Ragequit – Die Qual der fehlenden Wahl
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Entscheidungen. Dieses schöne Wort ist ein häufig Gebrauchtes und kommt oft in der Welt der Videospiele vor. Ständig muss man sich entscheiden. Helfe ich den Elfen, oder den Orks, trägt mein Held langes Haar, oder einen Pottschnitt. Das alles will sorgsam entschieden werden, denn mit den Konsequenzen muss man schließlich leben. Oder etwa nicht?

Videospieler machen denselben Fehler, den alle Bevölkerungsgruppen tun, wenn sie mit Schlagwörtern konfrontiert sind. Sie assoziieren Begrifflichkeiten und Umstände dazu und nehmen sie als gegeben an. So ist das woran der Spieler beim Wort „Entscheidung“ wohl denkt, eine Art Weggabelung. Wofür entscheide ich mich. Gehe ich nach links, oder nach rechts? In der echten Welt ist es einfach. Gehe ich nach links, komme ich vielleicht zum Kino, gehe ich nach rechts, komme ich zum Schwimmbad. Ganz anders aber in der virtuellen Welt, in der Konsequenzen nicht automatisch an Entscheidungen gekoppelt sein müssen.

Links, Rechts, geradeaus

Wir hüpfen, fahren, rennen, kriechen oder klappern fröhlich durch die Spielwelt, während wir Kettensägen schwingend, bunt gescheckte Mutantenhäschen filetieren. Doch plötzlich, oh Schreck, teilt sich der Weg vor uns auf und wir werden vor die Wahl gestellt. Links, oder Rechts? Zurück geht nicht, daran erinnert uns das Spiel durch seine Limitierung freundlicherweise noch einmal, also treffen wir unsere Wahl wie echte Spieler. Münzwurf. Aha, Kopf, also nach Rechts.

Kaum hat unser Charakter sich zwei Schritte in besagte Richtung bewegt, trägt uns ein riesiger Adler auch schon davon und transportiert uns in ein neues Gebiet, den Darkshiremoonforest. So schnetzeln wir uns weiter und als wir das Spiel durch haben, fangen wir gleich nochmal von vorne an, es gibt ja noch soviel zu sehen. Also wieder jede Menge Häschen mit der Kettensäge gestutzt und da ist ja auch schon die Weggabelung. Diesmal also nach Links. Und da kommt ja auch ein Adler um uns zu transportieren. Staunend schauen wir uns um. Das ist also das andere Gebiet, welches wir beim letzten Mal nicht gesehen haben. Cool. Wobei, Moment mal. Ist das nicht der Darkshiremoonforest? Hier sind wir doch schon gewesen, als wir nach Rechts abgebogen sind.

Dieses Szenario ist in den letzten zehn Jahren zum Alltag geworden. Und das Ganze hat auch einen Überbegriff „Die Illusion der Entscheidung“ (Ilusion of choice). Man bekommt mehrere Auswahlmöglichkeiten, die jedoch alle mehr oder weniger zum selben Ergebnis führen. Der Grund hinter dieser Entscheidung ist so banal wie immer: Geld.

Einbahnstraße Auswahlmöglichkeit.

Entwickler und vor allem Publisher, reißen gerne den Mund auf, wenn es darum geht wie toll ihr nächste Projekt wird. Jedes Spiel wird immer gleich das Genre, wenn nicht gleich Videospiele an sich revolutionieren. Die Spieler werden Freiheiten erleben, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat. Die Entscheidungen der Spieler werden das ganze Spiel prägen und den Spielablauf, sowie das Ende beeinflussen… Und dann wird das Budget festgelegt und schon nach zehn Minuten ist klar: Vom Gesagten bleibt nicht viel übrig.

Spieleentwicklung im Bereich der AAA-Titel ist unglaublich teuer geworden. Und einem Spiel mehrere voneinander komplett unterschiedliche Handlungsabläufe zu spendieren ist noch teurer. Es gibt nicht viele Unternehmen die sich das leisten können. Und die, die es können, werden es nie im Leben tun. Sie wären auch schön blöd, denn es gibt doch andere Mittel.

Anstatt zwei autarke Handlungsstränge zu programmieren, wird nur einer erstellt. Monumentale Entscheidungen für den Spieler werden zwar eingeführt, der Handlungsstrang an sich wird davon aber nicht, bis kaum berührt. Die Entscheidungen bewirken dann ob einem Rasse Eins oder Rasse Zwei fast vollständig wertgleiche Belohnungen anbietet, oder welche der beiden Rassen einen in der letzten Schlacht mit ihren austauschbaren Fähigkeiten unterstützt.

Shepard

Das ist kurz gesagt, ganz schön lahm. Aber hey, immerhin passiert da noch was. Aber selbst diese kleinen Abzweiger von der steifen Handlungsroutine sind nicht immer drin. Und das ist es, was mich wirklich aufregt.

Weiter aufs Ziel zu

Ich spielte vor kurzem The Whispered World, da ich schon immer ein Auge darauf geworfen, aber bisher nie die Zeit dafür hatte. Das Spiel beinhaltet an sich keine Entscheidungen und ist ein sehr lineares und recht kurzes Adventure Erlebnis mit dem depressiven Clown Sadwick. Dennoch gab es am Ende eine große Entscheidung und ich freute mich wahnsinnig, denn von der Story her war das genau passend. Ich entschied mich also für eine Variante die der Off-Sprecher mir vor einer Sekunde angeboten hatte und… nichts. Der Off-Sprecher informierte mich lediglich, dass Sadwick zögert und es dann einfach nicht macht. Vielen Dank auch. Die zuvor also angebotene Wahl, bestand überhaupt nicht. Straße gesperrt, bitte Umleitung benutzen. Das ist Enttäuschung, groß geschrieben. Und vor allem so unglaublich dumm. Hätte man diese Wahl einfach raus gelassen, dann hätte man auch keine Erwartungen geschürt, die nur Sekunden später Enttäuscht werden.

Entscheidungen sind meistens nicht mehr als die Beschriftung auf den Knöpfen. Und die Palette dieser Bluffs ist ziemlich umfangreich. Gerade Bioware tut sich da sehr hervor. Man hat die Wahl zwischen drei Möglichkeiten. Hilf Partei eins, hilf Partei zwei, oder versöhne beide Parteien miteinander. Eine dieser drei Möglichkeiten hat dabei eine Belohnung die objektiv betrachtet die Beste ist. Das meiste Gold, ein unschlagbares Artefakt, so etwas in der Art. Die anderen Möglichkeiten kann man der Form halber nehmen, oder weil es ein Achievement gibt (die einfachste Methode Spielern schlechtes Design zu verkaufen).

Hört doch einfach auf damit

Ich wünsche mir doch kein Triple A Game, dass mir zwei oder sogar noch mehr Handlungsstränge mit jeweils dreißig Stunden Spielzeit bietet. Ich wünsche mir nur, dass wo Entscheidungen angeboten werden, auch Entscheidungen drin stecken. Wenn ich mich für den Genozid einer kompletten Rasse entscheide, dann will ich die Konsequenzen spüren. Ich will einen Grund, mich beim nächsten Mal an dieser Stelle für die andere Seite zu entscheiden. Ich will etwas verändern, oder zumindest nicht enttäuscht sein, wenn ich das Spiel ein zweites Mal anmache. Wenn Ihr nichts zu bieten habt, dann tut auch nicht so, als würdet Ihr hinter Eurem Rücken die eierlegende Wollmilchsau verstecken.

Die meisten Mass Effect Fans konnten vermutlich, nachdem sie das ursprüngliche Ende von Teil 3 gesehen haben, über die damaligen Beschwerden der Fable Fans nur müde lächeln. Stand doch das Ausmaß der gebrochenen Versprechen, seitens der Entwickler in keinem Verhältnis zueinander.

Auch das von Kritikern und eigentlich jedem so hochgelobte The Walking Dead von Telltale Games ist da keine Ausnahme. Es war definitiv ein Spiel, das mich unheimlich beeindruckt hat. Auf einer emotionalen Ebene. Und beim ersten Durchgang.

Don't Dead Open Inside

Beim zweiten Mal war ich mehr als nur ein bisschen enttäuscht. Fast alle Entscheidungen sind kosmetischer Natur. Um das zu beschreiben halte ich es mit einem Zitat:

Piratenkapitän:
„Wenn Sie sich nun fragen, wo der große Schatz ist, dann schauen Sie ganz tief in sich und Sie werden feststellen, dass es die Freundschaften und die Erfahrungen sind, die sie auf der langen Suche gesammelt haben.“

Mannschaft:
„Boah! Voll schön! Besser als Gold!“

– Joscha Sauer, Nichtlustig

Aber ohne Frage. Die Art wie man heutzutage vor die Nichtwahl gestellt wird ist überaus elegant. Vielen Dank zumindest dafür.

Über Martin Seiler

Krautgaming Redakteur aus Leidenschaft. Dieses Motto umreißt Martins Leben ziemlich präzise. Langjährige Erfahrung mit dem Medium Videospiele haben ihn zwar verbittert, doch auch seinen Blick für die vielen Feinheiten geschärft. So kämpft er weiter für die Spieler der Zukunft und eine hochqualitative Berichterstattung.

Kommentare

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Carsten Wawer 27. November 2013 um 11:49 27.11.2013 - 11:49

Hi,

schade, dass dieser tolle Artikel noch nicht mehr Reaktionen hervorgerufen hat, denn ich konnte ihm gestern beim Lesen umfänglich zustimmen!