Eine Ode an… Vintage Games

Eine Ode an… Vintage Games

von am 10.07.2011 - 18:35

Was sind denn eigentlich Vintage Games fragt sich der Eine oder Andere von Euch. Für meine Begriffe sind Vintage Games die Art von Spielen, die entweder Themen einer vergangenen Dekade oder die entsprechende Atmosphäre oder besser: den entsprechenden Stil aufgreifen. Daher geht meine Ode an Spiele wie Fallout, BioShock und ganz neu auf dieser Liste: L.A. Noire.

Warum? Ich liebe den Stil, die Musik, die Filme und zu einem Teil das Lebensgefühl der 1930er bis 1960er Jahre, auch wenn eine lange Zeit davon durch schreckliche Kriegsjahre geprägt ist. Aber das blende ich hierbei ganz bewusst aus, denn was mich an dieser Zeit mehr fasziniert sind die großen Unterhaltungsshows, die Entertainer – wie das berühmte Ratpack – und der Glamour der alten Hollywood Ikonen wie Grace Kelly oder Judy Garland.
All das kommt in der einen oder anderen Weise in einigen neueren Videospielen vor. Meist in einem ganz anderen und komplett konträren Kontext als oben beschrieben, aber oftmals schimmert doch ganz subtil dieses je ne sais quoi durch, für das die alten Hollywood Studios und die Bühnen von Las Vegas stehen.

Nehmen wir beispielsweise den Horror Ego-Shooter Bioshock, schon allein die Art Deco Architektur der Unterwasserstadt Rapture visualisiert dieses einmalige Ambiente einer Zeit, als Petticoats und breitkrempige Hüte ganz groß in Mode waren. Kaum entfaltete sich Rapture vor meinen Augen war ich baff und saß mit offenem Mund in meinem Fernsehsessel. Beinahe streckte ich meine Hand nach dem Bildschirm aus, in der Hoffnung die Fassade der Gebäude berühren zu können, um zu erfahren, wie sie sich anfühlen. Und selbst als ich die Stadt als mein virtuelles Alter Ego Jack betrat, und Rapture mehr eine Ruine und die meisten Räume und Gänge zerstört und voller Risse waren, wehte trotzdem überall der Wind eines eben noch stattgefundenen Balls durch die Luft. Auch die Splicer, körperlich zwar furchtbar entstellt, trugen noch ihre Galagaderobe.

Im Petticoat durch das Wasteland 

Mit einem Mal verspürte ich eine gewisse Sehnsucht und eine Obsession, die mit BioShock anfing, schließlich bei Fallout 3 und New Vegas in ihrem Höhepunkt gipfelte und immer noch andauert. Während BioShock noch irgendwie seltsam entrückt und surreal die Aspekte des „goldenen“ Zeitalters der Fünfziger aufnahm, hätte die Fallout Reihe meinem Empfinden nach tatsächlich so stattfinden können. Die Idee, das Spiel einerseits stilistisch in die späten Vierziger, aber gleichzeitig in die Zukunft zu legen, passte genau in meine gerade entflammte, neue Leidenschaft. In dieser fiktiven Zukunft, und ich schäme mich dafür die ersten beiden Fallout Teile nicht gespielt zu haben, ist die Welt völlig zerstört, von einem Atomkrieg gezeichnet und alles um einen herum ist kahl, wüst, leer, kaputt.
Und trotzdem träume ich nachts manchmal davon in einem Petticoat mit einem Pipboy am Arm durch die Stadt News Vegas zu schlendern, während aus Lautsprechern die Musik von Dean Martin und Frank Sinatra schallt. Vielleicht liegt es auch gerade an diesem Paradoxon aus teils kitschiger Musik der 19030er bis 1950er Jahre mit „heile Welt“ Texten und der komplett zerstörten Umwelt, das einen makaberen Charme ausstrahlt und Fallout zu einem dieser herausstechenden Spielerlebnisse macht. Manche Lieder intensivieren auch das Paradox und somit die Bindung zwischen Spieler und Spiel, wie das beim Fallout 3 Trailer eingesetzte „I don’t want to set the world on fire“ von The Inkspots. Ich bekomme sogar jetzt beim Schreiben Gänsehaut, wenn ich nur an die ersten Takte des Songs denke.

Das Fallout Universum bietet eine Welt, in der ich mich ganz verlieren konnte. Manchmal habe ich mich einfach nur treiben lassen, ein Plätzchen gesucht, an dem ich vor den Angriffen zufällig erscheinender Gegner geschützt war, und dem Galaxy News Radio (Fallout 3) oder dem Radio New Vegas (Fallout New Vegas) gelauscht. Missionen bestehen, Nebensache. Das Spiel beenden, weit davon entfernt. Ich weiß, warum gerade diese beiden Spiele mich jeweils drei bis sechs Monate beschäftigt haben. Es waren vor allem die Musik und die Radiosprecher (göttlich: Wayne Newton als Stimme von Mr. New Vegas), die mich eingelullt haben und dazu verführten sinnlos Zeit zu verplempern, ohne den Spielverlauf voran zu treiben.

Glanzvoller 40er-Jahre-Krimi 

Mittlerweile besitze ich die Soundtracks plus diverse andere Sammlungen mit Songs von den Andrew Sisters über Sammy Davis Jr. bis zu Nat „King“ Cole. Es dürften über 150 Songs sein, die meine persönliche Compelation umfasst.
Seit Ende Mai 2011 schließlich fahre ich virtuell durch das Abbild des realitätsgetreuen Los Angeles der 1940er Jahre. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg, als gerade der sogenannte „Film Noir“ – eine Spielart des Kriminalfilms – Hochsaison hatte. Das Klischee vom abgehalfterten Privatdetektiv, der kurz vor der Pleite steht, als eine junge verzweifelte Frau in sein Büro kommt und ihn engagiert, denn: „Sie sollen der Beste sein!“, springt mir sofort vor mein geistiges Auge.
L.A. Noire, auf das ich anspiele, bietet fast all das, nur nicht eben genanntes Klischee. Cole Phelbs ist ganz gegensätzlich ein aufstrebender Polizist und das Spiel besteht, auf das Wesentliche heruntergebrochen, darin eine Reihe von Mordfällen aufzuklären. Das könnte schlicht und öde anmuten, wenn nicht gerade hier das Flair von 1947 so gut eingefangen wurde und damit alles überflügelt. Natürlich gibt es wahrscheinlich viel ausschlaggebendere Argumente, warum L.A. Noire DAS Spiel 2011 ist, wie die technischen Finessen beim Einfangen der Mimik der Schauspieler oder die Liste an bekannten Namen, aber das waren für mich lediglich die Sahnehäubchen auf dem Vintage-Eis.

Ich habe mich in den Stil einer Zeit verliebt und sauge förmlich alles davon auf, was mir mein Geldbeutel erlaubt. Auch wenn man jetzt an dieser Stelle diverse negative gesellschaftliche Zustände von damals ausdiskutieren kann und ich mitnichten damals als Frau gelebt haben möchte, so kann ich mich ebenso wenig dem Charme und dem Flair dieser Zeit entziehen. Und ausgerechnet diese hochmodernen Games haben diese Nostalgie derart gut eingefangen, dass ich mich ziemlich plötzlich für die angeblich muffigen Fünfziger zu interessieren begann. Und diese hochmodernen Games, sind ebenso „schuld“, dass ich mich bei fast jeden Besuch bei meinen Eltern im Plattenschrank meines Daddys abtauche, um nach weiteren Swing- und Bigband-Schätzen zu fahnden.

Ich sag Euch, wenn ich mir um Geld keine Gedanken machen müsste, dann würde ich mir ein Haus kaufen und es im Stile der 1950er Jahre einrichten lassen, inklusive einer auf „American Diner“ getrimmten Superküche und eines stilechten hellblauen Cadillac Cabrio. Oder ich würde mir einen originalgetreuen Vault nachbauen lassen, inklusive Dienstroboter.


Nina ist Redakteurin bei Krautgaming, hat 23 Jahre Videospielerfahrung, hört im Auto zur Zeit am liebsten Frank Sinatra und findet das Wort „Vintage“ eigentlich saudoof.

Kommentare

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Matthias Baumgarten 1. April 2012 um 11:42 01.04.2012 - 11:42

Ich freu mich das es da draußen noch Menschen gibt die diese Atmosphäre zu schätzen wissen. Beispiel Fallout: Meine Kollegen haben nach anscheinend 5 Minuten den Ton ausgeschalten da man doch die Musik nicht mag. Kulturbanausen. Die Musik gehörte z.b. absolut für mich dazu. Ich mag Spiele mit Dichter (RICHTIG DICHTER!) atmosphäre. Sci-Fi games schaffen das nur Teilweise. Aber Spiele in der Vergangenheit haben einfach oft das Feeling das man wirklich drinn ist. Rein Theoretisch auch weil es zur Vergangenheit immer eine Grundlage gibt. Geschichtsbücher, Musik, Filme, Kleidung. Es fällt einem Entwickler sicherlich einfacher die Atmo damit einzufangen. Beispiel: Mafia 1. Ein Spiel das mich einfach schon gepackt hat, weil man dachte man spielt nicht einen Mafioso, sondern man IST einer. Solche Spiele will ich auch in der Zukunft. Bittedankeschön.