Virtuelle Endzeitstimmung – postapokalyptische Videospiele als Spiegel unserer Zeit

Virtuelle Endzeitstimmung – postapokalyptische Videospiele als Spiegel unserer Zeit

von am 05.01.2012 - 22:33

Fallout 3 und New Vegas, Enslaved – Odyssey to the West, I am Alive, Last of Us – sie sind nur eine kleine Auswahl von Spielen, die mit postapokalyptischen Zuständen eine Endzeitstimmung thematisieren, die bestimmt nicht nur aus der Luft gegriffen worden ist. Aber warum häufen sie sich zurzeit? Alles nur Zufall oder steckt mehr hinter dem Trend, als wir zu glauben meinen?

Rein spekulativ ist der 21. Dezember 2012 als möglicher Termin des Weltuntergangs vorgesehen. Zumindest wollen uns das Esoteriker aufgrund des endenden Maya-Kalenders weismachen. Jedoch wird keiner unter uns aufgeklärten, vernunftbegabten Spielern tatsächlich glauben, dass wir kurz vor dem „Ende“ stehen. Oder etwa doch? Denn auffällig ist, dass sich Spiele mit dem „postapokalyptischen“ Themenkomplex derzeit häufen und es regelmäßig bis in die Top Ten diverser Verkaufscharts schaffen.

Natürlich ist das mit dem 21.12.2012 wissenschaftlich gesehen reiner Quatsch, aber angesichts der Tumulte weltweit – sei es die von vielen Medien hysterisch behandelte Eurokrise, der mögliche Bankrott der USA, wie auch der „Arabische Frühling“ oder die immer extremer ausfallenden Naturkatastrophen auf unserem Erdenball – schleicht sich eine gewisse Urangst vor dem Unausweichlichen in unser Unterbewusstsein.

 

Einerseits profitieren davon die selbst ernannten Endzeitpropheten und Sektengurus, aber sie beflügelt auch die Fantasie von Geschichtenschreibern, Filmemachern und Spielentwicklern. Videospiele sind eben auch – wie alle anderen Kulturgüter – Spiegel der Gesellschaft, in die sie „hineingeboren“ werden. Die bangen Fragen, die jeder von uns mit sich rumschleppt, und sei es nur unterschwellig, projizieren die Schaffer von Videospielen momentan in bildgewaltige „Was wäre wenn?“-Szenarien, die uns anziehen und eine hypothetische Welt heraufbeschwören, die uns vielleicht schon Morgen treffen könnte.

Atombomben – Maschinenherrschaft – Seuchen

In Fallout – eine Serie, die bereits Ende der Neunziger unter PC-Spielern wahre Erfolge feiern konnte, aber erst 2008 zur Institution in Sachen postapokalyptisches Feeling avancierte – sind es die Atombomben, die unsere Erde in einen Haufen Schutt und Trümmer legen, eine Bedrohung noch immer so real wie zu Zeiten des „Kalten Krieges“ und angefüttert von Medienberichten über das umstrittene Atomprogramm im Iran oder dem Säbelrasseln in Nordkorea eine der wahrscheinlichsten Auslöser eines Weltuntergangs.

 

Bei Enslaved hingegen werden die Menschen wie einst in der Terminator-Quadrilogie von den Maschinen beherrscht und versklavt. Nur kleine Enklaven von Überlebenden versuchen sich vor den Maschinen zu verstecken oder gegen sie zu kämpfen – mit eher wenig Erfolg. Eigentlich eine moderne Interpretation der berühmten chinesischen Volkssage „Die Reise nach Westen“, aufgeschrieben von Wu Cheng’en, nimmt aber auch dieses Spiel die derzeitigen Ängste und Befürchtungen in der westlichen Welt auf und simuliert eine Realität, in der Geld nichts mehr wert ist und nur noch der reine Überlebenswille zählt.

Über I am Alive und The Last of Us hingegen ist noch relativ wenig bekannt. Doch wie die aktuellen Trailer schon jetzt zeigen, scheint bei I am Alive eine Naturkatastrophe, die als „das Ereignis“ sehr schwammig umschrieben wird, die Menschheit dezimiert zu haben. In The Last of Us hingegen ist es wohl eine Seuche, die um sich gegriffen und die Infizierten in kannibalische „Monster“ verwandelt hat.

Wir stehen am Abgrund

All die oben aufgeführten Szenarien sind aktuell, und auch wenn es auf den ersten Blick hanebüchen wirkt und surreal erscheint, ist doch ein Körnchen Realität immer drin. Wir erinnern uns alle noch an die Naturkatastrophe in Japan, die zudem auch noch einen Reaktorunfall im Atomkraftwerk Fukushima auslöste, was die Bedrohung durch Radioaktivität und ihre mitunter tödlichen Strahlung ins Bewusstsein zurückholte.

Dann gab es in den letzten Jahren mindestens einmal pro Jahr eine große Krankheitswelle, die an der Schwelle zur Pandemie stand. SARS, Schweinegrippe, EHEC und auch BSE waren zeitweise das beherrschende Thema in Zeitungen und Rundfunk. Wenn auch zumindest bei Schweinegrippe und auch EHEC die hysterischen Meldungen von den Boulevard-Medien bei vielen von uns nur noch Kopfschütteln erzeugte, ein ungutes Gefühl bleibt. Es könnte nämlich jeden treffen.

Ich habe aber auch noch eine weitere Theorie entwickelt, weshalb postapokalyptische Spiele momentan en vogue sind. Der rasante technische Fortschritt und der sogenannte „Turbokapitalismus“ setzen viele Menschen unter Druck, sich immer schneller und flexibler auf alle möglichen Situationen des Lebens einzustellen. Ich nehme hier mal mein eigenes Leben in puncto technische Weiterentwicklungen beziehungsweise Erfindungen zum Beispiel:

Innerhalb meines 29-Jährigen Lebens habe ich weit mehr technische Neuerungen miterlebt als alle Generationen vor mir. Computer, Videospielkonsolen, Walkman, CDs, Videorekorder, DVDs, DVD-Player, Internet, Handys, Smartphones, etc. pp. und das waren nur die eher trivialen Erfindungen. Und alles in so kurzer Zeit.

Schöne, schnelle Technikwelt

Natürlich verändert die Geschwindigkeit, mit der die Technik voranschreitet, auch die Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Wir glauben, dass die Welt sich weitaus schneller dreht, als wir eigentlich mitkommen. Dabei dauert ein Tag immer noch 24 Stunden und ein Jahr 365 Tage (und einmal alle vier Jahre 366, aber das tut nichts zur Sache). Aber kommt es uns wirklich noch so vor? Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir den Eindruck haben, die Tage seien kürzer und die Zeit rennt uns schier davon? Da ist es auch kein Wunder, dass Krankheiten wie Burn-out oder Depression grassieren und als „Volkskrankheit“ tituliert werden. Der Druck in der Berufswelt, die ständige Erreichbarkeit, immer und überall, Facebook, Twitter, Skype und Co. Alles hält uns wach, immer glauben wir, etwas zu verpassen. Ruhepause? Schlaf? Sich erholen? Viele unter uns scheinen diese Begriffe gar nicht mehr zu kennen. Es reift der Wunsch einfach mal die Welt anzuhalten und auszusteigen. Nur für einen Augenblick.

Ein solcher Wunsch wächst natürlich nicht nur in uns „Normalsterblichen“, sondern auch in Videogame-Designern, die selbst genauso von dieser Schnelllebigkeit erfasst sind, vielleicht sogar noch mehr als andere. Da ist es kaum verwunderlich, dass Spiele mit Endzeit-Themen die Regale in den einschlägigen Fachgeschäften erobern. Sie können nämlich auch als Katalysator dafür dienen, die Welt wie sie jetzt ist einfach mal aus den Fugen zu bringen. Doch endlich mal den Stopp-Knopf betätigen und den Treibern und Meistern des „Höher, Schneller, Weiter“ zu zeigen, dass es auch irgendwann mal mit dem Wachstum vorbei ist.

Apocalypse, Now!

Zugegeben, mich beschäftigen diese Themen sehr. Auch wenn ich oft versuche all das zu verdrängen, in meinen tiefsten Tiefen nagt es doch an mir. Ich kann zwar nicht in Eure Köpfe schauen und daher nicht erklären, warum eventuell Ihr von Spielen, die nach dem großen „Ende“ angesiedelt sind, fasziniert seid. Ich kann es nur für mich beantworten. Vielleicht deckt sich das mit Euren Empfindungen, vielleicht auch nicht. Aber mich beeinflussen die oben aufgeführten Themen und ich gebe zu, manchmal stelle ich mir angesichts der Schreckensmeldungen vor, wie es sein könnte, wenn Morgen dann der große Knall tatsächlich stattfindet.

Zuweilen erwische ich mich sogar dabei, dass ich von dem sprichwörtlichen Bombardement aus den Nachrichtenredaktionen derart genervt bin, dass ich mir den Weltuntergang heimlich herbeiwünsche. Damit das alles mal ein Ende hat. Ich glaube, für mich ist es genau das, was mich an den Spielen wie Fallout, Enslaved und ähnlichen so fasziniert.

Vielleicht sind diese Spiele aber auch ein kleiner glimmender Funke Hoffnung, der uns Trost spenden kann, da sie uns zeigen, dass es auch nach dem großen Zusammenbruch immer noch weiter geht. Irgendwie.

Oder um es mit den Worten der Band „The Inkspots“ zu sagen: „I don’t want to set the world on fire. I just want to set a flame in your heart.“

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