligent für einen dummen GTA-Klon. Oder?

door lick pr0n

Egal: Live Free or Saints Row setzt den Spieler mit seinem Spielcharakter auf eine Stufe. Wir sind plötzlich beide in einer Situation, in der wir Avatare durch eine virtuelle Welt steuern; damit spielen wir beide das gleiche Spiel. Die Saints retten damit die Menschheit, ich meine Mini-Wampe. So hat jeder was gewonnen.

Kichern Aus der Besenkammer

Auf der anderen Seite des Internets weckten The Stanley Parable und Gone Home schon wieder die Sumpfwasser-Bewohner und Hinterwäldler unter den Spielern. Nicht, weil Stanley z.B. ein Kommentar über die Möglichkeiten der Freiheit in Spielen ist; sondern weil wir seit Dear Esther nichts dazugelernt haben und immer noch diese blöde Frage stellen, was wir denn überhaupt ein Spiel nennen dürfen. Außerdem: Frauenfeindlichkeit hat immer noch kein Ende gefunden, wie unter anderem die Designerin von Depression Quest jüngst feststellen “durfte”. Glaubt man dem dummen Teil des Internets, dann spielen/entwickeln Frauen Spiele nur, um an unseren saftigen Geek-Speck heranzukommen (ein sehr schöner Artikel dazu ist hier zu finden). Stay classy, Internet.

Aber zurück zu The Stanley Parable. Die ist meine persönliche Enttäuschung in diesem Jahr, denn gespielte Kommentare über die Mechaniken und Grenzen von Spielen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Der ganze Reiz Stanleys beruht auf der Annahme, dass die Linearität von Geschichten in Spielen ein bisher völlig unbekanntes Phänomen sei. Abseits davon taugt das Spiel vielleicht als (immer noch sehr lustige!) Parodie auf gängige Techniken, mit denen Spiele Geschichten erzählen. Es kratzt dabei sogar an der Grenze zur Satire, hat aber nicht die Art verändert, mit der ich auf Spiele blicke.

You monster

Zwei Brüder gegen den Rest der Welt

Das tat ein anderes Spiel – indem es einfach eine verdammt effektive Geschichte erzählte. Brothers: A Tale of Two Sons folgt zwei Brüdern, die ihren todkranken Vater retten wollen. Sie ziehen dazu durch klassische Fantasy-Landschaften wie etwa Gebirge, Eismeere, Wälder und Minen. Dabei sind sie auf ihre gegenseitige Hilfe angewiesen: Sie klettern, bringen ein Trollpaar zusammen, befreien einen Greif und retten eine junge Frau vor ihrem Schicksal als Menschenopfer. Nach einem Flug an einem Gleiter kraxeln die Brüder mit einem Kletterseil eine Riesenburg hinauf und treffen am Ende ihrer Reise auch auf das, vor dem sie ihren Vater retten wollen: Den Tod.

Spaß auf dem Greifen

Das mag jetzt wenig spannend klingen – und das ist es auch, wenn man es nur liest oder in einem Let’s Play sieht. Brothers: A Tale of two Sons ist eines der wenigen Spiele 2013, das man tatsächlich selber erleben muss. Die Hand muss am Controller sein, wenn die Katastrophe trifft; und vor allem muss die Hand am Controller sein, wenn der jüngere Bruder endlich die Stärke findet, das zu tun, was er ohne die Hilfe seines älteren Bruders nicht konnte.

Fatasy-Bullshit

Anders funktioniert die Geschichte nicht, und das ist großartig – weil es dieses Jahr zu viele Spiele gab, die nur großes Kino und weniger großes Spiel sein wollten. Außerdem nutzt Brothers: A Tale of Two Sons sein Fantasy-Setting nicht als Macht- und Eskapismus-Phantasie für Möchtegern-Ritter, sondern lediglich als Rahmen für eine Geschichte um Trauer und das Erwachsenwerden. Das funktioniert ohne aufwendige Filmsequenzen, ohne aufgeblasene Schauspieler hinterm Mikrofon und ohne zusammengeklauten Rollenspiel-Ballast (siehe zu und lerne, Lara).

David Lynch was here

Brothers ist ein Meisterwerk, obwohl manchmal Musik und Steuerung nerven. Beides ist aber essentiell fürs Spiel. Ihr solltet es kaufen und spielen – auf der anderen Seite wollte ich jedoch noch vor ein paar Absätzen Saints Row 4 auf meinen Thron setzen. Ihr solltet da also nicht zu viel hinein lesen.

Eine Liste für die Ungeduldigen

Meine Tipps:

  • Brothers: A Tale of Two Sons: Erzählung durch Gameplay – fast perfekt.
  • Saints Row 4: The Voyage Home: Hat mir mehr über mich selbst verraten, als ich erwartete.
  • Lego Marvel Superheroes: Kein Witz, wahrscheinlich der beste Lego-Titel bisher.
  • Marlow Briggs and the Mask of Death: Für Trash-Fans.
  • Far Cry 3: Blood Dragon: Auch für Trash-Fans, und Fans der 80er.
  • Bioshock Infinite: Ermahgerd that story!

GOATY

Meine Flops:

  • Puzzle Quest Marvel: Dark Reign of Blorgh: Drakonisches Free-to-Play-Modell.
  • Injustice – Gods Among Us: Ooooohhh, wie düster und erwachsen!!!111

Bester Soundtrack:

  • Noisia und Combichrist für DmC: Devil May Cry. Freu mich schon auf’s M’era Luna.

Nicht angespielt, aber auf der Wunschliste:

  • Remember Me: Habe ich vergessen.
  • Civilization V – Brave New World: Hab lieber mal endlich das Buch gelesen.
  • Divinity: Dragon Commander: Ein Drache mit Jetpack. Muss ich mehr schreiben?

Geheimtipp:

  • Brütal Legend: Es gab 2013 eine Neuveröffentlichung für PC, Linux und Mac. Ich liebe dieses Spiel.

Schönes neues Jahr.

 

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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