26 Games: Wem gehört Alpha Centauri?

26 Games: Wem gehört Alpha Centauri?

von am 20.10.2013 - 09:28
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Vergesst die großen Mysterien der Szene. Es ist unwichtig, wann Half-Life 3 erscheint. Es ist unwichtig, ob Videospiele Geschlechterrollen reproduzieren und es ist unwichtig, welche heidnischen Rituale den Sexappeal von Cliff Bleszinski ermöglichen. Die wichtigste Frage für jeden Videospiel-Fan ist folgende: Was wird eigentlich aus dem Raumschiff, das ich am Ende einer Partie Civilization in den Weltraum schieße?

Die Antwort ist schnell erzählt: Die Besatzung zerfällt in verschiedene Fraktionen, landet auf Alpha Centauri und errichtet eine neue Zivilisation. Doch wie schon auf der Erde herrscht hier die menschliche Natur: Streit, Neid, Hass und Gier zersetzen die Utopie, die der Wissenschaftssieg in Civilization vorgaukelte. Unter den sieben Anführern kommt es zu Kämpfen. Der eine sucht nach Wissen, die andere handelt im Auftrag des Herren, einer will sein Kapital vermehren, der andere die Menschheit in ein Kollektiv verwandeln. Außerdem mischt der Planet selber im Geplänkel mit, denn Schwärme von hirnfressenden Würmern plagen die Menschen – fast so, als ob ein globales Immunsystem einen Virus abwehrte.

Civilization im Weltraum

So die Geschichte von Sid Meier’s Alpha Centauri, dem Sci-Fi-Ableger von Sid Meier’s Civilization-Serie (von Sid Meier, falls jemand das überlesen haben sollte). Zynische Zeitgenossen können das Spiel leicht als einen simplen Re-Skin ansehen – also als Civilization mit einem neuen (hässlichen) Anstrich. Doch hinter diesem Eindruck liegt mehr als nur das versteckt.

Zunächst bringt Alpha Centauri alles mit, was auch Civilization schon großartig machte. Das Aufbauen einer eigenen Zivilisation im Takt vieler Hundert Runden entfacht auch in der fernen Zukunft und auf einem fernen Planeten eine ganz eigene Faszination: Städte (hier Kolonien genannt) wachsen, forschen und produzieren, die Grenzen des Reiches nehmen immer mehr Land und Wasser für sich ein. Die Stunden verfliegen, weil der Spieler immer wieder das nächste Bauwerk, das nächste Weltwunder, die nächste Technologie abwartet.

Alpha Centauri Screen 1

Doch Alpha Centauri bietet noch weitaus mehr: Etwa die beiden Baukästen. Wenn der Spieler die entsprechenden Technologien erforscht, kann er seine eigenen Einheiten entwerfen. Das führt im Spielverlauf erfahrungsgemäß zwar zu einer Unzahl an nutzlosen Soldaten, Fahrzeugen und Schiffen, ist aber ein willkommener Gruß an die Experimentierfreudigkeit und den Selbstausdruck des Spielers.

Besser ist der Regierungsbaukasten, der in veränderter Form später auch in Civilization IV auftrat und allerlei witzige Kombinationen ermöglicht: Wer zum Beispiel die Wissenschafts-Fraktion unter den Stiefel einer Militär-Diktatur mit Gedankenkontrolle bringen möchte, kann das in Alpha Centauri tun.

Die Hintergrundgeschichte ist jedoch der Punkt, an dem das Spiel den Rahmen der Civilization-Serie verlässt. Das Mutterspiel definierte seine Narration durch den historischen Kontext – das bedeutet, auch wenn die Daten und Details im Spielablauf nicht ganz stimmen mögen, dass der Spieler die bekannten Zeitalter und Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte durchläuft. Civilization ist von daher fast schon eine Best-Of-Tour der Menschheit: Ein Greatest Hits-Album, oder im weiteren Sinne auch ein Prequel zur Gegenwart.

Diesen Luxus besitzt Alpha Centauri nicht. Stattdessen muss der Science Fiction-Ableger den Blick nach vorne werfen und zeigen, was uns denn in der Zukunft erwarten könnte. Dabei schlummert eine grüne Botschaft unter den rot/violetten Landschaften des Planeten.

Alpha Centauri Screen 2

Die ökologische Kritik

In der neuen Heimat trifft eine völlig fremde Welt auf die Technologie der Menschen, oder besser: Die unberührte Natur trifft auf den Menschen, der sie unterwerfen will. Terraforming ist eine der frühesten Möglichkeiten, um die neue Heimat im eigenen Sinne zu gestalten; so roden die Menschen die natürliche Vegetation, um Platz für ihre eigenen Wälder, Farmen und Minen zu schaffen.

Schlimmer noch: Sie bombardieren sich gegenseitig und schlagen Narben in die Oberfläche der neuen Welt. Flora und Fauna wehren sich, doch auch hier steckt mehr dahinter: Denn wie die Menschen bald herausfinden, wächst das einheimische Leben alle 100 Millionen Jahre zu einer Art globalen Gehirn heran und verwandelt den Planeten in ein riesiges Lebewesen, das anschließend unter seiner eigenen Größe kollabiert und zu einem Massensterben führt. Auch die Menschen wären davon betroffen, darüber hinaus beschleunigen sie mit ihrem Raubbau diesen Prozess.

Alpha Centauri kämpft mit seinen Hirnfraß-Würmern zu Land, zu Wasser und in der Luft gegen die Invasoren und stellt ihnen damit ein Ultimatum. Lebe mit uns, oder kämpfe gegen uns. Dem Spieler steht es frei, ob er dem Ruf des Planeten folgt; einer der möglichen Siege ist der Aufstieg zur Transzendenz, bei der die Menschheit ihre körperliche Hülle verlässt und mit der Seele des Planeten verschmilzt. Der Zyklus wird dadurch unterbrochen, und die Menschheit steigt zu einer höheren Ebene der Existenz auf.

Alpha Centauri Screen 3

Mehr als die Summe seiner Dateien

All das mag wie esoterisches Wunschdenken klingen, oder nach Ökostrom, Artenschutz und Veggie-Day – nicht jedermanns Geschmack. Doch wenn wir darüber nachdenken, ob digitale Spiele die Reife besitzen, um über wichtige Themen zu sprechen, dann finden wir mit Alpha Centauri einen Beweis, der zudem auch noch aus einem Genre stammt, mit dem Entwickler seltener ihre Geschichten erzählen. Die Botschaft spielt übrigens auch auf rein mechanischer Ebene: Wer den Planeten nicht gut behandelt, bekommt öfter Besuch von den Hirnwürmern und verschwendet Unmengen an Ressourcen, um sie zu bekämpfen.

Ökologische Fragen sind jedoch nicht die Einzigen, die Alpha Centauri aufwirft. Fast jede neu erforschte Technologie im Spiel basiert auf gut recherchierten Annahmen, Fakten oder Hypothesen, Stand 1998. Um sie zu illustrieren, verbindet das Spiel reale Zitate mit denen der sieben fiktiven Fraktionsführer auf Alpha Centauri. Bibelzitate treffen erst auf Texte von Plato, dann auf die Philosophien der Anführer und sie alle fragen: Was ist der richtige Weg? Ist es Wissen? Oder Geld? Frieden? Umweltschutz? Glaube? Krieg?

Alpha Centauri Screen 4

Alpha Centauri gibt keine einzige Antwort, auch keine sieben Antworten, sondern tausend Antworten, denn jede Partie ist anders. Ein Verfechter des Glaubens kann seine Antwort in der Wissenschaft finden, ein Friedensjünger im Krieg, oder ein Faschist im Umweltschutz. Alles ist möglich, um den Sieg zu erringen – es bleibt uns überlassen, es ist unsere Wahl. Am Ende hat Alpha Centauri wenigstens eine Antwort: Auch wenn wir ein Raumschiff zu den Sternen schicken, ändert das nichts an den Fragen, die wir an uns selbst stellen.

Sid Meier’s Alpha Centauri (übrigens von Sid Meier) findet ihr zusammen mit der Erweiterung Alien Crossfire auf Good Old Games für 5,99 €. Ein persönlicher Hinweis: Eine Scheibe vom Devin Townsend Project einwerfen, dann braucht man auch keine Drogen mehr, um die Grafik zu ertragen.

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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