Von der Kunst Videospiele zur Kultur zu machen

Von der Kunst Videospiele zur Kultur zu machen

Wenn man die Diskussionen um aktuelles Tagesgeschehen in der Spielebranche mal weglässt, dann ist der Diskurs über das Bestreben der kulturellen Anerkennung von Videospielen omnipräsent. Doch wir haben uns gefragt: Wie macht man eigentlich ein Videospiel zu Kultur?

Kultur ist wichtig, das hat uns schon Mama gesagt! Nur, was ist eigentlich Kultur? Wir wurden zwar immer mit Beispielen bombardiert, dennoch bleibt oftmals eine klare Definition aus. So gehörten in meinem Umfeld die Kunstwerke des Hochmittelalters zur Kultur, gutes Benehmen, Pünktlichkeit und gute, schnelle Autos. Mit dem angepeilten Leser sollte bei dieser Aufzählung eine höchstmögliche Schnittmenge erreicht werden, bei den meisten Punkten sollte eine Zustimmung erfolgt sein.

Diese Zustimmung ist nicht sonderlich verwundert, bewegen wir, ich als Autor und du als Leser, uns doch in einem gemeinsamen Kulturkreis, der, definiert durch Landesgrenzen und Sprache, uns zumindest eine ähnliche kulturelle Auffassung diktiert. Dennoch beantwortet das noch nicht die Eingangsfrage.

Was ist Kultur?

Die Frage nach der Definition von „Kultur“ treibt die Denker schon seit Jahrhunderten und, soviel sei gesagt, eine für alle Seiten befriedigende Antwort ist bis heute noch nicht gefunden. Dennoch haben wir schon linguistisch im Wort einige Stolperfallen. Es ist die Unterscheidung zwischen der deskriptiven und normativen Bedeutung des Wortes Kultur, die uns in der Gesellschaft schwerfällt. Zu sagen „Etwas ist kulturell wertvoll“ ist nicht gleichbedeutend mit „Das ist Kultur!“.

Erstere Aussage als Bestimmung über die Zugehörigkeit zur Kultur misszuverstehen ist ein gern gemachter Fehler, eine Einzelperson kann nicht bestimmen, was zur Kultur gehört und was nicht. An dieser Hürde sind schon so ziemlich alle kommunistischen Staaten gescheitert, bei denen zum Ende hin die Vorstellungen von dem, was vom Staat als „dem eigenen Wertekodex entsprechend“ und vom Volk als tatsächliche Kultur empfunden wird, auseinander driftet.

Daraus entsteht aber auch die entscheidende Erkenntnis der Tatsache, dass deine Kultur, lieber Leser, nicht gleichbedeutend mit meiner Kultur ist. Jede Gesellschaft definiert Kultur für sich selber, dabei ist als Gesellschaft jeder Verbund von Menschen gemeint, von der Familie, über den Freundeskreis, bis hin zur Staatengemeinschaft.

Das, was gemeinhin als Kultur wahrgenommen wird, das ist die übrig gebliebene Schnittmenge aus den Einzelkulturen und Wertekodizes der Einzelgesellschaften und deren Generationen. Es gibt also nicht „Die Kultur“, sondern die Schnittmenge aus unseren beiden Kulturen, lieber Leser, ist das was WIR als Kultur verstehen. Dein und mein Verständnis von Kultur können trotzdem gänzlich unterschiedlich sein.

Man könnte also behaupten, dass das, was als Kultur wahrgenommen wird, die Schnittmenge aus Geschmack, Werten, Vorlieben und Präferenzen der Gesellschaft ist.

Wie macht man Kultur?

Der Versuch ein Kulturwerk zu erschaffen wird mit genauso viel Erfolg gekrönt sein, wie der Versuch zu behaupten, etwas sei Kultur. Kultur kann nicht erschaffen oder bestimmt werden, Kultur entsteht vor allem durch eines: Identifikation. Es reicht also nicht, wenn man als Erschaffer sein Werk auf Geschmack, Werte, Vorlieben und Präferenzen der Gesellschaft trimmt.

Es ist eben jenes Element, welches der Erschaffer nicht kontrollieren kann, was das Werk zur Kultur macht: Ob man sich mit dem Werk lange und heftig genug identifiziert, dass das Werk nicht nur ein Teil seiner eigenen Identität wird, sondern sich auch in das gesellschaftliche Selbstbild einbrennt. Da reicht der reine Konsum des Werkes nicht aus, um so tief in die gesellschaftliche Identität einzutauchen, damit daraus Kultur wird, essentiell dafür ist die Reflexion, Abstraktion und Verarbeitung durch die Gesellschaft, bis hin zur vollständigen Reduzierung und Entstellung des eigentlichen Werkes.

Beispiele dafür sind zahlreich, wenn auch schwer greifbar, da eben die essentiellen Bestandteile der Kultur von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren. Für mich wäre ein treffendes Beispiel das Zitat „Schau mir in die Augen, Kleines“ von Humphrey Bogart aus dem Film Casablanca. Diese Worte wurden in den letzten 70 Jahren so oft kopiert, karikiert, zitiert und parodiert, dass man auch ohne den Film gesehen zu haben wohl mehr als ein mal in den Kontakt mit diesem Zitat gekommen sein dürfte. Ja, selbst die Simpsons haben es getan. Dieses Zitat hat sich so tief in die gesellschaftliche Kultur eingebrannt und so viele Folgewerke beeinflusst, dass man sich seiner Existenz und Herkunft bewusst ist, ohne das eigentliche Werk jemals konsumieren zu müssen.

Weitere Beispiele sind zumindest aus meiner Perspektive schnell gefunden: Vom phantastischen Portrait der Mona Lisa von Leonardo DaVinci, über viele Wertvorstellungen der katholischen Kirche, bis hin zum Zitat „Luke, ich bin dein Vater“. All dies ist mittlerweile, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, ein Teil unserer – zumindest meiner – kulturellen Identität.

Um Kultur zu erschaffen muss man also nicht etwas erschaffen, was „kulturell Wertvoll“ ist, sondern das geschaffene Werk muss die Gesellschaft so tief und bleibend beeinflussen, dass die Essenz des Werkes selbst ein Teil der gesellschaftlichen Identität wird.

Videospiele und Kultur

Videospiele sind Kultur. Zeige einem zufällig ausgewählten Menschen aus dem Kulturkreis der westlichen Gesellschaft unter 35 ein Bild von Pac-Man und er wird die Figur identifizieren können, ohne auch nur ein mal das Spiel gespielt zu haben. Gleiches gilt auch für Super Mario, ja in manchen Kulturkreisen könnte ich mir sogar Gordon Freeman oder Zak McKracken als Teil des kulturellen Selbstverständnisses vorstellen.

Dann hört es jedoch ganz schnell auf. Die Videospielindustrie der Neuzeit ereilt das gleiche Schicksal wie die Filmindustrie der Neuzeit: die Konzentration auf Gewinnmaximierung und das damit einhergehende Abdriften in die kulturelle Bedeutungslosigkeit. Denken wir doch nur mal an ikonische Momente, Zitate oder Charaktere aus der erfolgreichsten Spieleserie aller Zeiten: Call of Duty. Mir persönlich fällt nichts ein, was auf mich einen Eindruck über den Zeitpunkt des Spielens hinaus hinterlassen hätte.

Was wir erleben, ist die Erschaffung von Werken, die zu 100 Prozent auf den Fast-Food-Konsum ausgelegt sind. Ein Spiel darf gar keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, soll sich ja schnell das Gefühl der inneren Leere einstellen, um dann zum nächsten Teil der Serie zu greifen.

Streng gesehen: Wenn bei der Erschaffung des Werkes die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, so ist die Chance zum Entstehen von Kultur aus diesem Werk heraus äußerst gering. Wo jedoch jemand mit einer Vision Hürden überwinden muss, gegen Unwägbarkeiten und Gegenspieler kämpfen muss, um ein Werk zu erschaffen, so ist die Chance groß, dass daraus auch Kultur entsteht, denn das spricht nicht für die Aussicht auf Gewinn, sondern für die Liebe zum Werk, wo das Werk wichtiger ist als der Gehaltsscheck in der Tasche und der Bonus in Aussicht.

Die kulturelle zukunft der Videospiele

Wenn sich der Markt so weiter entwickelt wie bisher, so sehe ich düster in die Zukunft der Spiele-Kultur. Potentielle Kandidaten, welche die Chance hätten, sich in die gesellschaftliche Identität einzubrennen, gibt es ohne Zweifel, man denke nur an Spiele wie Super Meat Boy oder Tiny and Big, dennoch fehlt es dort oft an aus Geldmangel resultierender Finesse.

Und eine weitere Hürde steht den kommenden Kandidaten bevor, denn sie müssen nicht nur das Potential zur kulturellen Prägung der Masse haben, sondern auch von der Masse bemerkt werden. Die Kandidaten müssen aus dem Haufen der Null-Kultur-Spiele heraus ragen, um sich selber in die Wahrnehmung der Gesellschaft zu drängen, damit sie überhaupt erst die Chance bekommen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Es ist dieses Dilemma, welches es erforderlich macht, dass es eine vom Markt unabhängige Institution gibt, welche solche Kandidaten fördert. Zumeist sind dies staatliche Kulturförderungen, welche langsam auch Videospiele als förderungswürdiges Medium erkennen. In München, wer hätte das von einem CSU-Mann erwartet, haben wir tatsächlich mit Medienminister Thomas Kreuzer einen starken Verfechter dieser Politik, der eine entsprechende Förderinitiative anstößt.

Eigentlich ziemlich gut, mag man meinen. Dennoch verbirgt sich in der Lösung des eigentlichen Dilemmas ein weiteres Dilemma, nämlich der Konflikt der Kultur der Fördergremien mit der Kultur der Gesellschaft. Nicht alles, was von den Fördergremien als Kultur bewertet wird, wird auch von der Gesellschaft als Kultur angenommen, nirgends wird das deutlicher als bei den Förderrichtlinien der Videospiele. Ein Teufelskreis.

Und so bleibt uns kaum mehr als auf das eine Videospiel zu hoffen, welches das Potential und die Reichweite besitzt, um tatsächlich dem Medium „Videospiel“ ein bleibendes Fragment im kulturellen Selbstverständnis der Gesellschaft zu ermöglichen.

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