Nicht bereit für die Zukunft

Nicht bereit für die Zukunft

von am 09.12.2013 - 19:28
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Weihnachten war dieses Jahr im November – für Spielefans. Playstation 4 und Xbox One wiederholen ihren Kampf aus den 2000ern, nun im Social Network-Cloud-Smartphone-Zeitalter. Und die ersten Verkaufszahlen zeigen ein gutes Bild: In den USA setzte jedes Gerät eine Million Geräte innerhalb der ersten 24 Stunden ab. Die Zukunft ist hier – doch mit ihr auch der Zweifel, ob die beiden Entertainment-Kisten auch bereit dafür sind.

 

Meine Eltern zeigten mir Filme. Nicht, weil sie mich vor dem Fernseher parken wollten, während sie männlich-weibliche Bedürfnisse pflegten; nicht, weil sie keine Ahnung hatten; nicht, weil der Fernseher der Mittelpunkt unseres Lebens war. Der Grund war folgender: Sie liebten Filme. Sie waren ihnen wichtig, und sie wollten sie mit mir teilen. Sie besuchten mit mir die Dinosaurier im Jurassic Park. Sie nahmen mich mit zu Indiana Jones‘ letztem Kreuzzug. Sie brachten mich, als ich alt genug dazu war, an Bord der Nostromo und hofften, dass ich überlebe.

Das Abenteuer war nur eine VHS-Kassette, eine DVD oder einen kurzen Gang zur Videothek entfernt. Dafür bin ich ihnen dankbar – denn manche Filme hätte ich ohne „elterlichen Rat“ nie gesehen. Mittlerweile bin ich jedoch in einem Alter, in dem ich selber daran denke, irgendwann meine Höllensaat in die Welt zu setzen – aber die Dinge, die mir wichtig sind, werde ich nicht so einfach teilen können.

Probleme der ersten Welt

Videospiele haben ein Problem: Wir koppeln unsere Kunstwerke an Technologie. Halo läuft nur auf den Microsoft-Konsolen, Journey nur auf der Playstation 3, Mario hüpft an der Leine von Nintendo. Das ist in etwa so, als ob wir Spezialbrillen bräuchten, um die Mona Lisa sehen zu können.

Der Grund dafür liegt im Wirtschaftsvokabular versteckt, irgendwo zwischen Produktionskosten, Lizenzen, Fokusgruppen, Marktstrategien und Gewinnorientierung. Es ist auch nur richtig, dass die Künstler, Manager und Vertreiber mit ihren Videospielen Geld verdienen – nur die strengsten Open Source-Kultisten dürften das bestreiten. Aber in all dem Finanzwahn, in dem die Videospielszene steckt (Analysten sind in der Szene teilweise bekannter als die tatsächlichen Entwickler!), vergessen wir oft die Zukunft.

You know that movie

Früher oder später, wenn ein Spiel nicht mehr profitabel ist, dann gibt es nur noch wenige Gründe für den Rechteinhaber, es hinter geschlossenen Türen zu halten. In einer perfekten Welt würde er nun sein Archiv für Museen oder Bibliotheken öffnen. ID Software macht das, zum Teil: Sie veröffentlichen den Quellcode ihrer Doom– oder Quake-Titel nach etwa zehn Jahren. Abseits davon wählen Sony, Microsoft und Nintendo vereinzelte Klassiker aus und bringen sie auf die neuen Geräte, sei es als Original oder mit schönerer Optik.

Genug ist das jedoch nicht, denn ein Feind hängt über dem Medium: Das Vergessen.

Das gute schlechte Beispiel

Metropolis – ein Stummfilm, der als einziger Film ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen wurde. Als Science Fiction-Streifen aus dem Berlin der 20er Jahre, der Hochphase des Expressionismus, beeinflusste er ganze Generationen von Filmemachern. Großmeister wie etwa Ridley Scott fanden ihre Inspiration zwischen den himmelshohen Türmen der schwarz-weißen Zukunftsvision; Musikproduzent Giorgio Moroder schnitt den Stummfilm mit neuem Soundtrack zum Rock-Musikvideo. Der Film fasziniert auch heute noch, doch beinahe wäre er für immer verloren gegangen: Er floppte bei Kritikern und Publikum, und er riss ein riesiges Loch in die Finanzen der UFA.

Fuck games, I'm going to watch movies

Er existiert in seiner ursprünglichen Form schon lange nicht mehr, so oft schnitten ihn verschiedene Studios immer wieder um. Wenn da nicht einige engagierte Menschen wären, die Metropolis über Jahre restaurieren und auch heute noch neues Material aufstöbern, dann hätten wir ein Problem. Zum Glück aber gibt es die Friedrich Murnau-Stiftung: Sie säubert altes Filmmaterial und fügt Wiedergefundenes dem heutigen Schnitt hinzu. So können wir heute noch sehen, wie Spezialeffekte in den 20ern funktionierten, oder dass Filmemacher mit ihnen schon in den Anfangstagen der Filmgeschichte von einer dünnen Geschichte ablenken wollten.

Metropolis ist ein Kulturdokument – ein Zeuge dessen, was Menschen leisten können.

Wenn aber in fünfzig Jahren jemand entscheidet, dass Mass Effect, Journey oder Mein erstes Katzenbaby ein revolutionäres Spiel war, dann wird er es wohl schwer beweisen können: Nicht, weil Teile des Spieles fehlen, sondern weil es auf keinem Gerät mehr läuft. Schon jetzt haben XBox One und Playstation 4 keine Möglichkeit, Spiele ihrer Vorgänger abzuspielen – wie es in fünfzig Jahren aussieht, weiß niemand. Noch schlimmer: Wenn schon die Kulturexperten am technischen Zugang zum Spiel scheitern, hat es der Rest der Bevölkerung noch schwerer.

Kultur und du

Wer in der Zukunft an der Geschichte des Mediums interessiert ist, kann nach heutigem Stand allenfalls auf antike Let’s Plays hoffen. Metropolis hingegen kann ich fast überall auf DVD kaufen; wenn das nicht geht, habe ich vielleicht einen Filmclub an der Universität, oder einen verrückten Cineasten im Freundeskreis, oder eine Bibliothek, oder die gute alte Videothek.

Videospiele sind aber von sehr spezieller Technologie abhängig. Das schadet der Kunstform, denn wenn die Geräte sterben, dann stirbt auch die Erinnerung an das Werk, seinen Ursprung und sein Erbe. Ganz besonders hart trifft das Nischentitel, also jene, die die Popkultur nicht in den Kanon übernommen hat. Denn für große Namen wie Smash Bros., Call of Duty oder WarCraft gibt es immer die Chance auf eine neue Auflage – während die Zukunft für Freelancer, Terranigma, No one lives Forever oder Seaman düster aussieht.

seaman fucking

Das bedeutet, dass Studenten und Medienwissenschaftler keine Möglichkeiten mehr haben, die Stärken und vor allem die Fehler der Vergangenheit zu untersuchen. Niemand wird im Jahre 2287 die kulturelle Bedeutung von Spielen im frühen 21. Jahrhundert erfassen können, weil er keinen Zugang zu den Spielen des 21. Jahrhunderts hat.

Wem das zu weit gegriffen ist, der kann an sein eigenes Leben denken: Erinnert euch an die Spiele, die euch berührt haben. Ihr seid durch sie gewachsen, habt von ihnen gelernt, oder zumindest schöne Erinnerungen an sie. Nun fragt euch: Werdet ihr sie in zwanzig Jahren wie das berühmte „gute Buch“ aus dem Regal nehmen können, um sie noch mal erleben zu können? Oder müsst ihr dazu erst auf ebay nach einer gebrauchten Xbox 360 suchen, die noch funktioniert?

Das ist keine ferne Zukunftsvision – versucht einmal, die PC-Version von Star Wars: Rogue Squadron unter Windows 8 zu installieren. Das Spiel ist keine 20 Jahre alt.

Hey kids, it's worthless now!

Der nächste Meilenstein

Es gibt verschiedene Wege. Nintendo hat zum Beispiel seine letzten beiden Konsolen kompatibel mit den Spielen des Vorgängers gemacht. Über die Virtual Console bietet Nintendo außerdem ausgewählte Spiele aus der Vergangenheit an. Das ist aber nicht ideal: Anstatt die gesamte Spielebibliothek freizugeben, bietet Nintendo nur einen Teil der Klassiker an (ich warte immer noch auf Terranigma. Make it happen, Ninty). Damit liegt aber der Zugang zu diesen Spielen immer noch in der Hand des Verlegers – wie auch das Retro-Angebot auf Steam, Good old Games und den Sony- und Microsoft-Konsolen.

Wenn Spiele von anderen bewahrt werden sollen, dann braucht es engagierte Enthusiasten. So zum Beispiel im Oldenburger Computer-Museum: Hier pflegt eine Gruppe von Privatleuten Heimcomputer und -konsolen der 70er und 80er, etwa den C64 oder Exoten wie den Vectrex-Bildschirm. Besucher dürfen auf diesen Originalgeräten spielen, was zwischen schwarz-weißen Kommandozeilen und 5,25“-Disketten wie eine kleine Zeitreise ist.

Dark Souls my ass.

Doch das reicht nicht. Videospiele sind eine kulturelle Macht, gemessen an Verkaufszahlen und Internet-Memes. Was ihnen aber fehlt, sind Ort und Technologie, um sie für jeden Menschen zugänglich speichern zu können. Darum wird der nächste große Meilenstein weder der Fotorealismus noch die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift sein, sondern eine einheitliche Geräte-Architektur, wie wir sie bei DVD-Playern oder Fernsehern vorfinden. Dann kann jeder die großen Klassiker spielen, egal, welches Gerät er besitzt und an welchem Ort der Erde er sich befindet. Man wird träumen dürfen.

Das geht mich alles nichts mehr an

Spiele hinterlassen einen großen Fußabdruck – aber sie gehen auch nur auf weichem Sand. Wenn die Videospielindustrie ein Pharao wäre, dann würde sie die Pyramiden aus Zucker und nicht aus Sandstein bauen. Tausend Jahre hält das nicht. Aber müssen Sie das überhaupt?

Alles hängt von der Frage ab, was Spiele für uns sind: Ein kurzweiliger Zeitvertreib oder Kunstwerke, die wir immer wieder spielen, damit sie uns erneut berühren und zu besseren Menschen machen. Beides ist legitim. Doch nur eine Antwort erfüllt den langen Wunsch der Videospieler, „endlich ernst genommen zu werden.“

Soooooo realistic!

Die neuen Wohnzimmer-Monolithen hingegen streicheln unseren kurzsichtigen Egoismus: Für the next big thing schmeißen wir alles von Bord, was nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspricht. Journalisten reden nur noch über die Next Gen. Spieler reden nur noch über Next Gen. Die Werbung redet nur noch von der Next Gen – die Zukunft ist da! Jeder Next-Gen-Jünger zieht gerade seinen neuen Fetisch aus der Packung, montiert ihn unter dem Fernseher und vernichtet massig Barbaren oder Space-Nazis. Das mag für die nächsten zehn Jahre reichen, so die Prognose für die Laufzeit der aktuellen Konsolen. „All in One“ und „This is for the players“ wirken umso hämischer, wenn ich überlege, was ich mit den neuen Konsolen und Betriebsystemen nicht kann:

Ich werde meinen Kindern nie zeigen können, wie ein japanisches Rollenspiel über Frederic Chopin funktioniert, wenn die letzte XBox 360 im Jahr 2030 ihre Hauptplatine durchbrennt.

Ich werde meinen Kindern niemals zeigen können, wie Tyria einen Entdecker aus mir machte, wenn Arenanet die Server für Guild Wars V: Guild Harder startet.

Ich werde meinen Kindern nie zeigen können, wie die „Engländer festnehmen Große Mauer“, wenn neue Quanten-Prozessoren den alten Code nicht verstehen.

Ich werde meinen Kindern nie zeigen können, wo meine Kindheit lag, wenn wir nichts gegen das Vergessen unternehmen.

Ich glaube daran, dass wir unseren Nachkommen die Meisterwerke unserer Zeit vererben müssen, damit sie von uns lernen und die Welt zu einem besseren Ort für uns Menschen machen. Die Generation meiner Eltern hatte damit keine Schwierigkeiten: Sie konnten uns ihre Literatur, ihre Filme und ihre Musik problemlos weitergeben. Ich lernte daraus – darum wurde aus mir auch kein Arzt, sondern ein Hipster, der Artikel über Videospiele auf einem Blog im Internet schreibt.

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

Kommentare

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Hombre 6. Januar 2014 um 23:58 06.01.2014 - 23:58

Nett geschrieben und bin absolut derselben Meinung. Das Rad der (technischen) Evolution dreht sich immer schneller – zu schnell! Habe damals bewusst auf den Kauf der PS3 verzichtet, da eben mit der Abwärtskompatibilität Mist gebaut wurde. Die letzte wirklich geniale Konsole von Sony war in meinen Augen die PS2! Aber immerhin werden wenigstens einige gute Spiele (derzeit zumindest von Sony und Nintendo) virtualisiert. Dass immer noch geniale Spiele wie eben z.B. Terranigma fehlen (und möglicher Weise auch nie als virtuale Titel zu haben sein werden) stimmt natürlich. Fehlt nur noch, dass selbst die Virtualisierungen irgendwann nicht mehr weiter unterstützt werden – ist nämlich gar nicht so abwegig und meiner Meinung nach dennoch irgendwie eine Farce!

Wie auch immer. Ich – als Kind der 80er – zocke derzeit mit meinem 5-jährigen ‚Nachfolger‘ „Secret of Mana“ auf der Virtual Console 😉 !

Grüße und danke für den interessanten Artikel –

Hombre

Christoph Volbers 8. Januar 2014 um 09:40 08.01.2014 - 09:40

Danke – freut mich, dass er dir gefallen hat! Tatsächlich war das auch einer der Gründe, warum ich mich selber nie zu einer PS3 durchringen konnte. Ich habe (als PC-Spieler) einfach eine Menge an PS2-Spielen verpasst – wäre die PS3 noch abwärtskompatibel, hätte ich sie wahrscheinlich auch bei mir stehen. So aber leider nicht. Und das ist schade!