Drache mit dem Herz aus Gold – Divinity: Dragon Commander

Drache mit dem Herz aus Gold – Divinity: Dragon Commander

von am 02.05.2014 - 14:16
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Nicht, dass ihn niemand gekauft hätte; aber vor ein paar Jahren wäre ein Titel wie Divinity: Dragon Commander nicht einmal in die Produktion gekommen. Stellt euch einmal das Verkaufsgespräch beim Publisher vor: Ein junger Entwickler steht im großen Montgomery Burns-Büro und bittet um Geld für sein neues Projekt. Der Geschäftsmann am anderen Ende des Schreibtischs – stilecht im Anzug, Krawatte und Zigarre – fragt, was denn das Spiel so besonders machen soll.

„Nun“, beginnt der Entwickler, „Es geht um einen Königssohn, der zur Hälfte Drache ist, und sein Reich zerfällt, und er muss es wieder vereinen. Zwischen den Schlachten spricht er mit seiner ethnisch diversen Mannschaft und diskutiert mit Diplomaten moderne soziale Fragen wie etwa die Anerkennung von Homosexualität. Außerdem entwickeln wir exklusiv für den PC, denn es ist ein Echtzeit-Strategiespiel mit rundebasierten Anteilen.“
„Kassengift, Kassengift, Kassengift“, erwidert der Geschäftsmann und pafft eine dicke Rauchwolke ins Gesicht des Entwicklers. „Das ist alles, was ich höre. Schaffen Sie es noch, mich zu überzeugen, oder muss ich die Hunde loslassen?“
Der Entwickler schwitzt. Dicke Tropfen laufen über seine Stirn.
„Ähhh…”, beginnt er, während der Zeigefinger des Publishers schon über dem roten Knopf mit der Rottweiler-Silhouette schwebt. „Warten Sie! Der Drache hat ein Jetpack.“

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Und es funktioniert

Irgendwie ist es dann doch zu Stande gekommen, und das gleicht selbst im Jahr 2014 immer noch einem Wunder. Denn das Spiel steckt irgendwo zwischen Visual Novel, der Total War-Reihe, Star Craft II, Command & Conquer und frühen Versuchen, mehr Action in das Genre zu pusten (z.B. wie in Battlezone II oder Sacrifice). Es sind fast schon vier Spiele in einem, die miteinander verwoben sind; und ich möchte schnell erklären, wie das funktioniert.

Ihr habt ein fliegendes Schlachtschiff, eure mobile Kommandozentrale – die Raven. Auf ihr befinden sich der Thronraum, in dem ihr mit Diplomaten sprecht und politische Entscheidungen über die soziale Zukunft eures Reiches trefft. Hier könnt ihr auch Technologien für eure Feldzüge erforschen und neue Drachenkräfte lernen. Später könnt ihr auch eure Privatgemächer aufsuchen, nachdem ihr eine Prinzessin geheiratet habt – aus rein politischen Gründen. Dann geht’s aber irgendwann zur Brücke. Hier habt ihr Zugang zur Strategiekarte, auf der ihr Armeen durch die Provinzen der Landkarte schiebt, Einheiten kauft und mit Hilfe von Spielkarten eure Gegner sabotieren könnt. Kommt es hier zum Kampf, könnt ihr euch entscheiden: Entweder lasst ihr den Computer die Schlacht auswürfeln, oder ihr stürzt euch selber in den Kampf.

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In den Schlachten befehligt ihr eure Einheiten in Echtzeit, nehmt Gebäude ein und vernichtet die Truppen der anderen Armee. Doch ihr seid hier mehr als nur ein Mauszeiger, mehr als ein körperloser Befehlshaber weit über der Welt. Ihr seid ein Drache mit einem Jetpack auf dem Rücken.

Diversitätskeule

Als Drache könnt ihr gezielt in die Schlachten eingreifen, Einheiten zerstören und heilen, schwächen und heilen. Den Drachen steuert ihr dabei wie in einem Shooter mit den W,A,S und D-Tasten. Nebenbei könnt ihr zwar immer noch Einheiten bauen und befehligen, seid aber etwas eingeschränkt, da eure Finger Twister auf der Tastatur spielen müssen; und selbst dann ist es ungenau, denn der komplexeste Befehl ist “nimm all meine Einheiten und vernichte alles in dieser Richtung”. Ob ihr die Fähigkeit einsetzen wollt, unterliegt dabei also immer der Frage, ob ihr die präzise Kontrolle über eure Armee der Kraft eines Drachens mit Jetpack opfert. Außerdem ist der Drache nicht unverwundbar; schon ein paar Raketen der billigsten Luftabwehr-Einheiten bringen ihn zu Boden, wenn der Spieler nicht aufpasst.

Nach der Schlacht findet ihr auf der Raven meistens ein paar neue Gespräche mit euren Generälen, Diplomaten und Beratern. Hier strahlt das Spiel; denn die Gespräche sind zum großen Teil sehr gut geschrieben und hervorragend vertont. Eure Generäle haben Persönlichkeit, obwohl sie auf den ersten Blick wie Abziehbilder wirken: Der saufende Henry hat im Krieg einen Arm verloren und vertraut niemandem mehr; Catherine hasst Männer und das Patriarchat; Scarlett ist das wilde Party-Girl; und dann ist da noch Edmund, der rassistische Echsenmenschen-Aristokrat, der mit seinem britischen Akzent pures Comedy-Gold spricht. Edmund findet, dass die Echsen die am höchsten entwickelte Spezies sind, und lässt keine Gelegenheit aus, es zu zeigen.

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Doch das wäre nur halb so spannend, wenn Dragon Commander es dabei belassen würde. Im Laufe des Spiels fragen euch eure Generäle um Rat und gewinnen interessante Facetten, die den ersten Eindruck fast komplett umdrehen – abhängig davon, wie ihr reagiert. Edmund verliebt sich zum Beispiel in ein Mitglied einer anderen Spezies, und ein weiterer eurer Generäle ist homosexuell und möchte eure Unterstützung für sein Coming out. Dabei sind alle vier Generäle herausragend feinfühlig und vorsichtig geschrieben – zu einfach wäre es gewesen, Catherine zur Feminazi-Parodie aufzublasen. Stattdessen hat der Entwickler eine stolze Frau geschaffen, die das männliche Herrschaftsystem hasst, weil sie die Ungerechtigkeit in ihm sieht. Und diesen Missstand will sie beseitigen, mehr nicht – es geht ihr nicht darum, die Männer zu versklaven oder ihre Macht zu sehr zu beschneiden (haha, Wortspiel). Das ist für ein Fantasy-Spiel herausragend, wenn es doch so sehr auf einfache Ziele hätte schießen können.

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Die Fragen der Neuzeit

Kurz: alles hat zwei Seiten, und so auch die Politik. Eure Diplomaten sind die fünf Abgesandten der zivilisierten Völker der Elfen, Zwerge, Untoten, Echsen und Kobolden. Sie kommen mit politischen Belangen zu euch – so fordern die Elfen beispielsweise die Einführung einer Unfallversicherung, die die profitgierigen Zwerge wiederum ablehnen. Dafür bringen diese den Vorschlag ein, die Kirche zu besteuern; was die Untoten ablehnen, die zutiefst religiös sind. Die Echsen wollen das Frauenwahlrecht für Untote; und die Kobolde wollen unter einem alten Elfenfriedhof nach Metallen graben.

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Außerdem arrangieren die Völker eine politische Hochzeit; abgesehen von den Kobolden, deren Prinzessin bei einem Unfall ums Leben kam. Vier Bräute buhlen um die Hand (Klaue?) des Drachen – und alle wissen mehr oder weniger, dass es eine Hochzeit aus politischen Gründen ist. Die Elfin will’s trotzdem mit Liebe versuchen; die Zwergin will es zu ihrem eigenen Vorteil nutzen; die Echsenfrau sagt im Wesentlichen “Wenn’s sein muss” und die Untote ist eigentlich viel zu schüchtern und hält sich nicht für wertvoll genug für eine so hohe Hochzeit.

Wie ihr euch auch entscheidet: Die Hochzeit bringt weitere Geschichten. In meinem Spiel heiratete der Commander Ophelia, die Untote; weil sie den gleichen Namen trägt wie die Freundin von Eddie Riggs, weil ich Stress mit den Untoten hatte und meine Beziehungen mit ihnen aufbessern wollte, und weil sie Lippenstift auf ihren Zähnen trägt – Skelette haben immerhin keine Lippen mehr, und das zeugte von Erfindergeist. Kurz nach der Hochzeit erfuhr ich vom Fluch, der ihre Knochen zersetzte. Sie fragte mich um Rat; schon war ich in eine Geschichte verwickelt, die damit endete, dass sie mit einem fremden Mann ins Bett stieg. Urteilt nicht, ihr kennt den Zusammenhang nicht.

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Draufzeigen und Draufhauen

Da ist es etwas schade, dass dem Echtzeit-Strategieteil des Spiels der Tiefgang fehlt; über einen weiten Teil des Spiels reicht es, ein paar hundert Einheiten zu bauen und den Gegner wie in früheren Command & Conquer-Spielen zu überrollen. Erst im dritten Akt nutzt der Computergegner die Spezialfähigkeiten seiner Einheiten; dann aber so stark, dass es fast schon an Schummelei grenzt. Dann spielt auch die Bedienung nicht richtig mit – es ist fummelig, die Spezialfähigkeiten der Einheiten zu aktivieren und sie gleichermaßen vor denen des Gegners zu schützen.

Außerdem zählt Geschwindigkeit mehr als alles andere: Wer so früh wie möglich die wichtigsten Punkte auf der Karte besetzen und halten kann, hat die Schlacht schon fast gewonnen. Da kommt die Strategie zu kurz und man ist schnell dabei, sämtliche Schlachten vom Computer ausrechnen zu lassen, anstatt selber aufs Schlachtfeld zu gehen.

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Auch die Provinz-Karte fordert nicht wirklich – im Wesentlichen schafft der Spieler hier nur die Vorraussetzungen für die Echtzeit-Schlachten. Die härtesten Entscheidungen warten erst dann, wenn der Spieler mehrere Schlachten in einer Runde führen muss: Dann muss er abwägen, welche Schlachten er einem seiner Generäle anvertraut, und welche er selber führt. Die meisten anderen Entscheidungen sind trivial – welche Einheit er in welcher Provinz baut und welche Gebäude er wo errichtet ist eine simple Frage der Effizienz.

Hut ab, Herr Drache

Damit ist Divinity: Dragon Commander nicht das beste Echtzeit-Strategiespiel, das ich je gespielt habe; aber trotzdem eins der besten Spiele. Die Stärken des Titels liegen dabei weniger in den Spiel-Anteilen und eher in den erzählerischen: Hier warten spannende Entscheidungen, wenn meine Berater mir zum Beispiel eine „Entschlackung des Staatsapparats“ vorschlagen, ich aber nicht tausende von Leuten auf die Straße setzen möchte, die mehrere Jahrzehnte lang in dieser Bürokratie gearbeitet haben.

Das Tolle daran ist, dass die Geschichten und politischen Entscheidungen zwar ernste Themen wie zum Beispiel die soziale Frage zu Beginn der Industrialisierung behandeln, aber trotzdem niemals deprimieren. In den Dialogen schwebt ein Witz, der so weit über den üblichen Fantasy-Plattitüden steht. Figuren sind nicht einfach nur blanke Spielfunktionen oder Aufhängsel für dumpfes Pseudo-Tolkien-Gesabbel, sondern Personen. Sie zeigen Träume, Wünsche und Gefühle, und sie reißen Witze. Sie sind nicht perfekt; sie sind Rassisten, Sexisten und Fundamentalisten – wie wir Menschen nun einmal sein können, und das macht eine aufrecht laufende Echse wie Edmund menschlicher als einen Holzkopf wie Jim Raynor aus StarCraft II: Zerg Harder.

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Im Strategiespiel-Genre ist Dragon Commander damit einzigartig, ist das Storytelling im Genre doch wenig beachtet. Das Problem ist, dass das Strategiespiel dahinter verschwindet. Am Ende möchte ich keine Zeit auf dem Schlachtfeld verbringen, sondern lieber mit den Kobolden über Explosionen reden. An Bord der Raven warten so viele kleine Details: Nach jeder Schlacht wirbelt eine Zeitung mit saublöden bis fantastischen Schlagzeilen ins Bild, und die Barkeeperin in der Bar ist ein untotes Skelett, das Kürbisse im Korsett trägt, um dieses auszufüllen. Die Brillenlinsen der Kobolde verzerren und vergrößern ihre Augen, und auf dem Strategietisch schiebe ich tatsächlich kleine Holzfiguren durch die Provinzen.

Doch das tollste Detail bleibt das Jetpack. Denn es gehört einiger Mut dazu, auf den inneren Fünfjährigen zu hören und zu sagen: „Jepp, Drachen sind cool. Aber weißt du, was noch cooler wäre? Ein Drache mit Jetpack auf dem Rücken.“ Und dann klappt es auch mit dem Publisher.

Divinity: Dragon Commander

von am 02.05.2014

Ihr seid ein Drache. Ihr tragt ein Jetpack. Reicht das nicht? 

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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