SPIELERFRAU – Mein Freund, seine Konsole und Ich (Teil 4)

SPIELERFRAU – Mein Freund, seine Konsole und Ich (Teil 4)

von am 15.08.2017 - 13:44
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Krautgaming präsentiert euch eine Kolumne der etwas anderen Sorte. Ja, liebe Leute ! Stefanie Braun hat ihren Freund als Testsubjekt verwendet und unter Beobachtung gestellt und wird in unserer brandneuen Reihe über ihre Erkenntnisse berichten… Viel Spaß !   ?

Spielerfrau

von Stefanie Braun

Stimmen hören

Eigentlich ist es kein gutes Zeichen: Stimmen hören. Könnte auf eine psychische Störung hindeuten, eine beginnende Psychose, oder sogar eine fortgeschrittene. Vielleicht ist der biochemische Cocktail im Gehirn gekippt oder ähnliches. Auf jeden Fall sollte es einem zu denken geben.

Nicht so, wenn man einen Spieler im Haus hat. Dann hört man öfters mal Stimmen, oder vielmehr, man hört, dass der Spieler etwas hört. Da wird aus dem Nichts gelacht, unzusammenhängendes Zeug erzählt, in fremden Zungen geredet, manchmal nur eine sinnlose Kette von Buchstaben aneinandergereiht, wie RQ, PTFO oder AFK. Mit wem oder was redet der Spieler da? Muss man sich Sorgen machen? Ist er doch zu tief in diese Fake-Welt abgerutscht?

Erstmal kann man da Entwarnung geben: Mit was er spricht, ist schnell verraten: Es handelt sich um das sogenannte Teamspeak, eine Möglichkeit, sich mit anderen Spielern im Spiel zu unterhalten. Mit wem ist da schon schwieriger, denn generell sind die neuen PCs und Konsolen darauf ausgelegt, dass sich befreundete Spieler austauschen, aber auch Unbekannte in ein Gespräch einklinken können. Die Themen drehen  sich nicht selten um das Spiel selbst; wer greift wen an, wer ist schon wieder tot, wer kann schnell mal zum heilen um die Ecke kommen?

Aber ab und an können diese Gespräche auch „intimer“ werden, da bilden sich Insider, geheime Code-Wörter, die die Runde immer wieder zum Lachen bringen (das plötzliche Rufen von „Rambo!“) oder sogar Rituale, die auch bei fremden Gamern Wiedererkennungswert haben („Da ist schon wieder die Gruppe, die mit dem Panzer stundenlang im Kreis herumfährt“).

Als Außenstehender entsteht schnell das Ich-bin-auf-einer-Party-und-der-Einzige-den-ich-kenne- ist-auf-dem-Klo-Feeling. Nur, dass unsere Bekanntschaft gefühlt (und real)  stundenlang abgetaucht ist. Eigentlich würde man schnellstmöglich versuchen, diese obskure Partygesellschaft zu verlassen. Man wartet bis die Bekanntschaft vom Klo zurückgekommen ist und meldet sich mit irgendeinem fadenscheinigen Grund ab („Boah, total krasse Kopfschmerzen, wie angeschossen“, „Du, ne Freundin hat mich gerade angerufen, die hat voll Liebeskummer, ich treff mich jetzt noch mit der“ oder,wenn man einer von der drastischen Sorte ist: „Du warst jetzt so lange auf’m Klo, dass ich mich eingemacht hab. Ich geh jetzt heim und zieh mich um.“). Der Vorteil der Teamspeak-Party: Man muss sich keine Ausreden einfallen lassen, um diese Stunden in der Küche oder vor dem eigenen Laptop/Handy zu verbringen.   Zugegeben, Teamspeak-Gespräche sind in etwa so spannend, wie jemanden im Bus beim Telefonat zu belauschen oder die Reaktionen von Freunden auf ihre WhatsApp-Nachrichten mitzubekommen (ohne die Nachrichten lesen zu können selbstverständlich). Da kommen schnell Gedanken auf wie „Ist schon bisschen asozial“ oder „Kann der/die sich nicht im richtigen Leben Leute suchen, mit denen er /sie reden kann“ oder „Das wird schon mehr als ‚nur ein Spiel‘, sollte ich vielleicht dochschon mal einen Termin in der Suchtberatung für ihn/sie machen?“

Erstmal ruhig bleiben, bitte. Vielleicht hilft zum Runterkommen eine kleine nette Geschichte am Rande (#TrueStory): Es war dereinst eine Gruppe von Gamern aus Städten über ganz Deutschland verteilt, die sich zum Zocken in einer virtuellen Welt traf, (um sich kein Product Placement vorwerfen lassen zu müssen, sei über diese Spielewelt nur soviel gesagt: Man kann darin Panzer fahren. Mehr ist für die Geschichte auch nicht wichtig…). Diese Gruppe war des eigentlichen Spiels nach kurzer Zeit müde, setzte sich mit zwei Panzern ab und fuhr mit ihnen kurzerhand über Stunden im Kreis, um in aller Ruhe miteinander über Teamspeak die Geschehnisse der letzten Wochen austauschen zu können: Wer war wo in Urlaub, wie lief’s auf der neuen Arbeitsstelle, wer hatte mit wem Schluss gemacht oder wer war mit wem zusammengekommen. Was das Leben (oder in diesem Fall das RL =Real Life) halt so mit sich gebracht hatte. Eine Anfrage trudelte rein, ob ein anderer Spieler mit in die Panzerfahrtrunde einsteigen könne. Ihm sei die cruisende Runde aufgefallen und er wollte mal fragen, was man da eigentlich mache. Der andere Spieler entpuppte sich als Margareth, 75-jährige Bewohnerin eines Altenheims in Kalifornien. Sie sei heute im Altenheim dran mit zocken, auf diese Weise würde sie ihre altersstarren Finger ein bisschen fit halten.Außerdem würde sie es genießen so weiter Kontakt mit jungen Menschen haben zu können. Margareth erzählte von ihrem früheren Beruf als Krankenschwester, von ihren Kindern und Enkelkindern, die natürlich viel zu selten zu Besuch kämen und  von ihren ollen Mitbewohnern im Altersheim, die lieber Rennspiele zocken würden, als stundenlang mit dem Panzer im Kreis zu fahren. Einige Zeit später gab es in Margareths Altenheim Essen, danach sei sie zum Spazierengehen mit einer anderen Heimbewohnerin verabredet. Man verabschiedete sich.

Teamspeak ist wie Telefon, WhatsApp, ICQ, SMS und Email vor allen Dingen eines: ein Kommunikationsmittel. Und wie praktisch jedes dieser genannten Mittel wurde es zu Anfang von Vielen verschrien. Welcher Elternteil war nicht besorgt über horrende Telefonrechnungen („Warum triffst du dich nicht  einfach mit deinen Freunden? Hast du Angst rauszugehen?“), über tausende „A-Os“, die aus dem PC-Lautsprecher schallten, immer wenn eine ICQ-Nachricht ankam („Das ist doch keine Kommunikation, immer sitzt du nur vorm PC“) und erst recht über WhatsApp („Immer hängst du am Handy! Und warum sprichst du die Nachrichten auf, dann telefonier doch lieber!“). Kommunikationsmittel sind nicht nur abhängig von technischer Ausstattung, sondern auch von Zeitgeist und Benutzergruppe. Während ICQ bei den Jugendlichen vor zehn Jahren noch DIE Chatplattform waren, kennen manche Jugendliche diese Variante mit dem grünen Blümchenicon schon gar nicht mehr. Wer-Kennt-Wen und StudiVZ wurden von Facebook verdrängt, als MySpace schon lange tot war. Möglichkeiten sich selbst darzustellen sind immer Möglichkeiten in Kommunikation mit anderen zu treten und umgekehrt. Und dass man bei der Selbstdarstellung immer ordentlich Seelen-Concealer und Persönlichkeits-Puder aufträgt, wissen inzwischen ja alle. Sich auf einer Plattform zu treffen, in der alle generisch entwickelte Figuren sind, die zwei Stunden mit einem Panzer im Kreis fahren, um sich über den letzten Sommerurlaub auf Gran Canaria zu unterhalten, ist da gedanklich schon gar nicht mehr so weit weg. Letzten Endes zählt bei allen Kommunikationsmitteln, egal ob Telefon, Handy, Whatsapp, ICQ, Chat oder Brieftaube doch eh nur eines: Das sie funktioniert und sich Menschen „treffen“ und näher kommen. Eine Verbindung aufbauen oder aufrecht erhalten. Oder wenigstens ein paar nette Geschichten austauschen, sich eben Mit-Teilen, zum Beispiel über bessere Spielstrategien oder über die Enkelkinder aus Kalifornien.

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