Von BioShock 2 zu BioShock Infinite ist viel Zeit vergangen. Im Februar 2010 hatten wir das letzte Mal die Gelegenheit uns genetisch aufzumotzen und unsere Gegner mit so manch abstrusen Verbesserungen aus der Unterwasserstadt Rapture ins Jenseits zu befördern. Wirklich würdig war Bioshock 2 seinem Vorgänger damals nicht, war es doch zum größten Teil einfach nur Recycling vom Original. BioShock Infinite lässt dieses Kapitel nun endgültig hinter sich und entführt mit neuem Helden und neuer Geschichte in die Wolkenstadt Columbia.
Eine Wolkenstadt? Ernsthaft? Klingt nach dem sehr vereinfachten Rezept das Setting ins simple Gegenteil der beiden Vorgänger umzudrehen. Doch ist BioShock Infinite viel mehr als der einfache Umkehrschluss seiner beiden Vorgänger – sogar um so vieles mehr, als dass ich mich zum einen am Ende gefragt habe, ob ich Physik hätte eventuell doch als Leistungskurs belegen sollen und zum anderen mehr als sicher war, dass wir schnell eine neue Konsolengeneration brauchen.
Der Traum von einem Utopia ist so alt wie die Menschheit selbst. Schon immer sehnten wir uns danach irgendwo weit ab vom gängigen Bild eine perfekte Gesellschaft aufzubauen – ohne wirtschaftliche oder soziale Probleme und absoluter Zufriedenheit. Nicht von ungefähr kommt daher der Gedanke isolierter Städte, autarker Kommunen oder ganzer Länder. Übertragen auf das Videospieluniversum heißt das nichts anderes, als das man den Gedanken der Utopie schon öfter versucht hat visuell und erzählerisch auferstehen zu lassen – meistens um sie jedoch sofort wieder zu zerstören. Bioshock 2007 und Bioshock 2 2010 waren da recht erfolgreiche Beispiele. Aber auch das Gegenteil erfreut sich höchster Beliebtheit. Dishonored, Deus Ex: Human Revolution und das in die Jahre gekommene Half-Life 2 zeichnen sehr klare Bilder einer dystopischen Gesellschaft, sprich dem absoluten Fehlschlag unserer Gesellschaftsform. Bioshock Infinite versucht beides. Obwohl dem Spieler von Anfang an klar ist, dass hier etwas faul sein muss, wird Columbia als die perfekte und reinste Gesellschaftsform zelebriert. Glaube, Frieden und Einheit sind maßgebende Schlagwörter. Alles scheint ideal zu sein, bevor Glaubenskrieg, die Rassen– und Klassenfrage das Bild komplett ins Gegenteil umdrehen. Von Beginn an wird vom Spieler mehr als reines Zuschauen verlangt. Glaubenstheorie und Wiederauferstehung sind ständige Begleiter. Wer von Bioshock Infinite stupides Patriotengeballer a la Call of Duty erwartet, hat definitiv das falsche Spiel gekauft.
Inszenierung als Spielelement
So simpel das Spiel beginnt, so atmosphärisch dicht wird es nach den ersten 10 Minuten. Man ist förmlich gefangen. Die Umgebung wechselt so schnell, dass wir uns mehrfach die Frage gestellt haben, warum man für einen Raum, in dem man sich maximal 2 Minuten aufhält, so viel künstlerische Kraft hat einfließen lassen. Religiöse Symbolik wiegt schwer in Bioshock Infinite. Bereits nach der Ersten halbe Stunde ist man sich der Tatsache bewusst, dass wir uns in einer Stadt bewegen, die von reinem religiösem Glauben getrieben wird. Fanatismus werden es die einen nennen, Glaubenstreue einer amerikanischen Gesellschaftsform am Anfang des 20. Jahrhundert nennen es die anderen. Columbia ist nämlich nichts anderes: Ein Spiegel für die amerikanische Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts inkl. Rassen– und Klassenkampf.
In der Tat ist Columbia gleichzeitig lebendig als auch künstlerisch anspruchsvoll. Jahrmärkte, kuschelnde Pärchen, spielende Kinder und sich bewegende Häuserblocks vermitteln ein Gefühl des Voyeurismus, da wir uns als Spieler die erste Zeit ohne wirkliches Ziel durch die Stadt bewegen und alles aufsaugen können. Städteplaner und Architekten hätten definitiv ihre Freude, so schwebt hier und da einfach ein ganzer Häuserblock an einem vorbei.
Was Rapture für Bioshock war, funktioniert mit Columbia für Bioshock Infinite mindestens genauso gut – vielleicht sogar noch ein Ticken besser. Das hat zum einen mit der Tatsache zu tun, dass sich die Stadt im späteren Spielverlauf vom glänzenden Protagonisten zum sprichwörtlich rauchenden Unfallwagen wandelt.
Das Wunder von Columbia – Die Kampagne
Ganze Königreiche sind bereits wegen einer Frau gefallen. Kriege wurden geführt – wegen einer einzigen Frau. Und auch die Geschichte in Infinite dreht sich um eine Frau, um Elizabeth. Wer Elizabeth ist, wissen wir nicht und warum wir sie als Booker DeWitt aus den Fängen des Propheten Zachary Hale Comstock befreien sollen erfahren wir erst, als die Geschichte schon kurz vor ihrem Abschluss steht. Was können wir zur Kampagne sagen, ohne etwas vorwegzunehmen? Fast nichts! Die Kampagne von Bioshock Infinite schließt beinahe nahtlos wie ein Kreis. Obwohl im mittleren Teil etwas flach und gestreckt, typische „geh über A zu A1 und dann zu A2 bevor zu B erreichst“ Momente die Geschwindigkeit drosseln, sind die finalen Momente des Spiels ein so großer Paukenschlag, dass man mit den rollenden Credits so gar nichts mit sich anzufangen weiß. Es ist nicht der einfache Kampf an der Seite der Vox Populi gegen die herrschende Oberklasse von Columbia oder die Bodyguard-Mission, die fesselt, es ist das große Ganze, das sich zum Ende hin entfaltet und vor allem durch die zu sammelnden Voxophone besser verständlich wird.
Ign.com sagte so schön, dass man Bioshock Infinite anders als damals Bioshock im Jahr 2007 nicht mit 3 Wörter spoilern kann – wir sagen: Stimmt! Wir brauchen dafür 4 Wörter. Stern.de geht sogar so weit zu behaupten, man solle mit niemandem sprechen, bis man Bioshock Infinite zu Ende gespielt hat. Aber warum? Ist die Offenbarung am Ende wirklich der Meilenstein, wie wir ihn uns schon seit Jahren wünschen. Ist die Geschichte von Bioshock Infinite endlich die Ausnahme im Shooter-Einerlei, die seit Jahren überfällig ist? Wir beantworten diese Frage mit einem klaren JA.
Wenn es sich wirklich um einen so großes Schwergewicht handelt, versteht man überhaupt, was man da präsentiert bekommt? Nur zum Teil! Wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Problem sprechen kann, dann nur, weil für das vollständige Verständnis von Bioshock Infinite so unglaublich viel theoretisches Physikwissen notwendig ist, dass selbst ein Physik–Leistungskurs wahrscheinlich nur ganz knapp ausgereicht hätte.
Infinite ist endlich wieder ein Spiel, das uns selbst nach Tagen noch interessiert und vor allem begeistert. Natürlich ist der Wiederspielwert wie bei allen Ego-Shootern relativ gering, jedoch ist die Geschichte und der dazugehörige Abschluss so unglaublich gut präsentiert, dass man es einfach noch mal sehen will, um es glauben zu können. Wir brauchen endlich wieder unser Hirn zum Spielen.
Eine wilde Rutschpartie – Das Gameplay
Zuerst glänzt Infinite nicht wirklich durch Abwechslung. Waffen und Plasmide sind wie üblich verteilt, nur die Aufteilung kleinerer Details in der Steuerung fällt auf. Im späteren Verlauf des Spiels werdet ihr jedoch auf besondere Weise durch die Protagonistin Elizabeth unterstützt. Zusätzliche Waffen, Deckungsmöglichkeiten und Verbündete lassen sich zusätzlich aufs Feld schicken. Wie genau das passiert, soll zum Wohle der Überraschung nicht verraten werden. Es sind die üblichen Schwierigkeitsstufen vertreten, jedoch bildet der „1999–Modus“ die einzig wahre Herausforderung für den erprobten Shooter–Veteranen: Ihr bezahlt für jedes Ableben mit barer Münze und solltet ihr irgendwann nicht mehr genug Geld für die Wiederauferstehung haben, dann ist das Spiel vorbei – eine interessante Interpretation des Ablasshandels der katholischen Kirche im Mittelalter.
Absolut grandios fanden wir die Fahrten mit dem Skyhook. Ist euch das Laufen einmal zu langweilig oder kommt man durch reinen Fußmarsch nicht weiter, bietet sich die Skyline an. Was in Trailern schon wahnsinnig aussah, spielt sich noch viel besser! Wer wollte als Kind nicht schon immer an Seilrutschen Hänge runter rasen und dabei alles hinter sich lassen. Die Skylines in Infinite sind der einfache Ersatz für Straßen oder ähnliche Fortbewegungsadern – hier rast man zwischen Häuserschluchten entlang oder überfliegt das Schlachtfeld. Ein Riesenspaß!
Ebenso lässt sich das Spielende marginal verändern. Ihr trefft im Spiel immer wieder Entscheidungen, die Auswirkungen auf das Gesamtkonzept haben – so jedenfalls die Theorie. Inwiefern sich das von uns gesehene Ende von den möglichen Enden unterscheidet, müssen wir noch genauer erforschen. Theoretisch möglich soll es aber sein. Auf jeden Fall solltet ihr bis zum Ende des Abspanns warten!
Wer an dieser Stelle einen Multiplayer vermisst, dem sei gesagt, dass Bioshock Infinite zu den Spielen gehört, die keinen Multiplayer brauchen. Inszenierung und Kampagne machen mit einer Spielzeit von circa 15 Stunden einen Mehrspielermodus, simpel gesagt, unnötig. Ihr werdet genug Zeit damit verbringen alle Sammlerstücke zu suchen, um die Geschichte letztendlich vollständig erfassen zu können.
Wir steigen so hoch und fallen so tief:
Die Grafik
Wer zu nah an die Sonne fliegt, verbrennt sich seine Flügel – nie funktionierte dieser Spruch besser als bei Bioshock Infinite. Präsentiert sich das Spiel aus der Ferne als absolute Grafikbombe, darf man zumindest auf der Xbox 360 nicht genauer hingucken. An einigen Ecken sieht der Texturenmatsch schon boshaft lächerlich aus. Der Inhalt von Obstkörben oder Mülleiern sieht aus wie ein schlechter Witz. Wen kümmert schon das Obst und der Müll, könnte man jetzt fragen und es wäre auch absolut egal, jedoch sind Müll und Obst fester Bestandteil des Gameplays und ihr seid oft genug damit beschäftigt eure Gesundheit mit Hilfe von genau diesen Elementen wieder aufzufüllen – umso ärgerlicher fällt einem dieser Obstbrei dann immer und immer wieder ins Auge.
Trotzdem sieht Bioshock Infinite klasse aus. Linseneffekte verschönern die Sonnenstrahlen, die Wolken und Häuser wirken authentisch und auch das Gesicht unserer Begleiterin wirkt lebhaft. Nur warum schafft es Bioshock dann trotzdem nicht wirklich in der obersten Liga mitzuspielen. Bereits zu Beginn des Spiels schaut man vom Leuchtturm in den Himmel und fragt sich, warum die Wolken so furchtbar aussehen. Sieht die PC–Version wahrscheinlich dank hochauflösender Texturen noch super aus, spielen die Konsolenportierungen in einer anderen Liga. Interessant ist der Fakt, dass die PS3-Version fast identisch zur Xbox 360-Version ist. Wo liegt also das Problem? Die Konsolen sind einfach am Ende. Bereits mit geringerer Auflösung und Texturen im Handtuch-Design läuft Infinite nicht immer flüssig – geht es hoch her, geht die Konsole in die Knie und die Framerate fällt merklich. Da wir uns aber nicht in Dimensionen von Duke Nukem: Forever bewegen, ist das alles noch verschmerzbar.
Ansprechen müssen wir den Gewaltgrad. Nun kann man diskutieren, ob der Gewaltgrad der Thematik angemessen ist aber was definitiv nicht diskutierbar ist, ist der Fakt, dass Infinite ein unglaublich brutales Spiel ist. Hinrichtungen, Kopfschüsse und Elementarschäden sind an der Tagesordnung. Da schmelzen Gegner, Raben zerhacken Körper oder Köpfe platzen am laufenden Band. Musste Bioshock und Bioshock 2 für eine Veröffentlichung im deutschen Raum noch zensiert werden, erscheint Infinite vollkommen unzensiert. Ein Spiel nur für Erwachsene!
Fazit
Es ist sehr lange her, dass wir ein Spiel gespielt haben, in dem so unglaublich komplexe Elemente aufeinandertreffen und trotzdem funktionieren. Religion und Wissenschaft, Schicksal und Vorsehung und selbst hoch theoretische Themen wie die Multiversentheorie werden aufgegriffen und perfekt präsentiert. Es wird nicht jedem Spieler leicht fallen die angestoßene Geschichte vollkommen zu begreifen aber diesen Anspruch hat Infinite auch gar nicht. Das Ende der Geschichte ist nur aus einem Grund so unglaublich, weil es bisher einmalig ist. Wäre das Spiel doch nur als Launch-Titel der neuen Konsolengeneration erschienen.
Fazit: Mit Bioshock Infinite haben Irrational Games ihr absolutes Meisterwerk abgeliefert, dass überraschenderweise durch die Erzählung und nicht die Präsentation überzeugt.
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