Gewalt in Videospielen – Sinn und Sinnlosigkeit

Gewalt in Videospielen – Sinn und Sinnlosigkeit

von am 24.09.2018 - 00:57

Manche Menschen werden von Gewalt und Brutalität abgeschreckt, andere fühlen sich von ihr angezogen und dazu animiert. Dass psychische und physische Gewalt polarisiert ist selbsterklärend. Nicht aber wo und wie sie stattfindet…

Dies ist ein reflektierender Meinungsartikel.

Gewaltausschreitungen auf Demonstrationen von links- oder rechtsextremen Anlässen, dürfen nicht gleichgestellt werden mit der Gewaltdarstellung in den Medien, auf die sich dieser Artikel bezieht. Und auch in den jeweiligen Medien muss differenziert werden zwischen Live-Aufnahmen aus Kriegsgebieten, einer Kampfsportübertragung oder einem Videospiel. Gerade in diesen ist festzustellen, dass ihr Gewaltgrad oftmals fernab von jeglicher Realität und extrem überzeichnet ist. Weder im Film noch in der Literatur lassen sich Äquivalente für die überzogene Videospiel-Gewalt finden. Hinzu kommt, dass sich der Gewaltgrad der Videospiele in den letzten Jahren konstant gesteigert hat und sich voraussichtlich auch nicht mildern wird. Dieser Artikel möchte der Frage nachgehen, warum Videospiele exzessiv auf Gewalt und Brutalität setzen und wie dies einen Mehrwert für Entwickler und Spieler haben kann.

Weißes Haus benutzt Videospiele als Sündenbock

Kein anderes Medium hatte bis dato einen steinigeren Weg, hin zur öffentlichen Akzeptanz , als das der Videospiele. Während das Medium Film sich spätestens zu Beginn der 1920er Jahre als Kunstform etabliert hatte, werden Videospiele in Teilen auch heute noch als Killerspiele verschrien und als Sündenbock stigmatisiert. Mitte Februar diesen Jahres, kam es an der US-amerikanischen Marjory Stoneman Douglas Highschool in Florida zu einem Amoklauf mit siebzehn Opfern. Anstatt einer Verschärfung der Waffengesetze, war die Reaktion des Präsidenten ein zusammengeschnittenes Video, mit den explizitesten Gewaltexzessen in Videospielen – hochgeladen vom offiziellen YouTube-Kanal des Weißen Hauses.

Platzende Köpfe, Enthauptungen, Verstümmelungen – keine virtuelle Grenzüberschreitung wurde ausgelassen. Dass die Ausschnitte vollkommen aus dem jeweiligen Kontext herausgerissen waren, schienen weder Trump, noch die Elternorganisation, der das Video vorgelegt wurde, zu kümmern.

Die Problematik ist dabei nicht der populistische Versuch wieder einmal das Medium der Videospiele zu denunzieren und für Probleme verantwortlich zu machen, die einen grundlegend anderen Ursprung haben, sondern dass Videospiele permanent eine breite Angriffsfläche bieten. Der Großteil der aktuellen veröffentlichten Titel hat irgendeine Form der Gewaltausübung in seinem Spielprinzip eingebunden.Entweder harmlos und unscheinbar, oder eben frontal und plakativ.

Während man einen rutschige Banane oder einen blauen Panzer in Mario Kart kaum als harte Gewalt bezeichnen kann, verhält es sich mit Fortnite und Overwatch schon anders. Die Spielerschaft dieser beiden populären Titel, setzt sich aus unterschiedlichen Altersklassen zusammen. Darunter auch diejenigen, die nicht das nötige Alter für das Spiel erreicht haben. Auch wenn der Gewaltgrad in diesem beiden Spielen vergleichsweise moderat ist und durch den optischen Comicstil fast schon verharmlost wird, tötet man virtuell immer noch Figuren, hinter denen sich reale Mitspieler befinden. Kurzweilige Unterhaltung, schnelles Schießen und simples Töten. Spaß daran, den anderen kreativ oder simpel zu töten, ohne dass das Spiel einen tieferen und erwachseneren Umgang mit Gewalt fordert. Das mag sich nach der Argumentation der Eltern eines achtjährigen Kindes anhören, das heimlich einen Ego-Shooter gespielt hat, hat aber dennoch seine Existenzberechtigung. Das Problem, welches besonders Online-Shooter mit der Gewalt haben, ist, dass sie keine oder nur marginal eine Motivation besitzen. Sinn und Zweck von ihr, ist es lediglich besser zu sein als ein anderer Mitspieler. Der letztendliche Mehrwert von einem Kill und gewonnenen Erfahrungspunkten ist ein neuer Waffenaufsatz, ein weiterer Skin, oder eine Hundemarke. Online-Shooter, wie die Counter-Strike-Reihe, werden dadurch auch weiterhin argwöhnisch von Soziologen beobachtet und analysiert. Nicht etwa, weil man meint es seien Killerspiele, die ihre Spieler zu Amokläufern machen, sondern weil die Titel ihre Gewalt unmotiviert und als reinen Selbstzweck inszenieren.

STRATEGIE UND TAKTIK MIT HEADSHOTS UND KILLS

Obwohl insbesondere die Counter-Strike-Reihe oftmals als Killerspiel stigmatisiert wurde, kann Valves Ego-Shooter auch als ein Paradebeispiel gegen eine solche Argumentation dienen. Der elektronische, kompetitive Sport ist in den letzten Jahren zu immenser Popularität gelangt. eSport ist mittlerweile jedem Gamer ein Begriff und ist nicht selten auch in anderen Medien durch Schlagzeilen, Interviews oder ähnliche Auftritte vertreten. In Counter-Strike: Global Offensive, einem der mitunter größten Platzhirsche im eSport, ist das Ziel entweder eine Bombe zu platzieren oder das gegnerische Team vorzeitig auszuschalten. Gelingen kann das aber nur mittels genauen Absprachen, präzisen Platzierungen von Granaten und perfekt platzierten Schüssen. Laufwege müssen auf den entsprechenden Maps im Team trainiert werden und präzise Calls während dem Spiel, wo welcher Gegner ist, sind das Mittel zum Sieg. Auch bei Tom Clancy’s Rainbow Six Siege nimmt Teamplay und Kommunikation eine ebenso essentielle Rolle ein, nur das bei diesem kompetitiven Shooter auch noch die Spielumwelt entscheidend ist. Wände und Böden können durchschossen oder gar gesprengt werden und als Waffe gegen den Gegner verwendet werden.

 

Die Gadgets der Operator innerhalb des Spiels kontern sich gegenseitig aus und ohne Kenntnis über die Schlüsselpunkte auf jeder Karte, endet man schnell als Kanonenfutter.
Ohne Frage, im eSport sind Shooter eine der beliebtesten Disziplinen. Doch ohne die Absprache unter den Teammates und handfeste Taktiken und Alternativen auf mehreren Maps, können sich die Mannschaften nicht auf professioneller Ebene durchsetzen. Trotz der strategischen Ebene nutzen die Titel Videospielgewalt in reinster Form, jedoch mit einer taktischen Note, die spielentscheidend ist.

Diese Variable unterscheidet die kompetitiven Titel von denen, die Videospielgewalt ohne spielerischen Mehrwert implementieren.

Videospielgewalt mal anders: intelligent, reflektiert und sinnvoll

Das Äquivalent zum Multiplayer sind die obligatorischen Singleplayer mit Kampagnen, Story-Modi, etc. und auch in diesen ist Brutalität allgegenwärtig. Videospiele wie beispielsweise die Bioshock-Reihe oder Spec Ops: The Line haben keinen zimperlichen Umgang mit Gewalt und Schrecken auch nicht vor exzessiver Brutalität zurück, bieten dafür aber einen spielerisch nachhaltigen Mehrwert.
Im ersten BioShock, welches 2007 erschien, wurde der Spieler in eine dystopische Welt geworfen, die durch unterschiedliche politische, soziale und philosophische Konzepte zerrissen war. Man wurde aktiv dazu animiert die Umgebung zu erforschen, sich mit der Narrative auseinanderzusetzen, während man sich mittels der Gewalt in besagter Spielwelt behaupten musste. Brutale Auseinandersetzungen mit Schuss- und Nahkampfwaffen sind hier kein Selbstzweck, sonder das Mittel zum Zweck, um eine tiefere Immersion mit der Welt und ihrer Geschichte zu erzeugen.


Mit Spec Ops: The Line, aus dem deutschen Studio Yager Development, verhält es sich ähnlich, wenn auch intensiver. Die Handlung ist in einem von Sandstürmen verschütteten Dubai angesiedelt und kann als spielerische Grenzerfahrung beschrieben werden. Innerhalb des Spiels agiert man als US-amerikanischer Soldat, der seine Kontrahenten mit brutalen Animationen regelrecht hinrichten kann. Im weiteren Verlaufe der Handlung, löscht man zudem ein Lager mit Frauen, Kindern und Hilfsbedürftigen mittels weißen Phosphors aus und wird später Zeuge ihrer Überreste. Hinter der Gewalt und dem vermeidlichen US-Patriotismus werden jedoch deutlich tiefgründigere Themen behandelt, wie das PTSD-Syndrom der Soldaten, die Suche nach einem Sinn, in der sich immer weiter zuspitzenden Gewalt und die Frage, wann der Krieg ein Ende haben wird. Harter Tobak, der intelligent vermittelt wird und den Spieler dazu anregt sich mit seinen Entscheidungen und der dargestellten Gewalt auseinander zu setzen. Wenn sich ein Leser weiter mit den Thematiken des Spiels auseinandersetzen möchte, ist die Analyse des YouTubers Raycevick zu empfehlen.

 

Aufmerksamkeit wider Willen – schlechte PR ist gute PR

Man kann also durchaus davon sprechen, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Gewaltgrad in Multi- und Singleplayer gibt. Dennoch wäre es nicht angebracht zu sagen, dass Singleplayer generell einen reflektierten Umgang mit virtueller Gewalt pflegen. Auch wenn sich Titel, wie die obig genannten, als intelligente Beispiele für Gewalteinsatz in Videospielen anführen lassen, findet man leider ebenso viele Negativbeispiele. Das mitunter populärste Beispiel stammt aus dem Hause Activision, besser gesagt aus den Entwicklerhänden von Infinity Ward. Den videospielaffinen Lesern wird die Mission „No Russian“ aus Call Of Duty: Modern Warfare 2 ein Begriff sein. Als Undercover-Agent begeht man mit russischen Terroristen einen Amoklauf auf einem Moskauer Flughafen. Als Spieler metzelt man sich durch die Menschenmaßen und treibt die wehrlosen Zivilisten mit seinem LMG vor sich her, was mehr an Viehtreiberei erinnert, als an eine Spielmechanik. Dabei war es jedem selbst überlassen, ob man auf die Zivilisten schießt oder ob man das Niedermetzelen nur passiv verfolgte. In Deutschland und Japan wurde die Option, aktiv auf Zivilisten zu schießen, entfernt.  Die Rechtfertigung von Mohammad Alavi, einem der primären Designer des Levels, war, dass man durch die Bluttat besser die Antagonisten verstehen kann. Die deutlich realistischere Grund für die Existenz eines solchen Levels, war die Polarisierung in der Medien- und Spielerwelt, in denen das Thema „No Russian“ heiß diskutiert wurde. Fakt ist jedoch, dass besagte Mission auch ebenso einfach in einer kurzen Zwischensequenz hätte auftauchen können, ohne den Spieler vor die Wahl eines aktiven oder eben passiven Amoklaufs zu stellen. Spielerische Alternativen hätte es zur Genüge gegeben, wie etwa ein Rollentausch, so dass man in der Rolle eines hilflosen Zivilisten stecken könnte, der vor den Tätern flüchten muss.


Die Call of Duty-Kontroversen sind spätestens seit „No Russian“ ein fest integrierter Bestandteil der Singleplayer-Kampagnen der Ego-Shooter-Reihe. Obwohl in Call of Duty: Black Ops ein wehrloser Mann mit Scherben im Mund zusammengeschlagen wird, schaffte es Activisions populäre Shooter-Reihe nie den Skandal von damals zu rekonstruieren. Aus spielerischer Sicht teilen sich die Skandallevel der Reihe alle eine spielerisch hauchdünne Mechanik und die Tatsache, dass sie allesamt keinen spielerischen Mehrwert haben.

The Last of Us Part II mit Gewaltverherrlichung oder als Mittel zum Zweck?

Zugegeben, es ist einfach auf eine Reihe wie Call of Duty einzutreten, die ihre spielerische Moral und Ethik offensichtlich schon vor langer Zeit abgelegt hat. Ein aktuelles Beispiel für exzessive Gewalt mit fragwürdiger Wirkung, ist das heiß erwartete The Last of Us Part II. Das vorgestellte Gameplay der diesjährigen E3 sieht fantastisch aus, macht einen nahezu fotorealistischen Eindruck und scheint eine Vielzahl an spielerischen Möglichkeiten zu bieten.

Mit anderen Worten: Das Sequel wird qualitativ wahrscheinlich auf einem ähnlichen Level sein wie sein gefeierter Vorgänger. Was soll also nun das Problem sein? In dem knapp elfminütigen Gameplay-Video sieht man mehrmals, wie die Protagonisten Ellie die Mitglieder einer Räuberbande fast enthauptet und ihre Machete tief in Hälse hineinschlägt. Die Kamera fährt näher an eines ihrer Opfer heran und zeigt wie tief die klaffende Wunde ist. Warum?


Als Spieler hat man in diesem Moment keine emotionale Bindung zu dem Gegner und eine kurzer Close-up auf den röchelnden Feind wird das wohl kaum ändern. Anstatt den Gegner schnell zu erledigen und voranzuschreiten, wird seine Hinrichtung regelrecht ausgeschlachtet. Wieder einmal hat diese Inszenierung keinen Mehrwert, sondern dient lediglich dazu eine Schockwirkung zu erzielen.

Übermäßige Gewalt wirkt nicht erwachsen und ist dem Spiel nicht zuträglich. In der heutigen Videospiellandschaft scheinen sich diverse Titel einen regelrechten Wettstreit darin zu liefern, wer den höchsten Gewaltgrad erreichen kann. 2015 schlug Hatred große Wellen, in dem man einen Amoklauf in mehreren Locations begehen kann. Anstatt den Titel als das Schachmatt für das Medium der Videospiele zu sehen, wäre es angebrachter den Titel als PR-Aktion zu sehen, mit welcher ein kleines Studio auf sich aufmerksam machen möchte, das zudem auch politisch fragwürdig zu betrachten ist.


Sinnlose Gewalt schadet dem Medium mehr, als das sie ihm nützlich ist. Viele Titel reduzieren sich durch ihre sinnbefreite Gewalt auf diese, so dass außer ihr nichts von dem jeweiligen Spiel übrig bleibt. Sie wird sozusagen zur Identität des Spiels und überschattet seine anderen Aspekte. Bettet man Gewalt jedoch in eine intelligente und dementsprechend inszenierte Handlung ein, die in einer überzeugenden Welt stattfindet, bekommt sie einen erzählerischen Mehrwert. Gewalt kann letztendlich nur durch eine sinnvolle Motivation legitimiert werden. Und eben diese Art der Gewaltdarstellung vermag es in Erinnerung zu bleiben, während plumpe und unmotivierte Brutalität vergessen wird.

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