Sind all meine Freunde tot oder spielen sie nur Skyrim?

Sind all meine Freunde tot oder spielen sie nur Skyrim?

von am 19.12.2011 - 17:15

Es ist ein Phänomen, eine Erfahrung, wie wir sie nur selten erleben. Mit The Elder Scrolls V: Skyrim ist das wohl gigantischste Singleplayer-Rollenspiel-Projekt seit Jahren erschienen. Seitdem streifen Millionen von Spielern stunden-, ach was rede ich, tagelang durch Tamriel und es will einfach nicht langweilig werden. Doch warum? Ist es die Story, die Charaktere oder eine ganz andere geheime Macht, die uns vor den Bildschirm fesselt?

Es fing mit Oblivion an

Ja, ich war skeptisch. Ich muss auch ehrlich zugeben, ich habe mich erst in diesem Jahr dazu durchringen können, zum ersten Mal Hand an einen Elder Scrolls-Titel zu legen. Doch nachdem ich mit Oblivion warm geworden war, wurde ich schnell in die Welt der Krieger, Magier, Schurken und Gauner gezogen. Es war einfach ein komplett anderes Spielgefühl, ein Gefühl der Freiheit – aber auch der Hilflosigkeit. Denn vor lauter Schauplätzen, Städten und Zigtausend Questgebern wusste man gar nicht, wo man zuerst hingehen soll. Das mag vielleicht an meinen persönlichen Vorlieben liegen, aber so gerne ich Oblivion gespielt habe, mir hat immer etwas der rote Faden gefehlt. Ein bisschen Stehlen hier, ein bisschen Meucheln dort. Mal hier dem Bauern bei seinem Zwist mit dem Nachbarn helfen und mal dort der alten Hexe die benötigten Kräuter bringen – so oder so ähnlich sah der Alltag in Oblivion aus.

Irgendwann zwang man sich, konsequent immer nur einen Strang weiterzuverfolgen. Und das half. Denn nun hatte man immer einen Rahmen, in dem es weiterging. Seien es die Quest-Reihen der einzelnen Gilden (besonders gut waren die der Dunklen Bruderschaft und der Diebesgilde) oder auch die Haupt-Storyline. Da war er auf einmal, der rote Faden. Alles war gut. Denn vor allem die Handlung und Geschehnisse innerhalb der einzelnen Gilden waren echt gut, hatten interessante Wendungen und Leitcharaktere wie den Graufuchs, der einen immer motivierte weiterzumachen. Aber trotzdem blieb eine gewisse Schizophrenie. Denn kaum hatte man einen Strang der Geschichte abgeschlossen, war es wieder da, das „Ja und jetzt?“-Gefühl. Wo soll ich hin? Die ausgebüchste Kuh des armen Bauern suchen? Langweilig. Man streift also durch die Gegend auf der Suche nach einer neuen spannenden Aufgabe. Gut für Oblivion, dass man die dann auch recht bald findet. Doch der rote Faden, oder besser gesagt der Rahmen des Ganzen, fehlte irgendwie immer.

Neue Provinz, neues Glück

Und dann kam Skyrim. Mit dem Schauplatzwechsel – wir befinden uns nun in Himmelsrand, einer Provinz im Norden Tamriels – vollzog sich selbstverständlich auch ein Wechsel der Atmosphäre. Offenbar durch das raue und eisige Klima in der bergigen Gegend geprägt, sind auch die Bewohner eher schroff und hart. Hier in Himmelsrand leben die kriegerischen Nord, ein stures Völkchen. Und genau diese Schroffheit und diese Härte zieht sich durch das ganze Spiel. Man merkt einfach, dass Bewohner und Umgebung zusammenpassen. Es ist stimmig.

Skyrim kann süchtig machen – Infos und Hilfe? Fehlanzeige!

Doch warum fesselt Skyrim die Spieler so sehr an den Bildschirm, dass man sogar Essen und Schlaf vernachlässigt? Nun, gehen wir doch mal die üblichen Verdächtigen durch und schauen uns an, wie es um die in Skyrim bestellt ist.

Beim Meister der Videospiel-Sucht abgeschaut?

Beim Thema Suchtfaktor dürften einem wohl spontan zwei Titel in den Sinn kommen, beide aus dem Hause Blizzard. Zum einen wäre da natürlich World of Warcraft und zum anderen das Spielprinzip von Diablo. Eine wichtige Komponente, wenn nicht sogar die wichtigste (zumindest bei Diablo), ist das Leveln und die Jagd nach neuen Items. Doch das spielt bei Skyrim kaum eine Rolle. Das Leveln kann es nicht sein, weil im Gegensatz zu den beiden Vertretern von Blizzard die neuen Skills und Fertigkeiten pro Stufe das Spiel- und Kampfprinzip nicht essenziell verändern. Eine wirkliche Langzeitmotivation beziehungsweise eine „Überfähigkeit“ gibt es nicht. Ähnlich verhält es sich bei den Items. Klar, man bekommt für manche Quests ganz nette Waffen und Ausrüstungsgegenstände. Aber es sind ebenfalls einfach zu wenige, als dass einen wirklich das Jagdfieber packen würde. Also scheiden die beiden Kandidaten schon mal aus.

Die Charaktere als Motivations- und Identifikationspunkt?

Was könnte es also dann sein? Vielleicht die Charaktere? Naja, wirkliche Vorbilder oder interessante Figuren findet man in Skyrim leider auch nur selten. Die Jearls sind größtenteils alte und farblose Gestalten und selbst der Konflikt zwischen den Kaiserlichen und den Sturmmänteln kann den Charakteren nicht wirklich Passion einhauchen. Leitfiguren wie beispielsweise den geheimnisumrankten Graufuchs sucht man in Skyrim vergeblich. Hat man in Oblivion noch nach dieser sagenumwobenen Gestalt gesucht und sich wahnsinnig gefreut, als man dann dem Herren der Diebe gegenüberstand, schafft es Skyrim leider nicht, solch zentrale Figuren richtig in Szene zu setzten. Zwar sind die Mitstreiter in den einzelnen Gilden noch diejenigen, die über die interessanteste Vorgeschichte verfügen, doch mehr als einen netten Dialog gibt das auch nicht her. Das soll natürlich aber nicht heißen, dass ihr in Skyrim nur auf langweilige 0815-Charaktere trefft. Das ist keineswegs der Fall. Aber keine dieser Figuren begleitet euch lang genug, als dass sich ein gewisses Verhältnis zu ihr aufbaut. Sie sind mehr oder weniger austauschbar. Und das ist schade.

Die Geschichte mit der Story


Spätestens jetzt merkt man, dass es verdammt schwierig zu erklären ist, warum Skyrim so fesselnd ist. Etwas Magenschmerzen bereitet einem die Story ja schon. Aber gibt es die in Skyrim überhaupt? Die Antwort darauf lautet ganz klar und deutlich: Jein. Klar, es gibt die Haupt-Questreihe, die aber nur aus „böser Oberdrache will die Menschheit unterjochen und muss getötet werden“ besteht. Auch sonst ist irgendwie immer unklar, warum diese majestätisch in Szene gesetzten Wesen getötet werden müssen. Außer dem wirklich sehr gelungenen Einstieg ins Spiel bekommt man kaum direkt die Auswirkungen eines Drachenangriffs mit. Noch konfuser wird die Beziehung zu den Drachen, als es auf einmal doch Drachen gibt, die offenbar nicht ganz so verabscheuungswürdig sind, wie die anderen (oder etwa doch?!). Einmal (Achtung Spoiler!) wird man sogar zum Mitleid mit einem Drachen gezwungen, als man das arme Geschöpf zwar erst in Drachenfeste in eine Falle lockt, aber als es so unter dem riesigen Joch gefangen ist, muss man den Drachen doch wieder befreien. Erstens, weil es das Spiel so will und zweitens, weil man doch irgendwie Mitleid mit dem Viech hat. Aber leider ist diese ambivalente Beziehung zu den Drachen nicht gekonnt inszeniert, sondern eher diffus und wenig stimmig. Ob da nicht ein klares Feindbild besser gewesen wäre?

Man kann also festhalten, dass es durchaus eine Story gibt, die sich in mehrere Subplots unterteilen lässt: Die Hauptstory, die den Aufstieg des Helden zum Drachentöter im Kampf gegen den „Drachenboss“ Alduin beschreibt. Dann haben wir noch die Story-Reihen der einzelnen Gilden (Kaiserliche/Sturmmäntel, die Gefährten, Magiergilde, Diebesgilde und die Dunkle Bruderschaft), die wie bereits erwähnt zwar streckensweise ganz nett sind, aber storytechnisch auch nicht wirklich überzeugen können. Dafür sind die Abläufe teilweise zu repetitiv (ganz arg leiden darunter die Aufträge der Gefährten) beziehungsweise nicht wirklich fesselnd.

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Skyrim als Gesamtkomposition

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo die schon erwähnte Schizophrenie deutlich wird. Denn jetzt haben wir die unterschiedlichsten Gründe, warum Skyrim eigentlich ein schlechtes Spiel ist. Und trotzdem ist es verdammt fesselnd. Und verdammt gut. Warum? Nun, es ist die absolut stimmige Welt, der Entdeckerdrang, die Neugier, die Abenteuerlust – von allem etwas. Auch die ganzen gerade aufgeführten Punkte, die für sich genommen eher weniger gut gelungen sind, gehen im Gesamtkonzept auf und tragen ihren eigenen, wertvollen Teil zu der – man muss es so nennen – Komposition Skyrim bei.

Das Wort „Komposition“ leitet sich von dem lateinischen Verb „componere“ ab und bedeutet so viel wie „zusammenstellen, ordnen“. Und genau das ist es, was Skyrim so außergewöhnlich macht: Es passt einfach zusammen, ohne dass man genau beschreiben kann, woran es eigentlich liegt. Ist das nicht perfekt? Ein absolut überzeugendes Werk zu schaffen, ohne dass man die einzelnen Zutaten genau auseinandernehmen kann und für sich betrachten darf. Denn wenn man das tut, muss man nörgeln (wie ich es ja vorher im Text gemacht habe). Man kommt immer wieder auf die Schizophrenie zurück, denn wie zur Hölle können für sich genommen eher schlechte Zutaten zu einem so hervorragenden Ergebnis führen? Um das zu beantworten, MUSS man Skyrim einfach selbst gespielt haben, so blöd es klingt.

Was Bethesda mit The Elder Scrolls V: Skyrim geschaffen hat, setzt definitiv neue Maßstäbe im Bereich der Videospiele. Denn selten hat man sich so in eine Welt verliebt, wie in Himmelsrand. Deswegen sei wirklich jedem Zocker wärmstens ans Herz gelegt, spätestens morgen ins nächste Geschäft zu stürmen und Skyrim zu kaufen. Ihr werdet es nicht bereuen. Nur euer soziales Umfeld solltet ihr vorwarnen, denn die werden euch die nächsten Tage bis Wochen nur noch sehr selten zu Gesicht bekommen. Sagt nicht, wir hätten euch nicht gewarnt.

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