L.A. Noire – Das Detektivspiel im Test

L.A. Noire – Das Detektivspiel im Test

Regen, gedämpfte Farben und eine dumpfe Erzählerstimme, die uns in die Story einführt. Nein, dies ist nicht irgendein beliebiger Detektiv-Film, der in den ’50ern spielt, dies ist L.A. Noire, der letzte Meilenstein von Rockstar Games, der aus der Schmiede des australischen Entwicklers Team Bondi stammt. Die Entwickler inszenieren hier ein Spiel um eine scheinbar bahnbrechende Funktion herum, denn der Spieler muss nun an den Gesichtszügen der virtuellen Verdächtigen die Lüge erkennen.

Wie macht man die virtuellen Alter Egos noch realistischer? Wie schafft man ein neues Level der Immersion? Wohin geht die Reise in der Gesichtsanimation? Eine mögliche Richtung zeigt nun Team Bondi im Spiel L.A. Noire, wo bekannte Schauspieler mit gefühlten 12 Millionen Kameras gefilmt wurden, während sie die Emotionen und Dialoge ihrer Charaktere spielten. Und diese Performance wurde dann über das digitale Mesh der Figur gelegt. Innovativ! Bahnbrechend! Sinnvoll? Ob es wirklich hilft, das finden wir später heraus, nehmen wir L.A. Noire aber erstmal Stück für Stück auseinander.

Story

„Es war einer dieser Tage, an denen wirklich alles vor die Hunde ging!“ So oder so ähnlich beginnt wohl jeder zweite Detektiv-Film der 50er Jahre und in gleichem Stil ist auch L.A. Noire gehalten. Das Spiel erzählt im typischen Film Noir Stil die Geschichte eines jungen Polizisten und Kriegsheimkehrers namens Cole Phelps.

Im Korsett einer Aneinanderreihung verschiedener Fälle wird hier auf verschiedensten Ebenen die Erzählung vorangetrieben, die im Finale des Spieles mündet. So steht an vorderster Front die Karriere von Cole, der vom einfachen Streifenpolizisten zum Detective in den verschiedenen Dezernaten des LAPD wird. So durchläuft man nach etwas langweiligen Fällen im Verkehrsdezernat die Abteilungen Mord und Sitte, um am Ende wegen einer Fremdturtelei zum Branddezernat versetzt zu werden.

Wer seine Umgebung mit offenen Augen durchsucht, der wird auf einen weiteren Erzählstrang stoßen. Hinter herumliegenden Zeitungen verbirgt sich die Gesamterzählung, die Geschichte eines Doktors, der in seiner Machenschaft die Reichen und Schönen von Los Angeles beeinflusst, um daraus Profit und Geld zu schlagen. Dabei stößt Phelps nicht nur auf einen handfesten Skandal, sondern legt sich mit der halben Oberschicht von L.A. an.

Fast schon nebenbei wird in liebevollen Zwischensequenzen die Kriegsgeschichte von Cole Phelps erzählt. Im gesamten Spiel schwingt hintergründig ein gewisses Trauma aus grausamen Geschehnissen des Pazifik-Krieges mit, wirklich ausgesprochen wird das Unglück, welches viele der Protagonisten verbindet, erst zum Ende des Spieles. Und hier liegt das wahre Herz des Spieles: Erzählt wird nämlich die Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der die Schrecken des Erlebten nicht vergessen kann und sich so in Arbeit und Karriere stürzt um immer wieder über das zu stolpern, was er eigentlich vergessen will: Die Erlebnisse einer regnerischen Nacht auf einer gottverdammten Insel im Nirgendwo des Pazifik.

Gameplay

Kommen wir zu den wichtigen Elementen des Spiels: Den Gesichtern! Obwohl, nein, es gibt einige Elemente, die vorher Beachtung finden müssen. Dreh und Angelpunkt des Spieles ist das Notizbuch. Alle Informationen, Menüs, Funktionen und Hinweise sind sehr schön in das Spiel integriert. Über dieses Notizbuch steuert man im Grunde jede Funktion im Spiel.

Die Grundstruktur des Spieles ist der einzelne Fall, 23 an der Zahl gibt es davon im Grundspiel. Diese Fälle sind in der Struktur immer gleich: Finde Spuren am Tatort, spreche mit den Zeugen, finde einen oder mehrere Verdächtige und verhöre sie. Dabei baut eines direkt auf das andere auf. Findet man am Tatort ein wichtiges Indiz nicht, so kann man mit einem Zeugen womöglich nicht über ein prägnantes Detail reden und während des Verhörs fehlt einem ein wichtiger Beweis, um den Täter der Lüge zu überführen.

Dabei gestaltet sich jedes Gespräch in etwa gleich. Man befragt sein Gegenüber zu einem bestimmten Thema, der Zeuge oder Verdächtige antwortet und man ist nun angehalten, in drei Kategorien zu Antworten: Wahrheit, Anzweifeln und Lüge. Die Lüge ist hierbei die schwierigste Antwortmöglichkeit, da sie mit gefundenen oder erfahrenen Beweisen belegt werden muss. Anzweifeln ist die Option, die man wählt wenn man dem Gegenüber nicht glaubt, aber keinen Beweis hat, die Wahrheit dürfte sich von selbst erklären.

Für jedes Thema in jedem Gespräch gibt es jedoch immer nur eine „richtige“ Antwort. Alternative Lösungswege werden nicht angeboten, die sind aber auch nicht nötig. Denn es ist egal wenn man ein Verhör komplett falsch durchführt und sogar den Falschen einbuchtet, die Story wird unbehindert auf eiserner Linie weiter getragen. Theoretisch könnte man reines Buttonmashing während der Dialoge durchführen, das Resultat am Ende des Spieles wäre das gleiche, von der „0“ bei den richtigen Antworten in den Statistiken mal abgesehen.

Die Gesichter

In diesen „äußerst wichtigen“ Gesprächen kommt auch die bahnbrechende Neuerung von Team Bondi zum Tragen. Bei der Technologie namens „Motion Scan“ wird die Performance der Schauspieler in zwei Phasen aufgezeichnet und in das Spiel eingefügt. Die erste Phase ist das bekannte Motion Capture, bei dem die Schauspieler in lustigen Anzügen durch ein Studio hüpfen und ihre Bewegung relativ detailgetreu digitalisiert werden kann.

Die zweite Phase ist jedoch die, welche Team Bondi besonders hervorhebt. Mit insgesamt 32 HD Kameras wird nur das Gesicht des Schauspielers gefilmt, der die Szenen nun noch mal ruhig sitzend spielt. Dabei gibt es Spieler, die hier die Charaktere in das Uncanny Valley stürzen sehen. Die Bewegungen der Körper passen manchmal einfach nicht zu den Bewegungen im Gesicht, auch wenn es nicht offensichtlich ist, kann man bei näherer Betrachtungsweise die Schwäche der Technik erkennen.

Erwähnenswert ist hier übrigens auch die Besetzung von L.A. Noire. Zum Cast gehören Größen wie Aaron Staton (Mad Men) als Cole Phelps, John Noble (Herr der Ringe, Fringe) als Leland Monroe oder Greg Grunberg (Heroes) als Hugo Moller.

Los Angeles – Die Stadt der Engel

Ja, man kann den amerikanischen Kollegen hier ein wenig Neid zukommen lassen, denn sie haben die Möglichkeiten zum direkten Vergleich der echten Stadt der Engel und ihrem virtuellen Alter Ego. Glaubt man denn ihrem Urteil, ist die virtuelle Version ziemlich gut geworden.

Team Bondi hat hier mit viel Liebe zum Detail eine riesige Stadt nachgebildet und von großen Wahrzeichen bis hin zu den kleinsten Häusern „DAS“ Los Angeles wieder zum Leben erweckt. Wobei „Leben“ hier nicht zu wörtlich genommen werden darf. Obwohl man die Gebäude mit viel Liebe wieder aufgebaut hat, schwächelt L.A. Noire bei den üblichen Punkten von großen Stadt-Simulatoren: Den Einwohnern. Man wird den Eindruck nicht los, dass das Spiel ein paar mehr Menschen auf den Straßen vertragen hätte, auf die wurde jedoch wahrscheinlich mit Rücksicht auf die Performance verzichtet.

KI

Künstliche Intelligenz. Intelligenz. Unter den meisten Forschern bezeichnet dies die kognitive Fähigkeit eines Wesens, aufgrund einer gegebenen Faktenlage oder Erfahrungen eine Entscheidung zu treffen und diese auszuführen. Bei den Pixel-Gegnern von L.A. Noire von Intelligenz zu reden ist jedoch etwas (sehr) zu hoch gegriffen.

Nüchtern betrachtet ist L.A. Noire ein riesiger Ablauf von vordefinierten Skripten, lediglich die Actionsequenzen weichen ein wenig von der vorgegebenen Route ab. Diese Schusswechsel oder Prügeleien können streckenweise durchaus anspruchsvoll sein, jedoch dank gut umgesetzter Steuerung und fairer Speicherpunkte ist auch die kniffeligste Auseinandersetzung mit den Ganoven schnell erledigt.

Grafik

Wie schon erwähnt balanciert Team Bondi bei L.A. Noire auf der Klinge zum Uncanny Valley. Während die eigens entwickelte Grafik Engine zu hervorragenden Licht- und Schatteneffekten in der Lage ist, die Gesichter fast fotorealistisch sind, hört es bei den Händen schon auf. Es sind zwar immer nur Details, die während des Spielens grafisch unangenehm ins Auge fallen, doch sind es diese Details, die L.A. Noire nicht so ganz rund werden lassen.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten bildet sich auch grafisch ein glaubhaftes Bild von L.A. der ’40er und ’50er Jahre. Die Grafik steht der Immersion des Spielers zu keinem Zeitpunkt im Weg und bietet oft Anlass zu den „Wow“-Momenten, diese Momente, die wir aus Half Life als „Vistas“ kennen. Die Momente, wo man morgens über dem erwachenden L.A. steht, sind nur ein Beispiel für solche Erlebnisse.

Fazit

Irgendwie hat es L.A. Noire nicht geschafft, die riesigen Erwartungen an das Spiel zu erfüllen. Das Spiel bewegt sich zwar trotz aller Unzulänglichkeiten unter den Top Spielen des Jahres, dennoch ist man vom Vorreiter Rockstar Games anderes gewohnt.

Das Zugpferd von Team Bondi, die fotorealistischen Gesichter, waren zwar sehr beeindruckend anzuschauen, doch die erhoffte Revolution waren sie nicht. Viel interessanter war ein Nebeneffekt dessen, dass man professionelle Schauspieler zum Motion Scanning verpflichtet hat. Infolgedessen ergab sich nämlich fast schon beiläufig eine hervorragende Synchronisation. Dagegen wirkt das Erkennen der Lüge im Gesicht des Gegenüber fast schon plump, die Symptome der Nervosität sind sehr plakativ und direkt gespielt, sodass das Erkennen möglichst einfach fällt.

Trotz all der Kritik ist und bleibt L.A. Noire ein hervorragendes Detektivspiel, bei dem die Entwickler einen fesselnden Spannungsbogen über alle Fälle hinweg erschaffen konnten. Trotz auftretender Wiederholung und Längen in den einzelnen Fällen bleibt das Spiel bis zur letzten Minute hin spannend und schafft es, immer wieder etwas Neues bieten zu können.

L.A. Noire

von am 29.07.2011

L.A. Noire hätte das Spiel des Jahres werden können. Doch viele kleine Fehler nagen an seinem Thron und so wird das Spiel um Cole Phelps wohl sein Zepter an einen anderen Branchenvertreter verlieren. Dennoch hat man bei L.A. Noire die Chance ein hevorragendes Detektivspiel zu erleben, welches den Spieler in die Zeit, Stimmung und Psyche des Los Angeles der 40er Jahre zurück versetzt.

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