26 Games: Kleine grüne Männchen

26 Games: Kleine grüne Männchen

von am 28.11.2013 - 19:15
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Was Spieler wollen, ist im Licht einer neuen Generation klar – bessere Grafik, besseres Spiel, mehr Polygone. Eins bleibt dabei immer zurück: Künstliche Intelligenz. Das klingt nicht so sexy wie das, was die Zauberer hinter der neuen Unreal Engine auf die Mattscheibe knallen und es eignet sich nur schlecht für die Bühnen der großen Spielemessen. Deshalb überlassen wir denkende Computer lieber der Science Fiction, denn die kann uns Hal 9000, den Terminator oder die Matrix geben – vor wenigen Jahren waren mörderische Maschinen das, was heute Zombies sind. Doch künstliche Intelligenz bedeutet nicht gleich den Untergang der Welt. Dafür sprechen zum Beispiel Bender, Johnny 5 oder eben Darwinia.

 

Schon wieder ein Titel eines unabhängigen Entwicklers, schon wieder Alt-Grafik, schon wieder ein Blick auf das eigene Medium: Darwinia ist ein wirrer Mix aus Strategie, Gott-Simulator und Twin-Stick-Shooter. Zuerst verweigert das Spiel jeden Zugang – kantige Landschaften und unwirkliche Farben mit Neon-Akzenten leuchten aus dem Bildschirm, während im Hintergrund Chiptune-Musik läuft. Ein Mann stellt sich über eine Textbox als Dr. Sepulveda vor: Er möchte, dass der Spieler ihm hilft, einen Viren-Ausbruch in Darwinia einzudämmen. Klingt einfach, ist aber schwer, da Maus, Tastatur und Gamepad nicht wirklich Lust darauf haben, mit dem Spieler zusammenzuarbeiten.

Pandoras eMail

Das macht zunächst wenig Spaß – doch nach den ersten beiden sperrigen Missionen wirkt dann die Geschichte. Darwinia ist die Heimatwelt der Darwinianer: starre Strichmännchen in grün. Sie können leben, arbeiten und lernen, aber auch sterben. Dann geben sie ihre virtuelle Seele frei, mit der später ein neuer Darwinianer die Welt betritt.

birth of a darwinian

Davon sieht der Spieler jedoch zunächst nicht viel: Viren haben die Simulation verseucht. Einen kleinen Teil konnte Sepulveda zwar retten, aber er braucht die Hilfe des Spielers, um ganz Darwinia zu reinigen und die Quelle der Infektion aufzuspüren – eine ganz banale Spam-Mail, wie er später entdeckt. Die Darwinianer luden sie von seinem Rechner, als sie sehen wollten, was jenseits der Grenzen ihrer Welt liegt.

Das Tolle an der Geschichte: Ihre Titelhelden bleiben stumm. Die Einwohner von Darwinia sprechen nicht (zumindest verstehen wir nicht, was sie sagen). Statt dessen erzählen Bilder, Handlungen und Dr. Sepulveda, der versucht, seine Schöpfung zu verstehen. Das hilft dem Spieler, die Geschichte in Darwinia in seinem eigenen Tempo zusammenzusetzen.

Eine Simulation in einer Simulation in einer…

Es gibt diese Theorie, nach der unser Universum eine Simulation ist. Sie basiert auf der Annahme, dass eine intelligente Spezies immer komplexere Simulationen schafft und niemand ausschließen kann, dass das nicht schon eine viel intelligentere Spezies mit unserem Universum getan hat, wir also selber in einer leben. Ob das stimmt, ist hier nicht wichtig – vielmehr geht es um eine Frage, die diese These aufwirft.

darwinia infected

Ist simuliertes Leben auch wertvolles Leben, das man schützen soll? Wenn wir unser eigenes Leben wie Darwinia sehen, also als Simulation im Computer, dann erscheint die Existenz in einem neuen Licht: Die Darwinianer sind doch „nur“ Code – nur ein paar Zeilen Text, letztendlich elektrische Impulse in Schaltkreisen. Doch wenn sie vor Freude in die Luft springen, vor Angst davon laufen, aus Neugier die Welt erkunden und kleine Gleitschirme an die Seelen gefallener Darwinianer hängen, um sie sicher in den Himmel zu senden, dann ist der Unterschied zu den elektrischen Impulsen unserer eigenen Hirnchemie nur noch klein.

Dem Programmierer ein Denkmal

Abseits vom Spiel mit dem digitalem Leben streift Darwinia weitere Themen. Tod und Wiedergeburt stehen da neben menschlicher Neugier und der Frage, was denn „dort draußen auf uns wartet“. Im Fall der Darwinianer warteten Unglück und Verderben, die Sepulveda nur mit viel Mühe abwehren konnte. Den verehren sie übrigens als Gott und bauten ihm eine Statue, weil er ihnen aus Versehen das Bild seiner Webcam an den Himmel projizierte.

darwinia sepulveda

Darwinia ist außerdem Hommage an eine vergessene Ära der PC-Geschichte, als abstrakte Grafiken die Fantasie forderten, weil nur ein paar Pixel auf den Bildschirm passten. Mit einem einzelnen Programmierer als Hauptfigur, der seine Schöpfung auf alten Computern aus den 80ern bastelt, wirkt Darwinia fast wie ein Liebesbrief an die Zeit der Garagenentwickler. Dazu ein nettes Detail: Vor Beginn des Spiels erinnert eins von mehreren Intros etwa an die Demo-Szene um Heimcomputer wie den C64, oder aber an von Hackern in Raubkopien einprogrammierte Titelbildschirme.

Die Macht der Strichmännchen

Auf dem Playstation 4-Event im Februar 2013 warben verschiedene Entwickler für die neue Konsolen-Generation. Darunter: David Cage und seine „Emotions“. Der Schöpfer von Heavy Rain und Beyond: Two Souls behauptete, dass die Kraft der neuen Wohnzimmermonolithen eine bessere Darstellung von Emotionen erlaube, im Sinne: „Mehr Polygone bedeuten mehr Emotionen.“

Die Bewohner von Darwinia bestehen aus einem einzigen Polygon, auf das ein starres Bild geklebt ist – weit entfernt von den hunderttausenden, die Cage fordert. Trotzdem zeigen sie Freude, Angst, oder sogar Glauben, allein durch ihre Handlungen: Sie hüpfen, sie rennen, sie bauen eine Statue ihres Schöpfers. Es ist schwer, sie nicht gern zu haben – dabei sind sie doch nur ein paar Zeilen Code.

darwinia tree

Wenn ihr die Darwinianer selber in ihrem Habitat besuchen wollt, dann könnt ihr das auf der XBox 360 oder Steam machen. Vielleicht kommt euch dann dieser Gedanke: Diese künstliche Intelligenz bringt sicher keinen Weltuntergang.

Über Christoph Volbers

Christoph hat viel zu viele Töpfe am Kochen: Er ist der Kopf hinter dem Science Fiction-Metal-Projekt Xenogramm und schreibt an seinem eigenen Roman. Gleichzeitig studiert er Englisch und Geschichte im schönen Bremen (nicht lachen!). Da er jedoch nicht immer vor dem Bildschirm hocken kann, geht er arbeiten - und zwar in einer Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wenn er sich davon erholen will, dann kocht er, oder er geht laufen, oder er sieht sich Filme und Serien an. Oh, und offenbar schreibt er auch für krautgaming. Wie konnte ich das nur übersehen?

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